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Franz Untersteller
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Frage von Dorota R. •

Frage an Franz Untersteller von Dorota R.

Sehr geehrter Herr Minister,

ich hoffe, Sie sind gut nach dem gestrigen Treffen mit Herrn Minister Altmaier mit dem Flieger nach Hause gekommen.
Auf YouTube konnte ich die Zusammenfassung bzw. die Pressekonferenz zum Windenergiegipfel anschauen.
Da ich als Betroffene die Aussagen der Politiker mit Aufmerksamkeit verfolge, ist mir Folgendes aufgefallen:
Obwohl Sie es vielleicht nicht so meinten, haben Sie die Rettung der Windindustrie zur zentralen Frage gemacht. Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass es nicht die erste Industrie wäre, die in Deutschland dank einer falschen Politik kaputt ginge.
Sie sprechen von Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen wie Abstände (viel zu niedrig mit 700m), Schallemissionen und Schattenschlag einerseits, andererseits halten Sie die gesetzlichen Anforderungen der Flugsicherung und des Deutsches Wetterdienstes für übertrieben. Das führt zu Misstrauen der Bürger, die wirklich ernst genommen werden möchten, weil sie sich sorgen. Erhebliche gesundheitliche Gefahren für WKA-Anwohner, die von immer mehr Ärzten, Neurobiologen und Akustikern im In- und Ausland in verschiedenen Studien nachgewiesen werden, werden von der Politik verdrängt und ignoriert.
Ja, da wäre noch das Thema Windindustrie als Selbstzweck. Ich finde, es ist momentan wirklich ein Selbstzweck. Die Windkraftanlagen machen sehr volatilen Strom, den man nicht speichern kann, und hier im Süden, in Baden Würtemberg, konnten sie im Jahr 2018 nur 17% der aufgrund der installierten Leistung möglichen Energie erzeugen. Mit so einem Ergebnis kann man vielleicht die Windindustrie retten, nicht aber das Klima.
Meine Frage lautet, wie wollen Sie die Akzeptanz der betroffenen Bürger erhöhen, wenn Sie die Abstände von 700 m zur Wohnbebauung für richtig halten?

Mit freundlichen Grüßen,
D. R.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau R.,

vielen Dank für Ihre Frage vom 6. Sept. 2019, in welcher Sie einige Punkte des „Windenergiegipfels“ am 5. September angesprochen haben.

Ich halte den Verlust von rund 26.000 Arbeitsplätzen in der Windenergiebranche (s. Drucksache Bundestag 19/12129 vom 02.08.2019, Seite 6) für sehr gravierend, ja für dramatisch. Daher ist dies für mich ein wichtiger, zentraler Punkt bei der derzeitigen Debatte über die Windenergie – wenn auch nicht der einzige.

Nach dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle verändert sich die Stromerzeugung in Deutschland Jahr für Jahr. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch wächst beständig: von rund sechs Prozent im Jahr 2000 auf rund 38 Prozent im Jahr 2018. Und dieser Anteil wird sich weiter vergrößern. Dabei ist die Windenergie ein zentraler Baustein der Energiewende. Mit einer gesamten Stromerzeugung von rund 112 Terawattstunden lag der Anteil der Windenergieanlagen am deutschen Bruttostromverbrauch im Jahr 2018 bei 18,6 Prozent. Die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde liegt bei Windkraftanlagen an Land inzwischen in einem sehr günstigen Bereich. Daher sehe ich die Windenergie keineswegs als Selbstzweck. Dabei liefern auch die Anlagen im Südwesten ihren Anteil und jede einzelne Anlage führt auch zu einer CO2 – Einsparung. Dabei ist klar, dass eine Windenergieanlage, über das Jahr gerechnet, nicht ständig in voller Last laufen kann. Aufgrund der Schwankungen der Windgeschwindigkeit ist das nicht nur in Baden-Württemberg, sondern überall so. In den letzten Jahren hat sich die Situation durch neue, größere auf das Binnenland optimierte Anlagen aber so weit verbessert, dass die jährliche Stromausbeute gegenüber älteren Anlagen insbesondere im Süden deutlich angestiegen ist. Die Anzahl der Volllaststunden und der Erträge der modernen Anlagen in Baden-Württemberg sind daher mit Anlagen im übrigen Bundesgebiet durchaus vergleichbar. Berichten der Bundesnetzagentur zufolge spielt die sogenannte Ausfallarbeit in Baden-Württemberg eine sehr geringe Rolle. Die Einbindung des volatilen Stroms aus Windenergie in die Stromnetze stellt in Baden-Württemberg daher derzeit kein Problem dar. Im Zuge der fortschreitenden Energiewende werden natürlich umfassende Maßnahmen erfolgen, um weiterhin eine zuverlässige Strombereitstellung bei zunehmend schwankender Stromerzeugung zu gewährleisten.

In Baden-Württemberg gilt eine Abstandsempfehlung von 700 Metern zu Wohngebieten. Dies ist eine Empfehlung aus Gründen des Lärmschutzes, die einen Orientierungsrahmen zur Einhaltung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte (Lärm, Schattenwurf) darstellt. Bei reinen Wohngebieten sind größere Abstände und bei Misch- oder Dorfgebieten und Gewerbegebieten sind ggf. kleinere Abstände zu erwägen. Maßgeblich ist letztlich jedoch in jedem konkreten Genehmigungsverfahren, welches nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) durchzuführen ist, die Einhaltung der Richtwerte nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm). Diese Richtwerte gelten bundesweit. Die Planungsträger können ferner im Einzelfall über die Abstandsempfehlung hinausgehen. Welcher Abstand von welchen Wohngebieten im konkreten Fall planerisch und städtebaulich angemessen ist, hängt stets von allen örtlichen Gegebenheiten, insbesondere dem Baugebietstyp (s.o.) und der jeweiligen Planungssituation ab. Dabei werden oftmals auch Abstände von 1000 Metern und mehr realisiert.

Ich lehne dennoch solche pauschalen Abstände ab, und zwar aus folgenden Gründen: Das Umweltbundesamt hat in einer Studie von Anfang des Jahres festgestellt, dass bei bundeseinheitlich 1.000 Meter Abstand die Regenerativausbauziele und damit die Klimaziele nicht zu erreichen sind, da sich die für Windenergie verfügbaren Flächen in Deutschland um 20 bis 50 Prozent reduzieren würde. Ein pauschaler Abstand von 1.300 m würde mindestens die Hälfte der deutschlandweiten Flächenkulisse aufheben. Bereits mit der bestehenden Flächenkulisse ist unsicher, ob ausreichend Flächen für den notwendigen Windenergieausbau gesichert werden können. Insofern darf es zu keiner weiteren pauschalen Reduzierung möglicher Flächen kommen. Es hat sich außerdem gezeigt, dass für die Akzeptanz ein Abstand von 700 oder 1000 Meter nicht das wesentliche Kriterium darstellt. Ein bedeutsamer Zusammenhang der Akzeptanz von Windenergieanlagen mit dem Abstand zur Wohnbebauung lässt sich nicht nachweisen, wenn der geltende Immissionsschutz eingehalten wurde („Die Aussage, mit steigendem Abstand nähme die Akzeptanz zu oder die Belästigung ab, lässt sich empirisch nicht stützen“ – dies ergab eine Studie aus dem Jahr 2015: „Mehr Abstand – mehr Akzeptanz? Ein umweltpsychologischer Studienvergleich“ der Fachagentur Windenergie an Land). Daher würde eine solche Regelung den Windenergieausbau im Land ganz erheblich beeinträchtigen, ohne wesentlich zur Akzeptanzsteigerung beizutragen oder sonstige immissionsschutzrechtliche Vorteile zu liefern. Unter der heute geltenden Rechtslage wird im Rahmen von Planungs- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren bereits ein ausreichender Immissionsschutz gewährleistet.

Was die Gesundheitsgefahren angeht – Sie sprechen hier wahrscheinlich das Thema Infraschall an – muss ich Ihnen widersprechen. Weder die Gesundheitsbehörden der Länder noch das Robert Koch-Institut oder das Umweltbundesamt sehen derzeit durch den Betrieb von Windkraftanlagen, bei Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Vorgaben, eine Gesundheitsgefahr.

Mit freundlichen Grüßen
Franz Untersteller MdL