Exekutiver Fußabdruck

Wie Kanzleramt und Innenministerium die Offenlegung von Lobbyeinfluss verhinderten

Warum fehlen im neuen Lobbyregister strenge Transparenzpflichten? Interne Unterlagen zeigen, dass Kanzleramt und Innenministerium hinter den Kulissen den sogenannten "exekutiven Fußabdruck" verhinderten und sich gegen weitere Maßnahmen stemmten, die den Lobbyeinfluss auf die Gesetzgebung sichtbar machen sollen. Innenminister Seehofer und Kanzleramtschef Braun setzten sich persönlich gegen mehr Transparenz ein.

von Martin Reyher, 21.06.2021
Horst Seehofer und Helge Braun

Der Lobbyist vom Verband der chemischen Industrie (VCI) hatte ein ungewöhnliches Anliegen: strenge Transparenzregeln für sich und seine Zunft. Mitte Januar bat er deswegen im Bundesinnenministerium (BMI) um einen Termin, um das Thema mit dem zuständigen Staatssekretär von Horst Seehofer zu erörtern. Doch es gab ein Problem: Im Ministerium wollte man von einem strikten Lobbyregister nichts wissen. Der Chemielobbyist blitzte mit seiner Gesprächsanfrage ab, offiziell wegen der noch "laufenden Abstimmung" innerhalb der Bundesregierung.

Interne Regierungsunterlagen zeigen nun erstmals, warum im kürzlich von Union und SPD beschlossenen Lobbyregister strenge Transparenzvorschriften für die Bundesregierung fehlen: Das Innenministerium und das Kanzleramt sorgten dafür, dass Lobbyeinfluss weiterhin im Verborgenen stattfinden kann. Sie verhinderten den sogenannten "exekutiven Fußabdruck", der Einflussnahme durch Konzerne, Interessenverbände und Organisationen auf die Gesetzgebung, sichtbar macht. Und sie hielten den Kreis der Lobbyakteure, die sich ins Lobbyregister eintragen müssen, klein. Aus den Dokumenten geht außerdem hervor, dass Innenminister Seehofer und der Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun (CDU), sich persönlich gegen mehr Transparenz einsetzten.

Fraktionschef Brinkhaus stoppte einen Vorstoß für ein Lobbyregister – dann kam die Amthor-Affäre

Dass sich die Union überhaupt auf Transparenzregeln in Form eines Lobbyregisters einließ, war vor allem der Amthor-Affäre geschuldet, die der SPIEGEL im Juni 2020 aufgedeckt hatte. In einer internen Vorlage des Bundeskanzleramtes vom 1. Juli 2020 vermerkte ein Beamter: "Die Unionsfraktion sieht angesichts des politischen Drucks seit der Diskussion um MdB Amthor Handlungsbedarf".

Bis dahin war Lobbytransparenz für CDU und CSU eine eher lästige Angelegenheit. Als der Unionsabgeordnete Patrick Sensburg 2019 schon einmal einen Vorstoß für ein Lobbyregister wagte, wurde das Vorhaben schnell von höchster Stelle kassiert: Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der Parlamentarische Geschäftsführer Patrick Schnieder und der Parlamentarische Staatssekretär im BMI, Günter Krings, senkten ihren Daumen. "Das Vorhaben soll nicht weiterverfolgt werden", heißt es in den Akten, die Kanzleramt und Innenministerium auf Antrag von abgeordnetenwatch.de nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgeben mussten.

Nach Auffliegen der Amthor-Affäre war das strikte Nein zu einem Lobbyregister in der Öffentlichkeit nicht länger zu vermitteln. Auf einmal schien selbst ein "exekutiver Fußabdruck", den CDU und CSU bis dato stets bekämpft hatten, in greifbarer Nähe. Der Beamte aus dem Kanzleramt berichtet in den Unterlagen davon, dass die Union der SPD signalisiert habe: "Wir verstehen Euer Anliegen". Deshalb würde die Unionsfraktion auch keinen Widerstand leisten, wenn die Bundesregierung ihren Gesetzentwürfen künftig auf einer Extraseite ("Vorblatt") einen "exekutiven Fußabdruck" voranstellt, also die Dokumentation von Lobbyakteuren, die im Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt haben.

Und tatsächlich: In einem ersten Entwurf des Innenministeriums sei ein "exekutiver Fußabdruck" enthalten gewesen, heißt es in einer Vorlage für Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Dadurch habe die "Art und Weise", in der hochrangige Regierungsmitglieder Kontakte mit Lobbyakteuren unterhalten, transparent gemacht werden sollen.

"Ursprünglich war im Entwurf auch ein sogenannter exekutiver Fußabdruck enthalten gewesen", so steht es in einer Vorlage für Kanzleramtschef Braun (Screenshot der Vorlage)
"Ursprünglich war im Entwurf auch ein exekutiver Fußabdruck enthalten", heißt es in einer Vorlage für Kanzleramtschef Helge Braun vom 30. Dezember 2020. Doch im späteren Lobbyregister-Gesetz ist davon keine Rede mehr.

Doch im späteren Lobbyregister-Gesetz, das der Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD im März 2021 beschloss, findet sich von dem "Fußabdruck" keine Spur mehr. Warum?

In einem internen "Sachstand" zum Lobbyregister aus dem Dezember 2020 nehmen die Beamt:innen im Kanzleramt kein Blatt vor den Mund: "BKAmt befürwortet grundsätzlich mehr Transparenz, lehnt administrative Überkontrolle jedoch ab (kein exek. Fußabdruck...)". Im Innenministerium von Horst Seehofer war man sogar der Ansicht, dass es bereits einen "ausreichenden exekutiven Fußabdruck" gebe: Man veröffentliche schließlich schon die Stellungnahmen von Interessenorganisationen im Gesetzgebungsverfahren. (Dass sich die Bundesregierung 2018 zu diesem Schritt überhaupt bereit erklärt hatte, war nicht ganz freiwillig gewesen, sondern ging auf die Aktion "Gläserne Gesetze" von abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat zurück: Innerhalb weniger Tage hatten Bürger:innen bei den Bundesministerien die Herausgabe von mehr als 1.600 Stellungnahmen verlangt – die Regierung beschloss daraufhin, auch alle künftigen Lobbyschreiben zu den Gesetzesvorhaben ins Netz zu stellen. In den Akten streichen BMI und Kanzleramt diese Transparenzmaßnahme mehrfach heraus).

Streit hinter den Kulissen

Hinter den Kulissen spielte sich zu diesem Zeitpunkt ein handfester Streit zwischen den Unions-geführten Ressorts und den SPD-Ministerien über die Ausgestaltung des Lobbyregisters für die Bundesregierung ab. Vor allem SPD-Justizministerin Christine Lambrecht drängte auf weitreichende Transparenzmaßnahmen. In einem Brief vom 13. Oktober 2020 verlangte Lambrecht von Innenminister Seehofer "einen Beitrag zu noch mehr Transparenz". Sie halte weitere Änderungen und Ergänzungen für nötig, insbesondere "die Identifizierung der Einflussnahme(möglichkeiten) von Interessenvertretungen auf Gesetzentwürfe, oft formuliert mit den Stichworten 'Exekutiver bzw. Legislativer Fußabdruck', 'Veröffentlichung von Kontakten'."

Auf Unionsseite hatte man als treibende Kraft freilich nicht die Justizministerin ausgemacht, sondern jemand anderen: den Finanzminister, Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz.

Seehofer, Scholz, Merkel
"BM Seehofer möchte nicht mit BM Scholz sprechen, sondern mit der Kanzlerin", schrieb das Büro von Seehofers Staatssekretär an die beteiligten Beamt:innen.

"Nach Informationen aus dem BKAmt insistiert Herr BM Scholz auf der Einbeziehung des exekutiven Fußabdrucks", schrieben Beamt:innen des BMI in einem Sachstand für den Minister. Seehofer wurde laut der Unterlagen deshalb im Anschluss an ein "Koordinierungsgespräch" seitens der Union gebeten, Scholz von seiner Forderung abzubringen – doch dazu kam es offenbar nicht: "BM Seehofer [möchte] nicht mit BM Scholz sprechen, sondern mit BKin [Bundeskanzlerin]", heißt es in einer Mail aus dem Büro von Seehofers Staatsminister Richter an die beteiligten Beamt:innen im Haus.

Intern stellte Seehofer klar, dass mit seinem Entgegenkommen nicht zu rechnen sei. Man werde das Thema Lobbyregister weiterhin zwischen Union und SPD besprechen, heißt es in einer Ministervorlage – dahinter hat Seehofer handschriftlich vermerkt: "Ja, wobei auch ich Zugeständnisse ablehne". An anderer Stelle ist davon die Rede, "dass kein Verhandlungsspielraum beim exekutiven Fußabdruck" bestehe. Das Wort "kein" ist in dem Dokument unterstrichen.

"Ja, wobei ich Zugeständnisse ablehne" (Screenshot Aktennotiz von Horst Seehofer)
Aktennotiz mit grünem Ministerstift: "Ja, wobei auch ich Zugeständnisse ablehne", vermerkte der Innenminister.

Auch mit einer anderen Forderung stieß die SPD-Justizministerin auf den erbitterten Widerstand der Unionsseite. Kanzleramtschef Helge Braun persönlich setzte sich dafür ein, den Kreis der Lobbyakteure, die sich in das Lobbyregister eintragen müssen, möglichst klein zu halten. "ChefBK bittet darum, den Personenkreis (...) zu begrenzen". Braun beharrte auf eine Registrierungspflicht nur für jene Interessenvertreter:innen, die Kontakt zur Leitungsebene in Ministerien und Kanzleramt aufnehmen, also zur Kanzlerin, den Minister:innen, Staatssekretär:innen und Parlamentarischen Staatssekretär:innen. Die SPD verlangte dagegen, sämtliche Kontaktaufnahmen bis hinunter zur Referatsebene eintragungspflichtig zu machen. Von den Referent:innen werden im Gesetzgebungsverfahren die ersten Entwürfe zu Papier gebracht, weswegen Lobbyakteure hier nicht selten ihre Chance auf frühzeitige Einflussnahme sehen.

Neben Kanzleramtschef Braun stemmte sich auch das Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) gegen eine Registrierungspflicht für Lobbyakteure, wenn sie Kontakt zu Referent:innen in den Bundesministerien aufnehmen. In einer BMI-Vorlage findet sich dazu der bemerkenswerte Satz: "Notwendiger freier Austausch zwischen Unternehmen und Ministerien wird behindert." Mit anderen Worten: Die Unionsseite, die als Konsequenz aus der Amthor-Affäre Lobbyismus eigentlich transparenter gestalten wollte, strebte eher das Gegenteil an: den ungehinderten Austausch zwischen Lobbyakteuren und der Regierung.

Aufatmen im Kanzleramt

Am Ende gelang es der SPD zumindest, die Union dazu zu bewegen, nicht nur die Leitungsebene der Ministerien ins Lobbyregister aufzunehmen, sondern zusätzlich noch die Ebenen der Abteilungs- und Unterabteilungsleiter:innen. Im Kanzleramt atmete man auf: Dieser Schritt sei zwar "nicht zu verhindern" gewesen, heißt es in einer Vorlage für Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 5. März 2021. "Zu begrüßen" sei aber, dass weder die Referentenebene noch der "exekutive Fußabdruck" Eingang in das Lobbyregister-Gesetz gefunden habe.

Doch im Stab der Kanzlerin ahnte man bereits, dass der "Fußabdruck" schon bald wieder auf die politische Agenda kommen dürfte. SPD und Grüne hätten ihn in ihren Programmen stehen, vermerkte eine Referatsleiterin. "[Es] ist davon auszugehen, dass das Thema auch weiterhin kontrovers diskutiert wird."

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