Portraiaufnahme von Anke Domscheit-Berg mit rotem Hut
Anke Domscheit-Berg
DIE LINKE
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Frage von Steffen S. •

Der Krieg in der Ukraine eskaliert weiter und die Energieversorgung ist nicht mehr gesichert. Ist es nicht an der Zeit deeskalierend auf beide Konfliktparteien einzuwirken, anstatt Waffen zu liefern?

Portraiaufnahme von Anke Domscheit-Berg mit rotem Hut
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr S.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht.

Den gewaltsamen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, der derzeit gleichsam Auslöser für unterschiedliche außen- und sicherheitspolitische Debatten ist, verurteilen ich und meine Fraktion zutiefst. Entstanden ist eine unwiderrufliche humanitäre Katastrophe.

Die Linksfraktion versuchte, sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ein Bild vor Ort zu erlangen. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, besuchte beispielsweise ukrainische Krankenhäuser, Notkliniken und Hilfsorganisationen im Krisengebiet (https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/hilfe-fuer-die-ukrainische-bevoelkerung-gregor-gysi-und-gerhard-trabert-auf-delegationsreise/).

Für  Anfang  März  hatte  ich  selbst  mit  anderen  linken  MdB  eine  Reise  in  die  Ukraine  geplant,  die  wegen  des  Kriegsausbruchs  ausfallen  musste.  Voraussichtlich  werde  ich  diesen  Besuch  im  August  nachholen  können  und  mir  vor  Ort  selbst  ein  Bild  machen.  In  meinem  eigenen  Ort  habe  ich  durch  die  aktive  Unterstützung  der  Flüchtlingsinitiative  für  ukrainische  Kriegsflüchtlinge schon  jetzt  einen  erschütternden  Eindruck von  der  Lage  vor  Ort  erhalten.  Mehrere  Monate  war  ich selbst Gastgeberin  für  5  Geflüchtete,  2  Frauen  und  ihre  3  Kinder,  die  in  ständigem  Kontakt  mit  ihren  Angehörigen  waren,  die  sich  weiter  im  Kriegsgebiet  aufhielten. 

In der Bewertung führen alle  diese  verschiedenen Eindrücke in ein Dilemma, wenn es um die Abwägung politischer Entscheidungen geht. Einerseits muss eine weitere militärische Eskalation mit Russland, als derzeit unberechenbare Nuklearmacht, unbedingt  vermieden werden,  das  gleiche  gilt  für  die  Einbeziehung  Deutschlands  (oder  sonstiger  Länder)  in  den  Konflikt. Ein  Friedensprozess muss  über diplomatische Lösungen funktionieren, weshalb  ihnen  weiterhin die oberste Priorität beigemessen werden  muss.  Dennoch  hat  die  Ukraine  als  angegriffenes  Land  einen  völkerrechtlichen  Anspruch  auf  Selbstverteidigung  und  Verteidigung  geht  nicht  ohne  Waffen.  Was  ist  nun  richtig,  was  ist  falsch?  Ich  finde  die  Entscheidung  darüber  außerordentlich  schwierig.  Für  Deutschland  kommt  jedoch  noch  unsere  ganz  besondere  Geschichte  hinzu,  auch  sie  ist  ein  Argument  gegen  Waffenlieferungen  aus  Deutschland.  Und  was  passiert  mit  den  Waffen  später?  Waffen  werden  oft  viele  Jahrzehnte  genutzt,  sie  wandern  von  Hand  in  Hand,  in  andere  Länder,  andere  Auseinandersetzungen,  in  den  kriminellen  Untergrund. 

Für  die  Linke  überwiegen  die  Argumente  gegen  Waffenlieferungen  aus  Deutschland, vor diesem Hintergrund stimmte die Linksfraktion auch gegen den am 28. April 2022 im Deutschen Bundestag eingebrachten Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, der einer Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine den Weg ebnete. In der dazugehörigen Plenardebatte hinterfragte unser Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch vorrangig das strategische und langfristige Ziel Deutschlands hinter dieser Entscheidung und verwies auf den noch eine Woche zuvor von Bundeskanzler Olaf Scholz anvisierten Kurs, keine schweren Waffen in die Ukraine liefern zu wollen.

Weiterhin kritisieren  wir  scharf  den 100 Milliarden Euro Paket zur Erhöhung des Rüstungsetats, da  er  eine  enorme  Aufrüstung bedeutet  und die dafür benötigten Finanzmittel anderweitig viel  dringender  benötigt  werden, beispielsweise für die Herausforderungen der Klimakrise und den Ausbau erneuerbarer Energie, die insbesondere im aktuellen Konflikt umso eklatanter wurde. Weitere Beispiele finden Sie hier: https://100mrd.linksfraktion.de/

Allerdings, und das macht diesen bestehenden Widerspruch aus, bleiben jene Versuche bislang erfolglos, eine diplomatische und somit friedliche Lösung mit der repressive und autoritäre Regierung in Russland zu finden. In dieser Konstellation ist ein weiterer und alleiniger Verweis auf diplomatische Lösungen mit Blick auf die realpolitischen Verhältnisse inhaltsleer. Ohne  Druck  werden  Verhandlungen  nicht  erfolgreich  sein,  wenn  wir  keinen  militärischen  Druck  wollen,  muss  es  andere  Optionen  geben,  z.B.  härtere  Sanktionen. 

Unsere unzureichenden  Positionen werden  nicht nur in der historischen Zäsur mit dem russischen Angriffskriegs auf die Ukraine  offensichtlich, sondern verdeutlichten sich bereits bei der Abstimmung zum Evakuierungsmandat in Afghanistan. Ausgehend davon haben sich unterschiedliche Debatten innerhalb der Linken ergeben, wie beispielsweise der von Caren Lay verfasste Text "Linke Außenpolitik braucht ein Update" (https://www.rosalux.de/news/id/46154/linke-aussenpolitik-braucht-ein-update)  oder die Debatte zur "Linken Außen- und Sicherheitspolitik in Zeiten des Krieges" (https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=VuuKxsHojBI&feature=youtu.be).

Die Linke muss zwingend über eine Weiterentwicklung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Positionen einen innerparteilichen solidarischen Diskussionsprozess führen, ohne jedoch ihre friedenspolitischen Grundsätze zu verwerfen. Das Linke sich genau diesem Themenfeld zuwenden muss, geht auch aus einer aktuellen Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung hervor (https://www.rosalux.de/publikation/id/46565/eine-partei-mit-zukunft-die-linke). In dieser gaben 43 Prozent der Befragten, die sich tendenziell vorstellen könnten, die Linke zu wählen, dies derzeit aber nicht tun, an, dass dies auf ihre außenpolitischen Positionen zurückzuführen ist. 

Geht es um glaubhafte Positionen, müssen wir unsere Positionen schärfen und ausdifferenzieren, beispielsweise im Falle der Durchsetzung des Völkerrechts, insbesondere mit Blick auf das Selbstverteidigungs- und Bündnisrecht von Ländern im Angriffsfall, unser Verhältnis zur Bundeswehr oder – mit Blick auf den derzeitigen Krieg in der Ukraine - auch die Wahrung des Sicherheitsbedürfnisses von osteuropäischen Ländern.  Ich  werde  mich  gern  an  dieser  notwendigen  Debatte  beteiligen,  im  vollen  Wissen,  dass  es  keine  einfachen  Lösungen  und  kein  Schwarz-Weiß  darin  gibt. 

Mit freundlichen Grüßen

Anke Domscheit-Berg 

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