Peking und Neu-Delhi bauen Lieferketten um, vorbei an der EU, der Staatenbund der BRICS+ erweitert sich! Feiert die EU ihre moralische Klarheit, während der Rest der Welt die Landkarten neu zeichnet?
Sehr geehrter Herr Ahmetovic,
immer neue EU Sanktionen gegen Russland, an denen sich die USA aber nicht beteiligen.
Begründet wird uns dies als unsere moralischen Verpflichtung zur Bestrafung der russischen Aggression.
Da stellen mir sich zunehmend besorgte kritische Fragen.
1. Treffen unsere Sanktionen nicht zuerst diejenigen, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, nämlcih die russichen und deutschen Menschen?
2. Wie schließen Sie als deutscher Abgeordneter aus, das die Russland-Sanktionen der EU einen Umbau der politischen und wirtschaftlichen Weltordnung nicht noch beschleunigen, der nicht im Interesse Deutschlands liegt?
3. Wie schließen Sie aus, dass das jüngste Sanktionspaket zwar wie erneuter Druck auf Moskau wirken soll, aber auch eine Einladung an das Land ist, seine Zukunft ohne Westeuropa neu zu entwerfen?
4. Eine für mich sehr sehr wichtige Frage: Was verliert die EU und vor allen Deutschland, wenn sie Russland so entschieden in Richtung Asien drängen?

Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Gerne möchte ich Ihnen persönlich antworten. Sie sprechen sehr aktuelle Themen an, die auch mich als Außenpolitiker bewegen.
Wie Sie zurecht anmerken, haben sich die internationalen Rahmenbedingungen mit der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten spürbar verändert. Der vorübergehende Rückzug der USA vom 18. EU-Sanktionspaket gegen Russland hat Differenzen innerhalb des transatlantischen Bündnisses offengelegt, welche mit Sorge zu beobachten sind. Nichtsdestotrotz ist die Stärke und Bedeutung der EU nicht kleinzureden. Die EU verfügt über eine beachtliche Handlungsmacht. Als ehemals wichtigster Handelspartner Russlands wiegen europäische Handelsbeschränkungen deutlich schwerer als Maßnahmen aus Washington.
Zudem verdeutlichen aktuelle Entwicklungen die Dynamik der internationalen Sanktionspolitik. Präsident Trump erwägt mittlerweile die Einführung von Sekundärsanktionen gegen China und Indien, was zeigt, wie rasch sich die US-Position verändern kann. Vor diesem Hintergrund ist die EU gut beraten, ihre Entscheidungen eigenständig und im europäischen Interesse zu treffen. Ihre Rolle als Handelsmacht sollte sie gezielt nutzen, um internationalen Druck auf Akteure auszuüben, die das Völkerrecht missachten und grundlegende Prinzipien der regelbasierten internationalen Ordnung untergraben.
Neben wirtschaftlichem Druck begrüße ich selbstverständlich auch diplomatische Bemühungen, um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Dass dies bislang jedoch von wenig Erfolg gekrönt ist, liegt daran, dass Russland keinerlei Interesse an einem friedlichen Europa zeigt. Es ist eben nicht die EU, die Russland „wegdrängt“, sondern Russland hat durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die bewusste Abkehr vom Völkerrecht selbst den Weg der Isolation gewählt.
Putins imperialistische Machtbestrebungen stellen eine gravierende Bedrohung für die europäische Sicherheitsordnung dar. In dieser Auseinandersetzung geht es demnach nicht um Moral, sondern um Frieden und die Wahrung des Völkerrechts – jene Prinzipien, die internationale Kooperation zwischen Staaten überhaupt erst ermöglichen.
Mit Blick auf die BRICS+-Gruppe und deren jüngste Erweiterung verstehe ich Ihre Sorge, dass sich große Staaten abseits der EU zusammenschließen. Dabei ist jedoch zu betonen, dass es sich bei BRICS+ um eine sehr heterogene Staatengruppe handelt, innerhalb derer mit China und Indien sogar territoriale Konflikte bestehen. Es ist daher schwerlich anzunehmen, dass diese Staaten künftig im Konsens neue Grenzen ziehen werden.
Auch gegenüber Staaten wie China bin ich davon überzeugt, dass die EU ihre eigenen Werte und Interessen selbstbewusst vertreten und zugleich geopolitische wie wirtschaftliche Realitäten anerkennen muss. Denn Prinzipientreue und Pragmatismus schließen sich nicht zwingend aus (lesen Sie diesbezüglich gerne auch mein Interview mit dem Handelsblatt: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/adis-ahmetovic-chinas-wirtschaftsmodell-bedroht-arbeitsplaetze-in-deutschland/100138807.html).
Abschließend möchte ich nochmal betonen: Wir ruhen uns nicht auf einer vermeintlich moralischen Überlegenheit aus, sondern verfolgen das Ziel, einen kritischen und konstruktiven Kurs zu steuern – einen Kurs, der die EU auf der internationalen Bühne sichtbar hält.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit Ihre Frage beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB