Portrait von Franziska Brantner
Franziska Brantner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Andreas K. •

Die Bundesregierung debattiert um Impfpflichten, während Krankheitsverläufe nachweisbar harmloser werden & die Hospitalisierungsrate deutlich sinkt. Was tun Sie um Grundrechte der Bürger zu schützen?

Guten Tag,
während immer mehr Länder dazu übergehen, ihren Bürgern die Grundrechte(!) zurückgeben,
wird im Bundestag weiterhin über die Impfpflicht debattiert.
Während die EU den Erhalt des Genesenen-Status für 6 Monate empfiehlt & die Schweiz diesen auf 12 Monate erhöht, wird er in Deutschland entgegen der Empfehlung vieler Experten auf 3 Monate verkürzt.
Debatten über eine Impflicht, die gesunde Menschen unter Ausschlusses aus dem öffentlichen Leben & der Arbeitswelt dazu nötigt, sich impfen zu lassen, belastet den Rest Vertrauen in die Politik.
Die Zahlen in Deutschland und weltweit machen deutlich, dass Corona & neue Varianten eben nicht zur Überlastung des Gesundheitssystems führt, sondern die Verläufe immer harmloser werden und für den größten Teil der Bevölkerung keine Gefahr darstellt.
Hilft es nicht deutlich mehr, die Energie und finanziellen Mittel in die Stärkung unseres Gesundheitssystems statt in Eingriffe der körperlichen Unversehrtheit durch Impfplichten zu investieren?

Portrait von Franziska Brantner
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr K.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich kann Ihre Sorgen bezüglich der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht nachvollziehen. Die Frage nach einer solchen Einführung ist keine einfache Entscheidung. Trotzdem spreche mich für eine allgemeine Impfpflicht aus, weil sie unsere wohlverstandene Freiheit schützt. Meine Gründe möchte ich Ihnen gerne erläutern.

Die hochansteckende Omikron-Variante breitet sich derzeit schnell in Deutschland aus. Die Belastung der Intensivstationen ist zwar momentan relativ niedrig. Doch der Anteil freier ITS-Betten an der Gesamtzahl betreibbarer ITS-Betten liegt im Bundesschnitt aktuell nur knapp über der 10 %-Linie, welche als Grenzlinie der Reaktionsfähigkeit der Kliniken gilt, die man versucht nicht zu unterschreiten: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-02-03.pdf?__blob=publicationFile. Zudem kann die Belastung bei neuen Varianten sehr schnell wieder ansteigen. 

Die Gültigkeit des Genesenennachweises wurde von 6 Monate auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion mit der Deltavariante oder einer früheren Virusvariante einen im Vergleich zur Reinfektion mit der Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion mit der Omikronvariante haben: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Durchfuehrung_Impfung.html#FAQId16072404.

Der Impf-Wille in der Bevölkerung schien zu Beginn der Pandemie sehr hoch. Auch wenn es Menschen gibt, die Impfungen generell skeptisch gegenüberstehen oder die Gefährlichkeit von Corona leugnen, war ich überzeugt, dass sich letztlich Vernunft, Gemeinsinn und Solidarität sowie das Streben nach einem Leben in Freiheit durchsetzen würden und sich genügend Menschen impfen lassen. Doch trotz eines umfassenden Impfangebots und umfangreicher Werbung reicht die bisherige Impfquote leider bei weitem nicht aus, um weitere schwere Infektionswellen in der Covid 19-Pandemie wirksam zu verhindern. Es gibt individuell sicher Ängste und Sorgen, die noch aufzuklären sind. Aber wir wissen: Die Infektionsgefährdung wird vom RKI für die Gruppe der Ungeimpften als sehr hoch, für die Gruppen der Genesenen und Geimpften mit Grundimmunisierung (zweimalige Impfung) als hoch und für die Gruppe der Geimpften mit Auffrischimpfung (dreimalige Impfung) als moderat eingeschätzt. Die Corona-Schutzimpfung kann nicht immer eine Infektion mit dem Coronavirus verhindern, aber Geimpfte erkranken viel seltener und wenn dann weniger schwer. Auf den Intensivstationen sind ganz überwiegend Ungeimpfte.*  Infizierte tragen zudem das Risiko, nach überstandener Infektion vom sogenannten „Long-COVID“ betroffen zu sein, wie schwerer Erschöpfung, anhaltender Atemnot oder neurologischen Störungen. Das Risiko einer schwerwiegenden Nebenwirkung infolge einer Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 liegt bei gerade einmal 0,02 %. Die aktuell in Europa zugelassenen COVID-19-Impfstoffe sind bereits millionen- bzw. sogar milliardenfach verimpft worden. Die Europäischen Arzneimittelagentur EMA hat nun auch den „Totimpfstoff“ Novavax zugelassen. Alle Impfstoffe werden nach der Zulassung stets weiter beobachtet und überwacht. Diese Impfstoffe und auch ihre sehr selten auftretenden Nebenwirkungen sind inzwischen gut bekannt.

Ich möchte nicht noch weitere Infektionswellen hinnehmen, bevor die Impfquote und Genesungsquote vielleicht hoch genug sind, damit wir unsere Freiheit zurückbekommen – die menschlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kosten sind zu hoch. Auch nicht, dass Menschen mit anderen Krankheiten durch die Überlastung der Krankenhäuser nicht rechtzeitig zu ihrer Behandlung kommen. Eine Überlastung der Intensivstationen oder gar eine neue, noch gefährlichere Mutation des Virus würden einen erneuten Lockdown nötig machen. Angesichts der schwerwiegenden Folgen weiterer Lockdowns ist eine allgemeine Impfpflicht das mildere Mittel. Ich bin mir der hohen Bedeutung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit sehr bewusst. Doch bei der Impfplicht-Debatte geht es auch um die körperliche Unversehrtheit derjenigen, die sich nicht impfen lassen können und dann angesteckt werden und schwer erkranken. Und es geht um diejenigen, die dringend auf medizinische Behandlung angewiesen sind und befürchten müssen, wegen voller Intensivstationen abgewiesen zu werden. Und es geht um das Recht aller, endlich wieder ohne Einschränkungen leben zu können, vor allem ohne weitere Lock-Downs.

Deutschland ist ein Land der Freiheit. Doch auch hier gibt es dann eine Grenze, wenn die eigene Weltanschauung anderen Menschen Schaden zufügt. Genau das ist in der Frage der Impfverweigerung der Fall. Eine Impfpflicht ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen. Denn unser Grundgesetz schützt nicht eine willkürliche Freiheit sondern das Prinzip der Freiheit in Verantwortung. Es verpflichtet uns dazu, die Freiheiten aller Betroffenen zu gewichten und auf dieser Basis zu entscheiden. Das Ergebnis dieser Abwägung ist gerade jetzt, nachdem wir mit milderen Mitteln nicht weiterkommen, die Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht. Letztlich geht es auch darum, dass wir alle wieder mehr Freiheiten genießen können. Daher spreche ich mich für eine allgemeine Impfpflicht aus. Die genaue Ausgestaltung steht jetzt an.

Eine Übersicht an weiterführenden Links mit Informationen zur Impfung gegen COVID-19 haben wir Ihnen zusammengestellt:

FAQ des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu COVID-19: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html

FAQ des RKI zur Impfung gegen COVID-19: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html;jsessionid=C25677F1E5D82A51CD18CDBC53914689.internet061

"Epidemiologisches Bulletin" der STIKO: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/34_21.pdf?__blob=publicationFile

Informationen zu den zugelassenen Impfstoffen auf der Seite des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), welches für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist: https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;jsessionid=025392E5DC6AB604B1417FF81F28A39C.intranet241?nn=169730&cms_pos=2

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Corona-Impfung auf der Seite der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/coronavirus-impfung-faq-1788988

Die Informationsseite des Bundesgesundheitsministeriums inklusive eines Informationsangebots in leichter Sprache: https://gesund.bund.de/covid-19-impfung

 

Ich hoffe, dass Sie diese Perspektive nachvollziehen können.

 

Mit besten Grüßen Franziska Brantner

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