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Elisabeth Winkelmeier-Becker
CDU
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Frage von Sven G. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Sven G. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,

können Sie mir bitte erklären warum sie dem zweiten Rettungspaket zugestimmt haben, obwohl es laut ehemaliger Aussagen unserer Kanzlerin und unseres Finanzministers überhaupt nicht dazu kommen konnte?
Wieso stimmten Sie dafür, obwohl rund 90% der Bundesbürger dagegen sind, weitere Gelder nach Griechenland zu schicken?
Es wird jahrelang darüber gestritten ob Hartz4 um ein paar Euro erhöht wird, aber Milliarden nach Griechenland werden ohne Probleme bewilligt!
Haben Sie überhaupt eine Ahnung was Demokratie bedeutet? Ich weiß aufjedenfall das ich Sie und ihre Partei nicht mehr wählen werde!
Eine Partei, welche sich so gegen den Volkswillen stellt kann man nicht weiter unterstützten.
Und kommen Sie mir nicht mit so leeren Aussagen wie, der Euro garantiert den Frieden in Europa und eine Einheit ist der einzige Weg dahin, dies halte ich nämlich für Kokolores! Ich bin gegen den Euro und gegen den Moloch EU, dennoch will ich nicht mit meinen europäischen Nachbarn Krieg führen. Ich schätze und respektiere sie dazu viel zu sehr.
Der Euro ist der Kriegsbringer und die EU-Fantasten die Zündler!

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Gris,

vielen Dank für Ihre Zuschrift zum Thema Griechenlandhilfe. Ich bin Ihrem Appell bei der Abstimmung am 27.2.2012 zwar nicht gefolgt, nutze aber gerne die Gelegenheit, Ihnen meine Gründe näher darzulegen.

Die Frage, ob in der Euro-Schuldenkrise hohe Hilfszusagen und Garantien der richtige Weg sind, oder die Verweigerung von Hilfe, die auf eine Staatspleite der betroffenen Länder hinaus läuft, ist von großer Tragweite und von vielen Unwägbarkeiten geprägt. Den „einzig richtigen“ Weg gibt es hier wohl nicht, und der Chor der sogenannten Experten, die alle letztlich nicht die Verantwortung für die realen Entscheidungen zu tragen haben, ist widersprüchlich und vielstimmig. Dabei gebe ich zu, dass auch mir diese Entscheidungen über Hilfe für Griechenland und demnächst zur Einrichtung des ESM nicht leicht fallen und auch weiterhin nicht leicht fallen werden. Mir ist bewusst, dass mit diesen Verträgen erhebliche Haftungsrisiken für Deutschland verbunden sein können; mich ärgert, wie Sie wahrscheinlich auch, dass die hilfebedürftigen Staaten sich z.T. sehenden Auges in diese Situation hineinmanövriert haben. Trotzdem sprechen aus meiner Sicht wesentliche Gründe dafür, dass sich die Euro-Staaten untereinander helfen. Hier tritt übrigens nicht nur Deutschland für andere Länder ein, sondern auch deutlich ärmere Staaten wie z.B. Estland oder Slowenien, die ebenfalls Haftungsrisiken übernehmen und ihrerseits auch darauf achten, dass die Hilfen keineswegs leichtfertig vergeben werden.

In der Abwägung der jeweiligen Chancen und Risiken, die wir in der Fraktion durchaus offen und kontrovers diskutieren, erscheint mir und der großen Mehrheit der Fraktion aber der am ehesten verantwortbare Weg zu sein, den Kurs der Kanzlerin und des Finanzministers mitzutragen und Hilfen gekoppelt an recht strenge Reformvorgaben zu geben.

Eine vorsichtige Zwischenbilanz fällt zum jetzigen Zeitpunkt auch positiv aus: die von der Schuldenkrise am meisten betroffenen Länder haben mittlerweile Reformen eingeleitet, die wirken und die das Vertrauen auf den Finanzmärkten wieder erstarken lassen. Garantien sind bisher noch nicht geltend gemacht worden und das deutsche Interesse am Erhalt der gemeinsamen Währung und am europäischen Binnenmarkt konnte gewahrt werden; einer KfW-Studie zufolge belaufen sich die volkswirtschaftlichen Vorteile des Euro für Deutschland allein in den vergangenen zwei Jahren auf 50-60 Mrd. Dabei wäre (bzw. ist: der jetzt vereinbarte Schuldenschnitt bei den privaten Gläubigern ist im Grunde eine begrenzte geordnete Insolvenz, die auch bei deutschen Gläubigern schon zu spürbaren Ausfällen geführt hat) eine begrenzte Staatspleite von Griechenland sicher keine Katastrophe, die Gefahr wäre aber, dass davon sogenannte Ansteckungseffekte für andere Staaten ausgehen, so dass auch Deutschland (bzw. deutsche Gläubiger) mit hohen eigenen Forderungen gegen mehrere Länder ausfiele, seine Absatzmärkte verlieren würde und auch selbst Probleme bei der Refinanzierung eigener Staatsschulden bekommen könnte.

Alle europäischen Staaten, einschließlich Deutschlands, sind hoch verschuldet und je nach Laufzeit der Staatsanleihen immer wieder gezwungen, ihre Schulden neu zu refinanzieren. Alle diese Staaten sind deshalb darauf angewiesen, dass weltweit Anleger bereit sind, neue Euro-Staatsanleihen zu kaufen. Dabei geht es nicht um die „Zocker“, sondern um konservative Anleger, die die niedrigen Zinsen von Staatsanleihen gerade wegen der –vermuteten - Sicherheit der Papiere in Kauf nehmen. Sobald im Fall einer ungeordneten Staatspleite aber im Raum stünde, dass Euro-Staatsanleihen nicht bedient werden und nicht nur Zinsen, sondern sogar die Hauptforderung teilweise ausfällt, ist dies verheerend für die Bereitschaft, weitere Euro-Anleihen zu kaufen. Folge wären hohe Risikozuschläge, die von den ohnehin hoch verschuldeten Staaten nicht mehr aufzubringen wären, und die sich auch für Deutschland niemand wünschen kann. Neben der Verantwortung und Solidarität mit der Bevölkerung in den betroffenen Ländern, insbesondere mit den Griechen, denen massive Lebensstandardeinbußen zugemutet wurden, ist dieses „Vertrauen der Märkte“ deshalb ein wesentliches Kriterium für alle Rettungsmaßnahmen.

Mit der Entscheidung vom 27.2.2012, mit der eine Umschuldung der griechischen Schulden bei privaten Gläubigern auf neue, niedrig verzinste 30jährige Anleihen in Verbindung mit einem „Haircut“ um über 50% ermöglicht wurde, sind wir hier einen wesentlichen Schritt weiter gekommen: Die Umschuldung hat bewirkt, dass Griechenland nun 30 Jahre lang keine Anleihen auf den Finanzmärkten platzieren muss. Schulden bestehen jetzt i.W. nur noch bei öffentlichen Gläubigern, also den Kreditgebern des Griechenland I-Pakets, IWF, EZB, EU und EFSF. Dadurch sind die Gefahren durch unkalkulierbare Reaktionen der Märkte vorläufig gebannt.

Wesentlich ist, dass der „Haircut“ bei den griechischen Staatsschulden (der praktisch nichts anderes ist als eine geordnete Insolvenz) sich als klar abgegrenzte, einmalige Situation darstellt, die nicht auf andere Staaten übertragbar ist: Ziel war deshalb eine Schuldenreduzierung auf insgesamt etwa 120% des BIP. Dies ist der Wert, den Italien derzeit ebenfalls etwa erzielt. Damit ist klar, dass bei Italien und anderen Krisenländern kein Handlungsbedarf gesehen wird, sondern diese ihre Anleihen in voller Höhe bedienen werden. Jede Entschuldung Griechenlands unter 120 % des BIP hätte nämlich die Frage aufgeworfen, ob Italien, dann evtl. auch Portugal, Spanien etc. nicht auch einen teilweisen Schuldenschnitt zur Entlastung von ihren Verbindlichkeiten fordern könnten – mit der Folge, dass keine Anleger in Staatsanleihen dieser Länder investieren würden und hohe Umschuldungsvolumina z.B. italienischer Staatsanleihen, die gerade jetzt im Frühjahr anstehen, nicht zu tragbaren Zinsen an den Märkten unterzubringen wären. Vorübergehend war es unumgänglich, dass die EZB solche Staatsanleihen aufkaufte, da sich schlicht keine anderen Anleger auf den Finanzmärkten fanden.

Die öffentlichen Geldgeber haben nun die Chance, Reformen in Griechenland mit Nachdruck einzufordern. Und auch wenn dies alles schneller gehen könnte sind die tatsächlichen Reformen doch schon sehr weitreichend und wirksam. Wenig bekannt ist z.B., dass die Griechen eine Gebietsreformdurchgeführt haben, die die öffentliche Verwaltung maßgeblich strafft und schon einen hohen Personalabbau im öffentlichen Dienst ermöglicht hat. Weitere Schritte sind z.B. in der Steuer- und Sozialverwaltung bereits erfolgt, und Deutschland hat für zukünftige Schritte seine Hilfe zugesagt.

Ohne Hilfe für Griechenland wäre das Land dagegen umgehend zahlungsunfähig, Löhne und Gehälter der Beamten, Renten und sonstige Zahlungen der öffentlichen Hand könnten nicht bezahlt werden, Euroschulden bei anderen Ländern, Banken oder Lieferanten könnten nicht beglichen werden. Auch andere Länder bekämen kein Geld mehr, da kein Anleger mehr von der Sicherheit von Euro-Anleihen überzeugt wäre. Die Ausfälle und Abschreibungen für deutsche Banken und Unternehmen würden sich summieren. Ohne EFSF bzw. in Zukunft ESM wären damit unkalkulierbare Ansteckungsgefahren verbunden.

Nach meiner Einschätzung ist es deshalb der richtige Weg, den Ländern bei den notwendigen Reformen zu helfen, ohne die Situation dort in bürgerkriegsähnliche Zustände eskalieren zu lassen, und ohne das Risiko großer Verwerfungen auf den Finanzmärkten einzugehen, wie wir sie nach der Lehman-Pleite (mit deutlich geringerem Bilanzvolumen als Griechenland) erlebt haben.

Deutschland geht bei dem Druck auf die Regierungen an die Grenze dessen, was in der EU politisch vertretbar und dem Ansehen Deutschlands noch zuträglich ist. Nicht umsonst richten sich üble Nazi-Vergleiche griechischer Demonstranten (die man mit Blick auf deren wirklich schwierige Lage entschuldigen muss) gegen die Bundeskanzlerin, nicht umsonst hat sie auf europäischen Gipfeln mittlerweile den Spitznamen „Madame No“, weil sie eben unsere Interessen als größter Nettozahler so entschlossen gegen alle übertriebenen Begehrlichkeiten verteidigt.

Innenpolitisch ist außerdem klar, dass es auf der einen Seite keine Mehrheit für die Gegner von Griechenlandhilfe und EFSF/ESM-Verträgen gibt (deren Argumente aber nicht einfach weggewischt, sondern mit bedacht werden), und dass auf der anderen Seite jede Konstellation mit weniger Union und mehr SPD oder GRÜNEN zu einer freigiebigeren Positionierung und zu mehr bedingungslosen Hilfen Deutschlands führen würde; das haben zuletzt die Reden der Oppositionsparteien am 27.2.2012 gezeigt und das muss jeder wissen, der der Regierung ihre maßvolle Europolitik vorwirft.

Vor diesem Hintergrund werbe ich für mehr Vertrauen und Unterstützung für den Kurs der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers und trage ihn (immer vorbehaltlich neuer Fakten und einer Prüfung von Hilfszusagen oder des künftigen ESM-Vertrages im Einzelnen) mit meiner Stimme mit.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Winkelmeier-Becker

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