Sie lehnen Exporte in Länder ab, bei denen Völkerrechtsverstöße drohen. Wie rechtfertigen Sie nun Waffenlieferungen an die Türkei – trotz autoritärer Entwicklung und Einsätzen in Syrien.

Sehr geehrter Herr Dr. R.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre kritischen Nachfragen zu Waffenlieferungen an die Türkei. Gerade bei sensiblen Themen wie Rüstungsexporten ist eine transparente Auseinandersetzung wichtig. Dementsprechend nehme ich Ihre Bedenken sehr ernst.
Die Debatte um Waffenlieferungen an die Türkei ist in der Tat komplex und mit einer Vielzahl politischer, strategischer und rechtlicher Implikationen verbunden. Vor all diesen steht jedoch die Wahrung des Völkerrechts als oberste Maxime und als Fundament unserer Politik.
Im internationalen Vergleich verfolgt Deutschland eine der restriktivsten Rüstungsexportpolitiken. Die Genehmigung solcher Exporte erfolgt ausschließlich nach sorgfältiger Prüfung durch den Bundessicherheitsrat – ein geheim tagendes Gremium, dem neben dem Bundeskanzleramt auch die Ministerinnen und Minister für Auswärtiges, Wirtschaft, Inneres, Verteidigung, Entwicklung und Justiz angehören. Die rechtliche Grundlage bilden u. a. das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz, der Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty; „ATT“) sowie die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“. Nähere Informationen finden Sie unter anderem hier: https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/FAQ/Aussenwirtschaft/faq-ruestungsexporte.html
Die Politischen Grundsätze geben dabei vor, dass der Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland ein besonderes Gewicht beigemessen wird. Wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die zu liefernden Rüstungsgüter zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden, wird eine Genehmigung grundsätzlich nicht erteilt. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine hervorgehobene Rolle. In ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie bekräftigt die Bundesregierung zudem, dass bei Rüstungsexportentscheidungen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Empfängerland besondere Berücksichtigung finden und eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik zugleich auch unsere Bündnis- und Sicherheitsinteressen, geostrategische Lage und die Anforderungen einer verstärkten europäischen Rüstungskooperation berücksichtigte.
Dieses Spannungsfeld wird im Falle der Türkei besonders gut sichtbar. Deshalb werden Waffenlieferungen an die aktuelle türkische Regierung – trotz NATO-Zugehörigkeit – seit langem kontrovers diskutiert. Die Türkei ist geostrategisch an der Südostflanke des NATO-Bündnisses ein zentraler Akteur und wichtiger Partner, darüber hinaus Transitland im Energiesektor und Akteur in der Schwarzmeerregion. Zugleich gibt es, wie Sie zurecht ansprechen, unter der aktuellen Regierung problematische rechtsstaatliche Entwicklungen.
Insofern muss jede Rüstungsexportentscheidung in die Türkei sorgfältig abgewogen werden. Ein vollständiger Exportstopp in die Türkei würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Verhaltensänderung der türkischen Regierung führen, sondern würde die Türkei von westlichen Sicherheitsstrukturen entkoppeln und anderen Akteuren – etwa Russland – in die Hände spielen. Deshalb gilt: Kritischer Dialog statt blindes Vertrauen, klare Grenzen statt vorbehaltloser Kooperation.
Wir setzen uns für eine gemeinsame und koordinierte europäische Rüstungsexportpolitik ein. Dabei ist uns wichtig, dass sich eine solche Politik an gemeinsamen Werten und strategischen Prioritäten orientiert. Europäische Rüstungsgüter dürfen nicht in falsche Hände geraten.
Es darf keinen außenpolitischen Automatismus geben, der strategische Interessen über demokratische Prinzipien stellt. Die Balance zwischen sicherheitspolitischer Realität und wertegeleiteter Außenpolitik ist oft schwer zu halten – aber genau darin liegt unsere Verantwortung.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage damit beantworten. Bei Rückfragen wenden Sie sich gerne an mein Team und mich.
Mit freundlichen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB
Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion