Portrait von Agnieszka Brugger
Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
79 %
26 / 33 Fragen beantwortet
Frage von Hans-Jürgen S. •

Frage an Agnieszka Brugger von Hans-Jürgen S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Brugger,

Grüne und auch SPD empören sich derzeit wegen der Datenskandale und der, man muss es wohl so auch konkret nennen, der Spionagetätigkeit angeblich befreundeter Staaten in Deutschland und gegen deutsche Bürger. Im Grundsatz zurecht, wie ich finde. Jedoch, Grüne und Rote stellten längere Zeit die Bundesregierung, wussten also spätestens seit dieser Zeit über die Existenz von Geheimverträgen mit u.a. den USA, dass D nicht völlig souverän ist, wie andere Staaten.
Konkrete Frage: Warum haben die seinerzeitigen Regierungsparteien nicht öffentlich Front gemacht gegen diese Ungeheuerlichkeiten?
Warum wird nicht offensiv für den Grundrechtsschutz nach Art. 10 GG geworben?
Und last not least, warum treten nicht einmal die Grünen stärker für das Instrument der Bügerbefragungen ein nach Schweizer Modell?

Portrait von Agnieszka Brugger
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schirmer,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 16.07.2013.

Zunächst möchte ich dabei auf Ihre Fragen eingehen, die sich auf das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes sowie auf Datenspionage durch US-amerikanische und britische Geheimdienste beziehen.

Für uns Grüne hat der Schutz der persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger einen besonders hohen Stellenwert. Wir vertreten seit Jahren den Grundsatz: Meine Daten gehören mir! Das gilt auch für die Kommunikation im Internet, die sich im Zuge der fortschreitenden technischen Entwicklung und Verbreitung von Technologien wie etwa Smartphones und Tablets vervielfacht hat. Anstatt die neu entstandene Masse von Daten ungehemmt zu speichern und zur Überwachung oder Profilerstellung zu missbrauchen, fordern wir mehr Transparenz, Kontrolle und Einspruchsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger bei der Frage, wer was wann und wo zu welchem Zweck speichert und übermittelt. So haben wir bereits in dem Fraktionsbeschluss "Datenschutz modernisieren: Recht auf Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis ins Grundgesetz" von 2008 gefordert, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung explizit ins Grundgesetz aufzunehmen und den Artikel 10 des Grundgesetzes zu einem umfassenden Kommunikationsgeheimnis, welches auch zukünftigen Kommunikationsformen gerecht würde, weiter zu entwickeln. Eine entsprechende Formulierung haben wir auch in unserem aktuellen Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013. Dort heißt es:

Seit über einem Jahrzehnt erleben wir den Abbau, die Aufweichung und Relativierung von Grundrechtsstandards. Uns reicht es deshalb nicht aus, nur den Erhalt der Bürgerrechte zu fordern. Wir GRÜNE wollen unsere Bürgerrechte wieder stärken und dem neu geschaffenen Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gesetzlich Geltung verschaffen. Das Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 GG wollen wir zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln, das die digitale Welt umfasst. So darf unter dem Deckmantel der sogenannten Cybersicherheit nicht der Abbau eines freien und offenen Internets vorangetrieben werden. Bürgerrechtsfeindliche Gruselstücke wie die Vorratsdatenspeicherung oder die heimliche Online-Durchsuchung von Computern haben in einer freien, rechtsstaatlichen Gesellschaft keinen Platz.
Die massive Ausweitung der Bestandsdatenauskunft, die von CDU/ CSU, FDP und SPD vorangetrieben wurde, lehnen wir ab.

Wir sagen damit auch eindeutig, dass im Zuge der Terrorabwehr, insbesondere nach dem Anschlägen vom 11. September 2001, auch unter grüner Regierungsbeteiligung leider neue Möglichkeiten und Befugnisse für die Sicherheitsorgane geschaffen wurden. Gleichzeitig wurden erst durch uns Grüne, die damals weder das Innen- noch das Justizressort und auch nicht die Verantwortung über das Bundeskanzleramt innehatten, zahlreiche zeitliche Begrenzungen und Evaluierungsklauseln eingezogen. Es ist absolut unverständlich, dass CDU/CSU und FDP sich beharrlich weigern, diese nun auch endlich umzusetzen.

Die Totalüberwachung des Kommunikations- und Datenaustausches deutscher Staatsangehöriger durch inländische und ausländische Geheimdienste und Polizei stellt allerdings zweifellos eine Zäsur dar. Hierbei handelt es sich um einen massiven Verstoß gegen die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Sicherheit steht unserem grünen Verständnis nach aber im Dienste der Freiheit, nicht umgekehrt. Angesichts der täglich neuen Hiobsbotschaften, die uns derzeit über PRISM und TEMPORA erreichen, ist das offen zur Schau gestellte Desinteresse der schwarz-gelben Bundesregierung und ihre völlige Untätigkeit schlicht inakzeptabel.

Welche Informationen es über eine Kooperation zwischen deutschen und ausländischen Geheimdiensten wie etwa der National Security Agency (NSA) bereits damals gegeben hat und ob im Zuge dieser Kooperation Grundrechte der Bundesbürgerinnen und –bürger verletzt worden sind, wollen wir in einem Untersuchungsausschuss aufklären. Hier muss auch der Frage nachgegangen werden, seit wann die deutschen Dienste, die ja unmittelbar vom Bundeskanzleramt kontrolliert werden, von entsprechenden Programmen wissen und gegebenenfalls selbst profitieren. Sollte sich herausstellen, dass die Verletzung von Grundrechten wissentlich geduldet worden ist, müssen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Hierfür sowie für die tatsächliche Durchsetzung und dringend benötigte Stärkung unserer Bürgerrechte setzen wir uns auch weiterhin ein.

In Bezug auf Ihre dritte Frage erlaube ich mir Sie darauf hinzuweisen, dass wir Grünen uns ebenfalls seit langem für die Stärkung direktdemokratischer Elemente einsetzen.
Demokratie lebt davon, dass sich nicht nur Abgeordnete und Parteimitglieder mit Politik beschäftigen, sondern dass alle Menschen mitreden können und von ihren Möglichkeiten Gebrauch machen, sich einzumischen. Zu Wählen - ob in Europa, Bund, Land oder Kommune - ist dabei ein wichtiger Schritt, denn die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wie die Politik der Zukunft aussehen soll.

So wichtig und zentral die Wahlentscheidung in unserem politischen System ist, mir reicht das nicht aus! Deshalb setze ich mich dafür ein, dass die Menschen viel mehr als bisher direkt an politischen Entscheidungen beteiligt werden und sich noch stärker einmischen können. Insofern stehen wir Grüne auch einer Bürgerbefragung grundsätzlich positiv gegenüber. Um die Bürgerinnen und Bürger stärker in den politischen Prozess der Entscheidungsfindung einzubinden hat beispielsweise die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ein Online-Portal für Bürgerbeteiligung eröffnet, welches Sie unter folgendem Link aufrufen können: https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/en/startseite/ . Hier können Sie sich über alle Informationen zum Thema Beteiligung in Baden-Württemberg informieren und zu konkreten Beteiligungsverfahren der unterschiedlichen Ministerien gelangen. Außerdem hat die grün-rote Landesregierung in einem aus meiner Sicht historischen und tollen Schritt den ersten Volksentscheid in Baden-Württemberg ermöglicht.

Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass dem Volk grundsätzlich durch Volkinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid die Möglichkeit gegeben werden muss, auf allen Ebenen des politischen Entscheidungsprozesses wichtige Sachfragen rechtlich bindend selbst zu entscheiden. Um das zu erreichen, müssen die Hürden für direkte Beteiligung gesenkt werden. Ein wirksamer Minderheitenschutz ist dabei für uns selbstverständlich. So sollen Volksinitiativen, die darauf aus sind, die Rechte einer Minderheit einzuschränken, unzulässig sein. Auch Grundrechte und wesentliche Verfassungsprinzipien dürfen durch Volksentscheide nicht zur Disposition gestellt werden. Für die direkte Demokratie soll das Transparenzgebot gelten: Es muss Klarheit geben, aus welchen Finanzquellen sich Volksentscheid-Kampagnen speisen. Wie bei der Parteienfinanzierung möchten wir auch hier die Spendenhöhe begrenzen. Auf EU-Ebene wollen wir schließlich zu gesamteuropäischen Volksentscheiden kommen.

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Agnieszka Brugger
Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen