Problematische Nebentätigkeiten: Bei diesen Abgeordneten gibt es potenzielle Interessenkonflikte

Rund ein Viertel der Bundestagesabgeordneten geht nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen bezahlten Nebentätigkeiten nach – in Aufsichtsräten, als Berater oder Rechtsanwälte. Eine kürzlich erschienende Transparency-Studie belegt: In den meisten Fällen gibt es potentielle Interessenkonflikte. Wer sind diese Abgeordneten – und wo liegt das Problem?  

von Marthe Ruddat, 14.12.2016
Grafik Transparenzstudie Transparency International 2016

Letzten Sommer machte abgeordnetenwatch.de öffentlich, dass zahlreiche Abgeordnete als Aufsichtsrat oder Lobbyist für einen Unternehmensverband mittlere fünfstellige Beträge oder mehr erhalten. Wer genau die Geldgeber unserer Parlamentarier sind und warum dies in den meisten Fällen ein Problem darstellt, beleuchtet eine Untersuchung von Transparency International Deutschland.

In 105 Fällen ergeben sich aus den Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten potenzielle Interessenkonflikte. Im Klartext heißt das: Bei vielen Politikern überschneiden sich die Inhalte ihrer Ausschussarbeit oder ihre Funktionen in der Fraktion mit dem Gegenstand ihrer Nebentätigkeit. Die Unabhängigkeit der Abgeordneten muss in solchen Fällen kritisch hinterfragt werden.

[Liste: In diesen 105 Fällen gibt es potentielle Interessenkonflikte (pdf)]

"Durch nebenberufliche Tätigkeiten können Interessenkonflikte entstehen, und die Frage kommt auf: Handeln die Abgeordneten im Auftrag der Wählerinnen und Wähler oder gehen sie ihren nebenberuflichen Interessen nach?" schreiben die Autoren. Vor diesem habe man sich den Deutschen Bundestag als Herz des politischen Systems genauer angesehen und untersucht, inwieweit Abgeordnete in Funktionen, die besonders entscheidungsrelevant sind, in den Fraktionen und Ausschüssen über solche Nebeneinkünfte verfügen.

Einige Beispiele für potenzielle Interessenkonflikte von Bundestagsabgeordneten:

  • Hans-Peter Uhl (CSU) berät als Rechtsanwalt Unternehmen und Investoren und hat damit in der laufenden Legislaturperiode mindestens 271.000 € nebenbei verdient. Da jedoch nicht klar ist, wer seine Klienten sind und ob sich darunter Rüstungsunternehmen befinden, birgt seine Tätigkeit als Obmann des Untersuchungsausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle einen potentiellen Interessenkonflikt.
  • Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lässt sich als Aufsichtsratsmitglied des Steinkohlekonzerns RAG AG mit 30.000 bis 50.000 Euro im Jahr bezahlen, ebenso viel kassiert Joachim Poß (SPD) bei einer RAG-Tochter. Hier ergeben sich mögliche Interessenkonflikte, wenn im Bundestag über Kohlesubventionen abgestimmt wird.*
  • Die Liste von Peter Ramsauers (CSU) Nebentätigkeiten ist lang: Strategieberatung, Unternehmensbeirat, Verwaltungsrat. Im Bundestag ist Ramsauer Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – ein potentieller Interessenkonflikt liegt auf der Hand.
  • Volkmar Vogel (CDU) ist Mitglied des Fachbeirates beim Baustoffriesen Rockwool und kassiert dafür jährlich bis zu 30.000 €. Als Abgeordneter setzte sich Vogel laut SPIEGEL für die finanzielle Aufstockung des Gebäudesanierungsprogramms der Bundesregierung ein - wovon am Ende auch Rockwool profitiert haben dürfte. In den Gremien des Unternehmens sitzen auch der SPD-Politiker Johannes Kahrs und sein CDU-Kollege Thomas Bareiß. Sie erhalten für Ihre Dienste ebenfalls bis zu 30.000 Euro im Jahr.
  • Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Peter Meiwald sitzt im Aufsichtsrat des Energieversorgers EWE AG, mit einem Jahresumsatz von über 8 Milliarden Euro einer der größten deutschen Energieverorger. Für seine Tätigkeit wird Meiwald mit bis zu 30.000 Euro im Jahr bezahlt. Im Bundestag ist er der Obmann seiner Fraktion für den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
  • Rudolf Henke (CDU) ist u.a. Arzt, Vorsitzender des Ärztebeirates bei der Allianz AG und Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Ärzteversicherung AG. Als stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses hat er einen privilegierten Zugang zu Informationen über Gesetzesentwürfe, die auch seine Geldgeber betreffen können.
  • Hans Michelbach (CDU/CSU) ist Inhaber der MIBEG Unternehmensgruppe und als Mitglied des Finanzausschusses befangen, wenn es dort um Themen wie Unternehmens- oder Erbschaftssteuer geht.
  • Ulla Schmidt (SPD), frühere Gesundheitsministerin, kassiert als Verwaltungsratsmitglied des Schweizer Pharmakonzerns Siegfried Holding AG bis zu 150.000 Euro jährlich. Das Unternehmen ist auch in Deutschland tätig. Im Bundestag nimmt Schmidt als Mitglied des Präsidiums und des Altensrates eine herausgehobene Stellung ein.

Problematische Nebenjobs vor allem bei Abgeordneten von CDU/CSU

Besonders auffällig an der Transparency-Analyse: Von den 105 Fällen stammt der allergrößte Teil aus der Union. Von den 60 Berichterstattern mit möglicherweise problematischen Nebentätigkeiten kommen zwei Drittel aus der CDU/CSU-Fraktion. Unter den Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertretern mit potentiellen Interessenkonflikten sind es 16 von 22 Abgeordnete.

Dass problematische Nebenjobs unserer Volksvertreter nicht für jede Bürgerin und jeden Bürger ersichtlich sind, liegt vor allem an den unzureichenden Transparenzregeln. Wenn Rechtsanwälte und Unternehmensberater nicht einmal die Branche ihrer Mandanten nennen müssen, bleibt vollkommen im Dunkeln, ob sie im Bundestag an Gesetzen beteiligt sind, von denen auch ihre Geldgeber profitieren.

abgeordnetenwatch.de fordert deswegen:

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Grundlage für die TI-Untersuchung bilden die auf der Internetseite des Bundestages angegeben Nebeneinkünfte der Abgeordneten und ihre als relevant eingestuften Rollen im Parlament. Die Parlamentarier sind durch die Verhaltensregeln zur Veröffentlichung und ständigen Aktualisierung ihrer Nebentätigkeiten und -einkünfte auf bundestag.de verpflichtet. Allerdings bleiben die tatsächlichen Nebeneinkünfte der Öffentlichkeit verborgen: Denn die Angaben erfolgen in einem Raster mit zehn Verdienststufen, wobei die höchste Stufe 10 auch noch nach oben hin unbegrenzt ist. Als wichtige Rollen wurden von Transparency solche eingestuft, durch die Parlamentarier großen Einfluss auf die Aufgabenverteilung und Meinungsbildung innerhalb des Parlaments oder ihrer Fraktion haben. Dazu gehören Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische Geschäftsführer, Ausschussvorsitzende, Obmänner und Obfrauen eines Ausschusses und Berichterstatter zu einem Gesetzesvorhaben.

* Nachtrag vom 19.12.2016: Joachim Poß legt Wert auf folgende Feststellung: "1. Ich bin als Vertreter der Arbeitnehmer Mitglied im Aufsichtsrat der RAG Deutsche Steinkohle AG und vertrete dort die Interessen der Beschäftigten. Meine Tätigkeit in diesem Aufsichtsrat ist also Ausdruck gelebter Mitbestimmung. 2. Für diese Tätigkeit erhalte ich pro Jahr 35.000 Euro, von denen ich – den Richtlinien der Gewerkschaft entsprechend  - alles bis auf 6.400 Euro an die Hans-Böckler-Stiftung und andere Stiftungen und gemeinnützige Einrichtungen abführe. 3. Mit der Kohlevereinbarung aus dem Jahr 2006 ist das Auslaufen des Steinkohlebergbaus seit langem endgültig entschieden. Dies gilt auch für die damit zusammenhängenden Finanzierungsfragen. Damit stellt sich auch die Frage eventuell auftretender Interessenkonflikte nicht mehr." Ungeachtet der Frage, ob das Auslaufen des Steinkohlebergbaus entschieden ist, hat die RAG Deutsche Steinkohle AG nach wie vor unternehmersiche Interessen. Von daher birgt die Tätigkeit von Herrn Poß (und von anderen Politikern) in unseren Augen einen potenziellen Interessenkonflikt.