Welche "politischen Fehler" des Westens, die Sie in einer Antwort v. 07.07.2025 erwähnen, wurden vor Beginn des UA-Krieges Ihrer Meinung nach begangen?
Ich zitiere Sie aus Ihrer Antwort v. 07.07.2025: "Die Vorgeschichte des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mag von politischen Fehlern auf verschiedenen Seiten geprägt sein.“

Sehr geehrter Herr H.,
ich bin kein Experte in der Außen-, Sicherheits- oder Verteidigungspolitik. Wie jeder vernünftige Mensch würde ich von der Vorbereitung von Konflikten im Sinne einer Aufrüstung am liebsten gänzlich absehen. Die Aufgabe Deutschlands und aller westlichen Verbündeten ist es jedoch, sich auf alle möglichen Bedrohungsszenarien und Eventualitäten vorzubereiten – stets im Sinne des Schutzes der eigenen Bevölkerung und der Wahrung des Friedens. Diese Aufgabe erfordert eine vorausschauende, entschlossene und verantwortungsbewusste Politik, die im Falle einer Eskalation handlungsfähig bleibt.
Politische Entscheidungen vergangener Jahre mit heutigem Wissen zu reflektieren ist wichtig, diese allein nach diesem Maßstab zu bewerten hielte ich aber für falsch. Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass auch vergangene Regierungen in Deutschland stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.
Allerdings ist die nachsichtige Haltung gegenüber Russland nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Konflikts in der Ostukraine im Jahr 2014 vom heutigen Standpunkt aus kritisch zu bewerten. Der Westen versäumte es, eine langfristige Strategie zu entwickeln, um Russland als Bedrohung konsequent zu isolieren. Stattdessen zog man keine echten Konsequenzen für russische Aggressionen. Dies ermutigte Russland möglicherweise noch, seine aggressive Außenpolitik fortzusetzen und sich weiter in der Region zu etablieren, ohne mit ernsthaften Sanktionen oder militärischen Gegenmaßnahmen rechnen zu müssen.
Auch haben viele Politiker:innen die russischen Ambitionen falsch eingeschätzt. In den Jahren vor 2022 hielten viele Russland für einen Staat, der eher auf geopolitische Einflussnahme setzte, ohne den Willen zu einem militärischen Konflikt zu haben. Diese Fehleinschätzung führte dazu, dass man den russischen Expansionismus zu lange nicht ernst genug nahm und nicht schnell genug reagierte.
Zusätzlich hat der Westen, insbesondere Europa, versäumt, die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Öl zu verringern. Diese Mangelnde Energieunabhängigkeit machte den Westen in geopolitischen Fragen und insbesondere bei der Unterstützung der Ukraine verwundbar. Russland konnte diese Abhängigkeit als Druckmittel nutzen, was die Bereitschaft des Westens, gegen die russische Aggression vorzugehen, in Teilen einschränkte. Das führte dazu, dass die Möglichkeit, mit wirksamen Sanktionen und diplomatischen Maßnahmen gegen Russland vorzugehen, deutlich eingeschränkt war.
Diese Versäumnisse und Fehleinschätzungen stellen nur einen Teil der Herausforderungen dar, die den Konflikt betreffen. Die Lehre aus diesen Fehlern ist klar: Der Westen muss sich zukünftig noch stärker der Notwendigkeit bewusstwerden, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, ohne dabei die Diplomatie und den Dialog aus den Augen zu verlieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Holger Mann, MdB (SPD)