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Christian Hirte
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Frage von Wilfried M. •

Frage an Christian Hirte von Wilfried M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Hirte,

in Thüringen existieren "fachliche Empfehlungen" zur "Kooperation" zwischen Jugendamt und Familiengericht.

Diese sehen unter anderem regelmäßige Datenübermittlungen bei Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten vor, für die weder ein vernünftiger Sachzweck ersichtlich ist noch eine Rechtsgrundlage nach den geltenden Datenschutzgesetzen und § 203 StGB.

So sollen die Familiengerichte offenbar regelmäßig Kopien von Antragsschreiben, Schriftsätzen und Gutachten der Parteien an die Jugendämter übermitteln. Solche Schreiben enthalten regelmäßig Privatgeheimnisse, auch sog. Drittgeheimnisse und Gerüchte über private Lebensverhältnisse.

Die entsprechenden "fachlichen Empfehlungen" einer namentlich nicht weiter beschriebenen "interdisziplinären Arbeitsgruppe" finden sich im Internet unter Punkt "A, I 1.", S. 2 bei (1).

Nach meinen Untersuchungen gibt es in einem - u.a. auf Gewaltenteilung und unabhängiger Rechtssprechung basierenden - Rechtsstaat keinerlei gesetzliche Grundlage zur "Kooperation" eines Richters mit irgend einer Behörde. (Es stimmt z.B. auch nicht, daß ein Richter ein Jugendamt um die "Mitwirkung" im Verfahren "bitten" müßte.)

Ich hätte gern von Ihnen in Erfahrung gebracht, wie Sie als Katholik, Jurist, CSU- Mitglied und MdB zu den wohl eindeutig illegalen Empfehlungen der gesichtslosen "Arbeitsgruppe" (über deren Zusammensetzung ich aus Erfurt keine Auskunft erhielt) stehen.

Immerhin hat Ihr MdB- Kollege Wunderlich entsprechende Verhältnisse in Bayern als skandalös bezeichnet (2).

Kann es sein (und dabei bleiben), daß die Neuen C- Parteien gegenüber totalitären Entwicklungen heute toleranter sind als die LINKE?

Mit frdl. Gruß

W. Meißner
Gruppe Justizkontrolle / Scientologyabwehr Deutschland

1) http://www.ljrt-online.de/wDeutsch/download/ljha/beschluesse/2008/111-08_Anlage_fachl_Empfehlungen_KoopJA_Familieng.pdf
2) http://www.abgeordnetenwatch.de/joern_wunderlich-650-5524--f220130.html#q220130

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Meißner,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne etwas ausführlicher beantworten möchte.

Nach 17 Abs. 3 SGB VIII ist das FamG verpflichtet, das Jugendamt nach Eingang des Scheidungsantrags über das Verfahren zu unterrichten, soweit gem. § 622 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gemeinschaftliche minderjährige Kinder vorhanden sind. Die Unterrichtungspflicht besteht auch in den Fällen der einvernehmlichen Scheidung, in denen zusätzlich zu den Angaben nach § 622 Abs. 2 ZPO die Angaben nach § 630 ZPO gemacht werden müssen. Die rechtzeitige Unterrichtung des Jugendamtes ist auch wichtig, damit dieses dem Gericht relevante Tatsachen noch vor der Anhörung (§ 613 ZPO) mitteilen kann.

Für die Praxis stellt sich die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Trennungs- und Scheidungsberatung nach § 17 und Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren nach § 50. Die Beratungsarbeit verlangt einen geschützten Raum, der es den Eltern ermöglicht, sich vertrauensvoll zu offenbaren, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Informationen gegen ihren Willen durch die Jugendhilfe an das Gericht weitergegeben werden. Die Brückenfunktion der Jugendhilfe, durch Unterstützung der Eltern beim Aufbau neuer Kommunikationsmöglichkeiten nach der Trennung und Scheidung zur Entlastung von Kindern und Jugendlichen beizutragen, würde durch eine Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren in der bislang üblichen Form der Abgabe einer gutachterlichen Stellungnahme oder gar durch die Unterbreitung eines Entscheidungsvorschlages zur Regelung der elterlichen Sorge vereitelt.

Zur Lösung des scheinbar widersprüchlichen Auftrags der Jugendhilfe wird deshalb zum einen vorgeschlagen, dass zumindest in den Fällen, in denen die Beratung nach § 17 bis zur Entscheidung des Familiengerichts zu keinem einvernehmlichen Konzept geführt hat, die Aufgabe der Mitwirkung nach § 50 in herkömmlicher Form von einer anderen Person wahrgenommen werden sollte. Da die Informationen aus dem Beratungsprozess unstrittig dem Datenschutz nach §§ 61 ff. unterliegen, wäre eine völlig neue Datenerhebung erforderlich (vgl. u. a. Coster, FamRZ 1992, 617 ff.; Oberloskamp, FamRZ 1992,1241 ff.).

Zum anderen werden in einem ganzheitlichen Ansatz - Beratung und Mitwirkung in Personalunion - neue Formen der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Familiengericht und daraus resultierend eine veränderte Ausgestaltung der Mitwirkung nach § 50 empfohlen (so z. B. die fachliche Empfehlung des Landesjugendamtes Hessen zur Durchführung der Beratung in Fragen der Trennung und Scheidung und der Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren für die Jugendämter in Hessen; die Empfehlungen des Deutschen Vereins, NDV 1992, 148 - s. Anhang 1 -; vgl. u. a. auch Hahn in: Hahn/Lomberg/Offe, Scheidung und Kindeswohl, S. 71 ff.; Mörsberger, ZfJ 1990, 365 ff.). Hierbei geht es auch um die grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Leistungen und anderen, sogenannten hoheitlichen Aufgaben.

Das KJHG räumt jenseits der Schwelle des § 1666 BGB im Zweifel der Leistung, die durch die Aufgabenerfüllung nicht gefährdet werden darf, einen Vorrang ein. Die Jugendhilfe hat auch im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung nach § 50 ihren Auftrag entsprechend den Grundzielen des § 1 zu erfüllen. Eine organisatorische Trennung ist deshalb aus Rechtsgründen nicht erforderlich (vgl. auch zu § 50) und unter fachlichen Gesichtspunkten abzulehnen, weil damit eine unnötige weitere Belastung der Eltern verbunden wäre, eine solche Trennung der Vertrauensbildung abträglich wäre, da nur schwer zu vermitteln sein dürfte, dass ein Datenaustausch innerhalb des Amtes ausgeschlossen ist, und davon eine mittelbare Störung des Beratungsprozesses ausgehen kann. Die Entscheidung über Einheit oder Trennung der Aufgabenwahrnehmung nach den §§ 17 und 50 unterliegt der kommunalen Organisationshoheit, nicht aber dem Bundesgesetzgeber.

Der ganzheitliche Ansatz scheint meiner Ansicht nach der praktikablere zu sein. Sollten sich indes auch beim gegenwärtigen Verfahren tatsächlich Verstöße gegen den Datenschutz ereignen, so wäre eine Mitteilung an den Thüringer Datenschutzbeauftragten geboten. Da mir selbst keinerlei Fakten betreffs einer Datenschutzverletzung vorliegen bitte ich Sie, mit dem Thüringer Datenschutzbeauftragten Kontakt unter

Thüringer Landesbeauftragter für den Datenschutz
Herrn Harald Stauch
Postfach 900455
99107 Erfurt

aufzunehmen.

Ich hoffe, Ihre Frage damit erschöpfend beantwortet zu haben und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Christian Hirte, MdB

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