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Anette Kramme
SPD
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Frage von Gerhard R. •

Frage an Anette Kramme von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Haus- / Wohnungsbesuche und Durchsuchungen im Rechtsumfeld des SGB II

Sehr geehrte Frau MdB Kramme,

sowohl in meiner ehrenamtlichen Arbeit als Berater im vorgenannten Rechtsbereich, aber auch immer wieder in den Medien, dazu hier: www.youtube.com/watch?v=fH0iP1MHMBI&sns=em
sind Vorkommnisse festzustellen, in in ihrer Ausführung und Gestaltung wohl ganz unzweifelhaft gegen wesentliche Grundrechte, hier die des Art 13 GG - Unverletzlichkeit der Wohnung, verstoßen.

Ganz offenbar sind hier die Behörden der Arbeits- und Sozialverwaltung in Gestalt der JobCenter und ARGEn zu der Auffassung geraten, in höchstem Maß lückenhaft gestaltete Rechtsnormen und Verwaltungsvorschriften nach Gutdünken - oftmals mit einer mehr als herabwürdigenden Argumentation der "Verwaltungseffizienz - auslegen und anwenden zu dürfen.

Soweit jedoch wesentliche Grundrechte eingegriffen wird, haben die Väter und Mütter (?) des Grundgesetzes hier wesentliche Grenzen im Art 19 GG gesetzt, die letztendlich auch festlegen, das der Wesensgehalt eines Grundrechtes in keinem Falle angegriffen werden darf!

Wenn sich Betroffene (wie im hier verlinkten Filnausschnitt) an Vorgehensweisen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR erinnert fühlen, ob zu Recht oder Unrecht, müssen diese Assoziationen für ein an demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichtetes Gemeinwesen verheerende Wirkung entfalten!

Was werden Sie, als Mitglied des Deutschen Bundestages in der Fraktion der SPD und deren Generalsekretärin - auch z. B. gegenüber dem Bundesverfassungsgericht - unternehmen, um dieser widerlichen Unterhöhlung wesentlicher Grundrechte ein Ende zu setzen!

Vielen Dank vorab für Ihren Einsatz

Sehr geehrter Herr R.,

wir haben in der Fraktion thematische Arbeitsteilung. ...
Insofern kann ich Sie nur bitten, Ihre Fragen und Anmerkungen noch einmal an Anette Kramme zu senden.

Beste Grüße
Andrea Nahles

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Roloff,

ich habe mir Ihren Link angeschaut und die Bundesagentur für Arbeit um Stellungnahme gebeten. In ihrer Antwort wies die BA darauf hin, dass sie im Mai 2009 umfangreiche Weisungen zu außendienstlichen Tätigkeiten der gemeinsamen Einrichtungen (gE) in Form von Fachlichen Hinweisen (FH) zu § 6 SGB II veröffentlicht hat. Die FH sind verbindlich, soweit Aufgaben der BA betroffen sind.

Zum Thema Observationen: Seit dem 20.08.2009 besteht für die gE die Weisung, dass Observationen unzulässig sind (Rz. 6.11 der FH). In dem Beitrag der Sendung Panorama wurde durch einen Mitarbeiter des Jobcenters Bad Homburg observiert. Dieses gehört zum Landkreis Hochtaunuskreis, der als zugelassener kommunaler Träger (zkT - s. § 6a SGB II) die Aufgaben eigenverantwortlich wahrnimmt. Die Weisungen der BA sind für zugelassene kommunale Träger nicht verbindlich, die Aufsicht obliegt den zuständigen Landesbehörden (§ 48 Abs. 1 SGB II). Der BA sind hier die Hände gebunden.

Zum Thema Hausbesuche: Die BA vertritt die Auffassung, dass Hausbesuche nicht grundsätzlich rechtlich zu beanstanden sind, aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre jedoch besondere Vorschriften (Kapitel 2.1 der FH) gelten.
• So sollen Hausbesuche nur in besonders begründeten Fällen durchgeführt werden, wenn sich ein Sachverhalt nicht anderweitig ermitteln lässt. Das Argument „Verwaltungseffizienz“ reicht also nicht aus. Nur zur schnelleren Klärung ist ein Hausbesuch nicht geeignet, sondern ausschließlich zur Klärung von Sachverhalten, die anders nicht verbindlich klärbar sind.
• Der Leistungsberechtigte kann den Zutritt zur Wohnung verweigern. Wegen der Verweigerung ist es nicht möglich, einen Leistungsanspruch nach § 66 SGB I zu versagen, da für Hausbesuche keine Mitwirkungspflicht im Rahmen des § 60 SGB I besteht. Es ist allenfalls möglich, die beantragte Leistung abzulehnen, wenn der Sachverhalt nicht anderweitig aufgeklärt werden kann (z. B. bei der Beantragung von Erstausstattungen für die Wohnung).
• Hausbesuche sollen grundsätzlich angekündigt werden, es sei denn, die Ankündigung würde den Zweck vereiteln. Die Erforderlichkeit von unangekündigten Hausbesuchen ergibt sich insb. bei Verdacht auf Leistungsmissbrauch.
• Hausbesuche in Situationen, in denen nur Minderjährige anwesend sind, sind grundsätzlich nicht erlaubt (s. auch Rz. 6.14 der FH). Das im Beitrag von Panorama verantwortliche JobCenter hat den Fehler auch eingeräumt.

Sehr geehrter Herr Roloff,

ich habe den Eindruck, dass die Bundesagentur für Arbeit bemüht ist, ihre Kompetenzen verantwortungsbewusst und klug abgewogen einzusetzen. Die Regeln sind detailliert und aus meiner Sicht hinreichend streng. Ein völliges Verbot von Hausbesuchen halte ich für schwierig, weil bestimmte Missbräuche dann nicht kontrolliert werden könnten.

Es gibt also kein ‚Anweisungsdefizit‘, sondern allenfalls ein Vollzugsproblem, wenn sich einzelne Mitarbeiter zu viel herausnehmen. Um solche Kompetenzüberschreitungen zu vermeiden, sollte eine gründliche Schulung der Mitarbeiter stattfinden.

Inwieweit die zuständigen Landesbehörden ihre Kontrollfunktion über die zugelassenen kommunalen Träger (ehemals „Optionskommunen“) angemessen ausüben, kann ich nicht einschätzen. Mein Eindruck ist, dass mehr Kontrolle hier nicht schaden würde.

Mit freundlichen Grüßen
Anette Kramme

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