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Elisabeth Winkelmeier-Becker
CDU
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Frage von Frank B. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Frank B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Winkelmann-Berger,

am 18. März fand im Bundestag eine Debatte statt, bei der unter anderem auch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (VDS) diskutiert wurde. Sie haben zu diesem Thema gesprochen und Beispiele aus dem täglichen Leben gebracht, bei denen Menschen zu Schaden gekommen sind, weil es keine VDS gab.

Sofern ich die Debatte richtig verfolgt habe, haben Sie dabei Beispiele aus den Bereichen "Urheberrechtsverstöße" und "Betrug" genannt. Bisher sprechen alle Politiker, die sich für die VDS aussprechen, jedoch von einer Anwendbarkeit nur bei "schweren Straftaten" und meinen damit Terror, Mord und Kinderpornographie. In den von Ihnen genannten Bereichen käme die VDS nach dieser Logik gar nicht zur Anwendung.

Meine Frage lautet daher: Sprechen Sie sich für eine erweiterte Nutzung der VDS auch für andere Straftaten im Bereich des Urheberrechts und des Betrugs aus, die bisher explizit ausgeschlossen sein sollten?

Beste Grüße
Frank Brennecke

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Brennecke,

vielen Dank für Ihre Frage zur aktuellen Diskussion über die sogenannte "Vorratsdatenspeicherung" (VDS). Ich begrüße es, dass mit den Äußerungen von SPD-Chef Gabriel wieder Bewegung in diese Diskussion gekommen ist. Im Mittelpunkt steht dabei aus meiner Sicht die bessere Bekämpfung terroristischer Straftaten und schwerer Kriminalität unter Nutzung des Internets wie v.a. im Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Vermarktung entsprechender Aufnahmen auf diesem Weg. Hier stehen schwerwiegende Rechtsverletzungen auf dem Spiel, für deren Verhütung und Aufklärung es oft keine anderen erfolgversprechenden Ermittlungsansätze gibt.
Ich nutze die Gelegenheit gerne, um zunächst nochmals einige Fakten klarzustellen:
- VDS umfasst in keinem Fall die Speicherung von Inhalten; niemand lauscht, liest mit oder hält den Inhalt von Mails, SMS oder Telefonaten fest!

- Es geht bei VDS ausschließlich um die vorläufige Speicherung von Verbindungsdaten einschließlich Funkzellenangaben und IP-Adressen, die bei den Providern (z.B. Telekom, Vodafone etc.) im Zuge der Kommunikation der Kunden entstehen.

- Die Daten werden nicht beim Staat/Innenminster/Justizminister/Polizei ö. ä. zusammengeführt, sondern verbleiben ohne jegliche besondere Aufbereitung und dezentral bei den Providern, bei denen sie entstehen.

- Die Daten werden nicht vom Staat anlasslos erhoben, sondern sie fallen bei den Providern in Zusammenhang mit der Herstellung der Verbindungen ohnehin an. Anlasslos ist dann allerdings die vorgesehene vorläufige Sicherung der Daten bei den Providern. Die Übermittlung und Verwendung der Daten durch staatliche Behörden erfolgt wiederum nur anlassbezogen. Sie setzt den Verdacht einer gesetzlich definierten Straftat oder konkreten Gefahr voraus. Ohne einen solchen Anlass - d.h. in aller Regel! - werden die Daten nach der festgesetzten Frist ohne weitere Nutzung schlicht bei den Providern gelöscht; keine staatliche Stelle bekommt sie jemals zu sehen.

- Damit unterscheidet sich VDS entscheidend gegenüber Datensammlungen à la Google, facebook, Payback etc., die die Daten in ihrer Gesamtheit gerade zu dem Zweck erheben, diese umfassend z.B. zu Werbezwecken auszuwerten und möglichst viel über möglichst viele Nutzer zu erfahren.

- Eine Übermittlung von Verbindungsdaten an staatliche Behörden setzt im Einzelfall eine richterliche Entscheidung voraus, deren Voraussetzungen (Ermittlungen zur Verfolgung oder Verhütung bestimmter, definierter Straftaten) ebenfalls im Gesetz zu regeln sind.

- Weitere Regeln werden die Transparenz bezüglich der Datenübermittlung an staatliche Stellen und den Rechtsweg gegen etwaige rechtswidrige Maßnahmen sicherstellen.

Der Focus der öffentlichen, oft sehr kritischen Diskussion liegt sehr auf den auf Freiheit und Abwehr gerichteten Grundrechten der Telekommunikationsnutzer, denen zu Recht große Bedeutung zugemessen wird. Deshalb werden klare Regeln zu Datensicherheit, Umfang der Datenverwendung, Löschung, Transparenz und Rechtsschutz erforderlich sein. Ein diffuses Gefühl von Bedrohung und Überwachung wäre freiheitswidrig und darf nicht entstehen; das ist auch für mich als potentiell betroffene Bürgerin wichtig.

Es kommt in der Diskussion allerdings oft zu kurz, was auf der anderen Seite der Waagschale liegt: da geht es eben z.B. um das Kind, dessen im Netz angekündigter, dann vollzogener und dokumentierter Missbrauch nicht verhindert werden kann (Beispiel aus der Praxis des BKA), es geht um Aufklärung und Vermeidung von Straftaten mit terroristischem Hintergrund (so hätte man bei Auffliegen des NSU viel schneller ermitteln können, ob/welche weiteren Personen zu dem Netzwerk der drei bekannten Täter gehörten, darauf habe ich in meiner Rede hingewiesen), aber auch um systematische und organisierte Kriminalität gegen eine Vielzahl von Opfern - vom Phishing bis zum unbemerkten Missbrauch privater Computer zu BOT-Netzen. Der Gefahr, Opfer solcher Straftaten zu werden, mangels Zugriff auf IP-Adressen aber keine realistische Chance auf Ermittlung der Täter zu haben, dürfte dabei angesichts der Zunahme solcher Straftaten auch aus der Sicht der Betroffenen zunehmendes Gewicht zukommen. Auch darauf habe ich in meiner Rede hingewiesen.

Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird bei der Regelung zu differenzieren sein, welche Daten unter welchen Voraussetzungen herangezogen werden können. So werden Funkzellenangaben, die ein Bewegungsprofil ergeben können, anders zu behandeln sein als etwa IP-Adressen, die für sich genommen wenig aussagekräftig sind und außerdem immer nur punktuelle Informationen über den Nutzer beinhalten; letztere könnten daher nach ausdrücklicher Feststellung des Bundesverfassungsgerichts eben nicht nur im Fall schwerer Straftaten herangezogen werden (BVerfGE vom 02.03.2010, Rdnr. 254-263): "Weniger strenge verfassungsrechtliche Maßgaben gelten für eine nur mittelbare Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten in Form von behördlichen Auskunftsansprüchen gegenüber den Dienstanbietern hinsichtlich der Anschlussinhaber bestimmter IP-Adressen, die diese unter Nutzung der vorgehaltenen Daten zu ermitteln haben. Die Schaffung von solchen Auskunftsansprüchen ist unabhängig von begrenzenden Rechtsgüter- oder Straftatenkatalogen insgesamt weitergehend zulässig als die Abfrage und Verwendung der Telekommunikationsverkehrsdaten selbst." Ich gehe allerdings davon aus, dass sich die anstehende gesetzliche Regelung auf die Nutzung der Daten im Fall schwerer Kriminalität beschränken wird.

Ohne hier schwarz malen zu wollen: es geht zunehmend auch um die IT-Sicherheit als Ganzes. Dieser Aspekt wird in Zeiten von Hackerangriffen auf TV-Sender, Big Data und Internet der Dinge noch zunehmend wichtiger werden. Nicht umsonst beraten wir gerade ein Gesetz zur Sicherung der IT-Sicherheit. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich in Zukunft auch in der Netzgemeinde der Schwerpunkt der Diskussion verschieben würde - weg von der Sorge, durch staatliche Ermittlungen unberechtigt behelligt zu werden, hin zu der Forderung, besser gegen Manipulationen im Netz geschützt zu werden.

Es ist nun zunächst Aufgabe des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz, hierzu einen konkreten Gesetzentwurf vorzulegen. Ich bin schon gespannt.

Freundliche Grüße
Elisabeth Winkelmeier-Becker

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