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Frage von Gerhard S. •

Frage an Gustav Herzog von Gerhard S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Herzog,

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die soziale Selektivität des Bildungssystems zu verringern?

Wie sollte der Widerspruch zwischen Bildungsföderalismus und europäischem Hochschulraum gelöst werden?

Welche Maßnahmen sollten getroffen werden, um die bei der Umsetzung der Bologna-Reform entstandenen Missstände (Anwesenheitspflichten, wöchentliche "Hausaufgaben" in allen Vorlesungen, verstärktes "Bulimie"-Lernen, etc.) zu beheben?

An welchen Stellen sollte beim Hochschulpakt nachjustiert werden?

Wie stehen Sie zu einer verpflichtenden Zivilklausel an öffentlichen Hochschulen?

Mit freundlichen Grüßen,

Gerhard Schäfer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schäfer,

herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich Ihnen wie folgt beantworten möchte:

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die soziale Selektivität des Bildungssystems zu verringern?

Die SPD steht ganz klar für Chancengleichheit. Wir wollen nicht nur ein Bildungssystem, das leistungsfähig ist, sondern auch ein Bildungssystem, in dem individuelle Förderung ein integraler Bestandteil ist. Im Schulbereich setzen wir hierzu vor allem auf mehr und bessere Ganztagsschulen. Die Ganztagsschule ist das Erfolgsmodell, welches mehr Raum zur gezielten Förderung einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers bietet.

Wir wollen die staatlichen Bildungsausgaben deutlich erhöhen. Ab 2014 wollen wir jedes Jahr 20 Mrd. Euro mehr für Bildung ausgeben. 10 Mrd. Euro soll hiervon der Bund bereitstellen und 10 Mrd. die Länder, die hierfür in ihrer eigenen finanziellen Handlungsfähigkeit gestärkt werden sollen. Die Bildungsausgaben sollen mit diesem 10+10-Milliarden-Programm mindestens auf das Durchschnittsniveau der OECD-Staaten angehoben werden.

Bildung ist jedoch mehr als Schule. Daher stehen wir für eine ganzheitliche Bildungspolitik für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, um Chancengleichheit zu erreichen. Neben der formalen Bildung sind auch Angebote der informellen Bildung wichtig wie beispielsweise Angebote der Jugendhilfe, der Jugendverbandsarbeit, Jugendfreiwilligendienste und verschiedene Formen des bürgerschaftlichen Engagements.

Es ist Aufgabe von Kommunen, Ländern und Bund, im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge eine gute Jugendhilfeinfrastruktur flächendeckend, bedarfsgerecht und in guter Qualität zur Verfügung zu stellen. Den Kommunen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie brauchen eine solide finanzielle Ausstattung, um Rahmenbedingungen für gutes Aufwachsen aufrechterhalten und neu schaffen zu können. Das gilt insbesondere für Angebote der frühkindlichen Bildung und Betreuung.

Um die soziale Infrastruktur zu stärken, sind mehr Verteilungsgerechtigkeit und höhere Einnahmen für den Staat notwendig. Deshalb setzen wir uns für eine gerechte Steuerpolitik ein. Dazu gehören für uns eine gerechtere Lastenverteilung bei der Besteuerung von Einkommen, Vermögen und Erbschaften sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Zudem wollen wir kurzfristig einen Investitionspakt von Bund und Ländern realisieren, von dem insbesondere finanzschwache Kommunen mit Haushaltsnotlagen oder mit Haushaltssicherungskonzepten und hohen Kassenkrediten profitieren sollen. Die SPD tritt auch dafür ein, das bildungsfeindliche Betreuungsgeld abzuschaffen und die bis zu 2 Mrd. Euro, die dafür mittelfristig jährlich anfallen würden, komplett in den Ausbau und die qualitative Weiterentwicklung von Kitas und Kindertagespflege zu investieren.

Wir werden uns auch in der kommenden Legislaturperiode für die Umsetzung eines gemeinsamen Aktionsplans einsetzen, der alle politischen Ebenen in die Pflicht nimmt, den Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kita oder in Tagespflege ab Eins zu sichern sowie Qualitätssicherung und -entwicklung voranzubringen.

Kernelement sozialdemokratischer Bildungspolitik ist die gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule. Für uns sind ein gebührenfreies Studium – jetzt und in Zukunft – und ein starkes BAföG die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass finanzielle Gründe niemanden mehr von einem Studium abhalten. Hand in Hand sind ein gebührenfreies Erststudium und ein starkes BAföG zentrale Elemente sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik. Wie kaum ein anderes Instrument steht das BAföG für den Grundsatz, dass ein Studium nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein darf. Durch die rechtlich abgesicherte und verlässliche, staatliche Studienförderung konnten in den letzten 40 Jahren Millionen junge Erwachsene studieren, die sich ein Studium ohne BAföG nicht hätten leisten können. Die soziale Öffnung der Hochschulen wäre ohne BAföG nicht denkbar gewesen.

Wir wollen das BAföG in den nächsten Jahren bedarfsgerecht weiterentwickeln, bestehende Förderlücken schließen und zukünftig automatisch an die Lebenshaltungskosten anpassen. Dabei kann das BAföG nicht nur strukturell weiterentwickelt werden, sondern auch Bedarfssätze und Freibeträge müssen angepasst werden, damit wieder mehr Studierende von der Förderung profitieren.

Das von der schwarz-gelben Bundesregierung eingeführte Deutschlandstipendium wollen wir auslaufen lassen und die freiwerdenden Mittel zur Verbesserung des BAföG verwenden. Ebenso wollen wir auch das Schüler-BAföG revitalisieren sowie ausreichend interessante Ausbildungsplätze schaffen, um Jugendarbeitslosigkeit stärker einzudämmen.

Wie sollte der Widerspruch zwischen Bildungsföderalismus und europäischem Hochschulraum gelöst werden?

Zum Bildungsföderalismus muss ich Ihnen antworten, dass er sich grundsätzlich bewährt hat. Er muss jedoch im Sinne eines kooperativen Föderalismus weiterentwickelt werden. Die Grundgesetzänderungen bei der letzten Föderalismusreform hat eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nahezu unmöglich gemacht. Deshalb muss das Kooperationsverbot überwunden werden. Unsere Antwort darauf ist ein neuer Artikel 104c im Grundgesetz zur dauerhaften Bundesfinanzierung in Schulen und Hochschulen, sofern alle Länder zustimmen und eine Vereinbarung erzielt werden kann.
Einen in Ihrer Frage aufgeworfenen Widerspruch zwischen unserem Bildungsföderalismus und dem europäischen Hochschulraum kann ich nicht erkennen.

Wichtig ist, die Mobilität der Studierenden zu sichern und Möglichkeiten für Auslandsstudien zu verbessern. Dafür müssen Studiengänge im Euroraum derart harmonisiert werden, dass auch durch gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse Studierende in die Lage versetzt werden, ihre Studien und Studienorte selbstbestimmt auszuwählen.

Welche Maßnahmen sollten getroffen werden, um die bei der Umsetzung der Bologna-Reform entstandenen Missstände (Anwesenheitspflichten, wöchentliche "Hausaufgaben" in allen Vorlesungen, verstärktes "Bulimie"-Lernen, etc.) zu beheben?

In erster Linie sind für die von Ihnen genannten Missstände die Länder und Hochschulen zuständig. Fächer, Lehrpläne und Studienordnungen liegen damit in alleiniger Verantwortung der Landeshochschulgesetze bzw. der jeweiligen Hochschule selbst. Der Bologna-Prozess gibt den Rahmen vor, der grundsätzlich ein selbstbestimmtes Lernen ermöglichen soll. Dazu notwendig ist, wie bereits erwähnt, eine gesicherte Mobilität, die nicht nur räumlich gemeint ist. Auch der Wechsel zwischen Hochschulen im In- und besonders im Ausland muss möglichst einfach und unbürokratisch erfolgen können. Dazu bedarf es einer weitergehenden Harmonisierung von Studiengängen, die gegenseitige Anerkennung von Leistungen und Abschlüssen und die Verbesserung auch der hochschullebenbegleitenden Maßnahmen, wie Studienberatung und Unterbringung. Bei der Umsetzung sind Probleme aber auch dadurch entstanden, dass die Hochschulen in Deutschland chronisch unterfinanziert sind. Für den durch den Bologna-Prozess entstandenen Mehrbedarf sind keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt worden und haben damit teilweise zu unvertretbaren Studienbedingungen geführt. Die seit Jahren erfreulicherweise steigenden Studierendenzahlen werden das Problem der Unterfinanzierung noch verstärken.
Ich fürchte, dass die Komplexität des Themas den Rahmen sprengen würde, daher möchte ich an dieser Stelle auf den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion „Bologna-Reform – Positive Entwicklungen stützen, Fehler korrigieren und Verbesserungen durchsetzen“ vom 14. Mai 2013 verweisen. Hier finden Sie weitergehende Forderungen und Positionen, für die wir uns einsetzen. Sie finden den Antrag mit der Drucksachennummer 17/13475 auf der Internetseite des Deutschen Bundestags: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/134/1713475.pdf .

An welchen Stellen sollte beim Hochschulpakt nachjustiert werden?

Der Hochschulpakt ist ein wichtiger Bestandteil zur Hochschulfinanzierung und ist von der SPD immer gefordert worden. Der Pakt an sich ist erfolgreich, aber er ist in seiner jetzigen Ausgestaltung keine nachhaltige Lösung für die Hochschulfinanzierung, da er als Projekt kurzfristig angelegt ist und nur auf Studienanfänger abstellt. Die SPD fordert daher zusätzlich eine Bund-Länder-Initiative zur nachhaltigen Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen. Deshalb muss das Kooperationsverbot aufgehoben werden.
Leider hat der Hochschulpakt keine soziale Säule, wie sie z.B. die Studentenwerke fordern. Wir setzen uns für einen Hochschulsozialpakt als Erweiterung ein, da die Rekordstudierendenzahlen mehr Wohnheimplätze (25.000 Plätze Programm), eine bessere Studienberatung und –betreuung, größere und qualitativ bessere Mensen und nicht zuletzt ausreichend Betreuungseinrichtungen erfordern.

Wie stehen Sie zu einer verpflichtenden Zivilklausel an öffentlichen Hochschulen?

Die Entscheidung sollte der jeweiligen Hochschule überlassen bleiben. Einen generellen Zwang über ein Landeshochschulgesetz lehne ich ab, da hierdurch die Gefahr besteht, die verfassungsrechtlich verankerte Freiheit von wissenschaftlicher Forschung und Lehre zu verletzen.

Ich hoffe Ihre Fragen beantwortet zu haben und möchte nochmals auf die Grundsatzpositionen meiner Fraktion hinweisen, die sich natürlich auch in unserem Regierungsprogramm widerspiegeln.

Mit herzlichen Grüßen

Gustav Herzog