Auf dem Bild ist mittig Delara mit verschränkten Armen vor einem neutralen Hintergrund zu sehen
Delara Burkhardt
SPD
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Frage von Melanie B. •

Wie werden Sie zur EU-Taxonomie abstimmen?

Sehr geehrte Frau Burkhardt,

ich bin Dr. Melanie B., eine Polarforscherin des Alfred-Wegener-Instituts und Mutter zweier Kinder. Ich schreibe Ihnen wegen der bevorstehenden Abstimmung über die EU-Taxonomie und die Aufnahme von fossilem Gas und Atomenergie in diesen delegierten Rechtsakt. Die Aufnahme dieser beiden Technologien würde den Klimazielen der EU erheblichen Schaden zufügen, unsere Energieabhängigkeit vertiefen und wichtige Investitionen von echten erneuerbaren Energien ablenken.

Ein erster Entwurf der Taxonomie sah vielversprechend aus, wurde aber auf Druck einiger Mitgliedsstaaten sowie russischer Gas & Atomkonzerne verwässert. Gazprom Germania, Rosatom, Lukoil und andere haben sich massiv für die Aufnahme von Gas in die Taxonomie ausgesprochen. Es ist unverantwortlich in einer sich derartig zuspitzenden Klimakrise und des Ukraine -Krieges für diese Pläne zu stimmen!
Mit besten Grüßen
M. B.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau B.,

vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die Sustainable Finance-Taxonomie gibt Klassifizierungskriterien zur Nachhaltigkeit innerhalb der EU vor. Mit dem European Green Deal und dem Klimagesetz der EU hat sich die Europäische Union auf die Flaggen geschrieben, bis 2050 klimaneutral zu werden. Im Zuge dessen werden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um dieses Ziel zu erreichen. Unter anderem sollen Finanzmärkte nachhaltiger werden. Mit der Taxonomie, die im Grunde wie eine Verordnung funktioniert, sollen Wirtschaftsaktivitäten in der EU nach ihrer Nachhaltigkeit eingeordnet werden. Eine Wirtschaftsaktivität gilt dann als nachhaltig bzw. taxonomiekonform, wenn sie zu mindestens einem von sechs Umweltzielen einen wesentlichen Beitrag leistet. Die Umweltziele lauten wie folgt:

  • Klimaschutz (Vermeidung/Verringerung von Treibhausgasemissionen oder Stärkung der Speicherung von Treibhausgasen) (Verringerung oder Vermeidung negativer Auswirkungen auf das gegenwärtige oder erwartete Klima; oder Verringerung des Risikos nachteiliger Auswirkungen)
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  • Schutz und Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität

Damit sind Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der EU ökologisch nachhaltig, wenn sie zu mindestens einem der Umweltziele einen wesentlichen Beitrag leisten, dabei nach dem Do-No-Harm-Prinzip nicht eines oder mehrere Umweltziele signifikant beeinträchtigen, ein gewisses Mindestmaß an Schutz der Menschenrechte ausgeübt wird und sie den technischen Bewertungskriterien entsprechen.

Bei der Taxonomie handelt es sich nicht um ein verpflichtendes Tool für Investitionen und ökonomischen Aktivitäten in der EU. Vielmehr handelt es sich um einen Referenzrahmen für nachhaltige Investitionen. Investor*innen dürfen weiterhin auch in nicht als nachhaltig eingestufte Projekte investieren. Langfristig ist das Ziel, dass alle Investitionen nachhaltig gestaltet sind. Die Kommission beschreibt das Ziel selbst so: „Durch die EU-Taxonomie sollen private Investitionen mobilisiert und in Tätigkeiten gelenkt werden, die notwendig sind, um in den nächsten 30 Jahren Klimaneutralität zu erreichen.“

Aktuell greifen schon die Bewertungskriterien für die Umweltziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel. Für die anderen Umweltziele werden nun Bewertungskriterien ausgearbeitet. Dabei ist auf die Kohärenz der Ziele zu achten: Unbedingt einzuhalten sind immer das Prinzip „Do No Significant Harm“ (Schaffe keinen signifikanten Schaden) und das Prinzip der „Substantial Contribution“ (Wesentlicher Beitrag zu mindestens einem Umweltziel). So soll sichergestellt werden, dass Wirtschaftsaktivitäten im Sinne eines Umweltziels nicht zu Lasten eines anderen Umweltziels geschehen.

Mit dem Vorschlag der Kommission zu einem ergänzenden Delegierten Rechtsakt wird aufgrund wissenschaftlicher Gutachten vorgeschlagen, Gas und Atomenergie als Energiequellen in die Taxonomie mitaufzunehmen.

In einigen Ländern, Frankreich etwa, hat man sich sehr über diesen Vorstoß gefreut. Die Kommission begründet den Vorschlag damit, dass Gas und Atomstrom klimafreundlicher seien als Kohle, was nicht abzulehnen ist. Sie verspricht, dass die Energiequellen innerhalb der Taxonomie nach „klaren und strengen Kriterien“ eingestuft werden würden.

Meine Fraktion, die Socialists and Democrats, sehen diesen Vorstoß genau wie ich sehr kritisch. In einem Schreiben an die Kommission, Präsidentin Ursula von der Leyen und Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Mairead McGuiness, hat sich die Fraktion der S&D daher gegen dagegen ausgesprochen, Energieerzeugung auf der Basis von Gas und Kernkraft als taxonomiekonform einzustufen.

Für mich ist klar, dass Atomenergie wegen der nicht geklärten Frage der Lagerung von Atommüll gegen das „Do No Significant Harm“-Prinzip verstößt. Außerdem ist Atomenergie teurer als Erneuerbare Energien und nur mit großen Subventionen zu stemmen. Durch den Atommüll steht Kernenergie im Widerspruch zum Umweltziel der Kreislauffähigkeit. Obendrein dauern die Genehmigung und der Bau neuer Atomkraftwerke viel zu lange, um bis 2050 klimaneutral zu sein.

Mit diesem Vorschlag zeigt die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen, dass ihr wissenschaftliche Erkenntnisse und das Motto „Listen to the Science” egal sind. Während in Schleswig-Holstein in der Silvesternacht das letzte AKW in Brokdorf vom Netz gegangen ist, geht die EU-Kommission zurück in die Vergangenheit. Ihr eigenes wissenschaftliches Berater*innengremium hatte sich gegen eine Einstufung der Atomenergie als nachhaltig ausgesprochen. Dass die Kommission sich nun dagegen wendet, ist Hohn und Spott für alle Klimaforscher*innen und diejenigen, die sich seit Jahrzehnten für ein Aus der hochriskanten Atomenergie in Europa einsetzen.

Dasselbe gilt auch für Erdgas. Auch wenn wir Erdgas für den Übergang benötigen – in einer Nachhaltigkeits-Taxonomie hat es nichts zu suchen, denn es ist und bleibt klimaschädlich. Das wäre Etikettenschwindel und würde die Glaubwürdigkeit der Taxonomie komplett aushöhlen. 

Ich habe mich im Europäischen Parlament dafür stark gemacht, die Regelung zu stoppen. Leider ist dieser Versuch gescheitert. Leider besteht nur noch geringe Hoffnung darüber, dass die Taxonomie so nicht umgesetzt wird, obwohl das vorliegende Papier bisher nur ein Entwurf ist. Nur, wenn 20 der 27 Mitgliedsstaaten der EU gegen die Annahme der Taxonomie in dieser Form stimmen, wird sie abgelehnt. Das gilt leider als unwahrscheinlich.

Hintergrund zum Verfahren:

Wie bei dem ersten delegierten Rechtsakt auch haben Parlament und Rat, die der Kommission die Befugnis zum Erlass dieses delegierten Rechtsakts übertragen haben, vier Monate Zeit, den Rechtsakt zu prüfen und, falls sie es für notwendig erachten, Einwände zu erheben. Gemäß der Taxonomieverordnung können beide Organe eine Verlängerung der Frist um weitere zwei Monate beantragen. Der Rat hat das Recht, ihn mit verstärkter qualifizierter Mehrheit abzulehnen (d. h., mindestens 72 % der Mitgliedstaaten (mindestens 20 Mitgliedstaaten), die mindestens 65 % der Bevölkerung der EU vertreten, müssen Einwände gegen den delegierten Rechtsakt erheben), und das Europäische Parlament kann ihn mit einer Mehrheit (mindestens 353 MdEP) im Plenum ablehnen.

Nach Ablauf dieser Frist und sofern weder das Europäische Parlament noch der Rat Einwände erhoben haben, tritt der (ergänzende) delegierte Rechtsakt in Kraft und gilt.

Mit freundlichen Grüßen

Delara Burkhardt

Quellen:

https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/economy/20200604STO80509/forderung-eines-nachhaltigen-finanzwesens-eu-definiert-grune-investitionen

https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/finance-and-green-deal_de

https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/sustainable-finance-taxonomy-faq_en.pdf

https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_2

https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/sustainable-finance-taxonomy-factsheet_en.pdf

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