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Frage von Petra A. •

Frage an Wolfgang Tiefensee von Petra A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Tiefensee,

wenn eine Zuwanderung unkontrolliert und nicht in Abstimmung mit den Menschen sondern rein aus ökonomischen oder politischen Gründen erfolgt, ist diese dann gut? Verlierer sind aus meiner Sicht unqualifizierte Zuwanderer, die mit zu großen Erwartungen und Versprechungen nach Deutschland kommen, aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen werden und mit der Kultur und der Gesellschaft in unserem Land nicht zurechtkommen. Aber aus meiner Sicht kann auch die hiesige Bevölkerung ein Verlierer sein, wenn eine zu hohe Zuwanderung zu Arbeitsplatzmangel und Ghettoisierung ihres Lebensumfeldes führt, der Sozialstaat belastet wird und somit der Innere Frieden gestört wird. Stimmen Sie dem zu?

Gerne sende ich Ihnen diesen Link mit:

www.fr-online.de/arbeit---soziales/armutsmigration-riexinger-greift-csu-an,1473632,25746234.html

Wie Sie anhand dieses Links sehen können, sagte Herr Riexinger u.a. folgendes:

„Wenn eine Regierungspartei gegen Ausländer hetzt, darf man sich nicht wundern, wenn braune Gewaltbanden Taten folgen lassen. Hetze hilft niemandem.“

Was soll denn an dem CSU-Vorstoß "Hetze" sein? Bisher stand besagten Personen meines Wissens diese Sozialleistungen auch nicht zu.

Bei rp-online.de steht u.a. folgende Arbeitsmarktprognose:

"Arbeitslose würden von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen aber nur vergleichsweise wenig profitieren. Ihnen fehle es oft an der erforderlich Qualifikation. "Arbeitslose und das Angebot an offenen Stellen passen oftmals nicht zusammen", stellen die IAB-Wissenschaftler fest. Daher würden Unternehmen neue Stellen immer häufiger mit gut ausgebildeten Zuwanderern aus Süd- und Osteuropa besetzen".

Wenn man dieser Prognose glauben darf, wird es für viele Arbeitslose wohl keine neue Chance auf einen neuen Job geben.
Warum missachtet die Politik das?
Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema und habe viele ausländische Freunde.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Althoff

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Althoff,

vielen Dank für Ihre Frage vom 29. Dezember 2013.

Deutschland ist und bleibt ein Einwanderungsland. Das ist per se gut. Wir sind aufgrund des demografischen Wandels auf Zuwanderung angewiesen: von hoch-, mittel- und auch gering qualifizierten Menschen.

Die Formulierung der Sorge der vermeintlichen Einwanderung von Bulgaren und Rumänen in unser Sozialsystem, die die CSU schürt, teilt die SPD nicht, ich teile sie auch nicht. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat mitgeteilt, dass Bulgaren und Rumänen, die in Deutschland Hartz IV beziehen, "Aufstocker" sind, also einer regulären Arbeit in Deutschland nachgehen, für die sie aber schlecht bezahlt werden. Deutsche Hartz IV-Bezieher arbeiten nach Auskunft der BA seltener ( http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hartz-iv-bezieher-aus-rumaenien-und-bulgarien-sind-oft-aufstocker-a-943782.html ).

Das ändert allerdings nichts daran, dass die – seit 1. Januar 2014 uneingeschränkte – EU-Arbeitnehmerfreizügigkeitsrichtlinie einige Großstädte (z.B. Berlin, Duisburg, Dortmund) in Deutschland vor große Probleme stellt: Die Bulgaren und Rumänen kommen nach Deutschland, um hierzubleiben. Sie versuchen hier ihr Glück, sind auf der Suche nach einem besseren Leben als in ihrer Heimat. Es kommen im Übrigen nur jene nach Deutschland, die sich die Reise leisten können. Diejenigen, die es sich nicht leisten können, bleiben in Bulgarien und Rumänien.

Anreize, nach Deutschland zu kommen, gibt es genug. Der monatliche Durchschnittslohn in Rumänien z.B. liegt bei ca. 200 Euro. Diesen Betrag bekommen sie (fast) schon als Kindergeld für ein Kind in Deutschland. In Rumänien beträgt das Kindergeld pro Kind 7 Euro. EU-Zuwanderer haben in Deutschland ein Recht auf Kindergeldzahlung – vollkommen losgelöst von der Frage, ob sie auch ein Recht auf Hartz IV haben.

Ob Zuwanderer aus EU-Mitgliedsstaaten für Bulgarien, Spanien, Italien oder Rumänien Anspruch auf Hartz IV haben, darüber scheiden sich die juristischen Geister. Dementsprechend gibt es bisher unterschiedliche Urteilssprüche deutscher Gerichte. Nun wird der Europäische Gerichtshof über eine vom Bundessozialgericht weitergereichte Klage abschließend entscheiden müssen ( http://www.tagesspiegel.de/politik/hartz-iv-fuer-eu-buerger-jetzt-soll-luxemburg-entscheiden/9211796.html ).

Meiner Meinung nach bringt es nichts, das Problem – wie es die CSU tut – künstlich großzureden. Wir dürfen es aber auch nicht verniedlichen. Das größere Problem liegt in der Integration der Armutszuwanderer. Wie gesagt: sie kommen, um zu bleiben. Das heißt aber auch, dass wir ihre Lebenssituation in unseren Städten verbessern müssen. Denn die Armutswanderung führt in einzelnen Großstädten zu erheblichen sozialen Problemen bei der Integration, Existenzsicherung, Unterbringung und Gesundheitsversorgung.

Sie leben teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen: zu unzähligen in viel zu kleinen, heruntergekommenen Wohnungen, zum Teil ghettomäßig – zu Wucherpreisen ( http://www.berliner-zeitung.de/politik/mitte-und-neukoelln-berlin----sehnsuchtsziel-fuer-bulgaren,10808018,24810330.html ). Ihr Unwissen über deutsches Mietrecht, dem sie auf dem deutschen Mietermarkt unterliegen, wird schamlos ausgenutzt. Es geht aber auch anders, wenn sich denn vor Ort gekümmert wird ( http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/zuwanderung-aus-suedosteuropa-die-roma-von-neukoelln-12747571.html ).

Wie die Situation der Bulgaren und Rumänen bspw. in Berlin-Neukölln aussieht und was das Bezirksamt Neukölln – in meinen Augen vorbildlich und pragmatisch – alles unternimmt, um ihre Situation zu verbessern, können Sie im 3. Neuköllner Roma-Statusbericht lesen ( http://www.berlin.de/imperia/md/content/baneukoelln/flyer/3._romastatusbericht.pdf?start&ts=1362131366&file=3._romastatusbericht.pdf ). Aber auch Neukölln stößt an seine Grenzen, weshalb auch das Bundesland Berlin in der Pflicht ist, größere Anstrengungen für die Integration der Roma zu unternehmen. Durch Bildungsmaßnahmen. Was beispielhaft unternommen wird (aber noch stärker finanziell unterlegt werden muss) und meiner Meinung nach auch für andere Bundesländer und Städte sinnvoll erscheint, können Sie hier lesen: http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/KlAnfr/ka17-12282.pdf .

Die Integration der Rumänen und Bulgaren bekommen wir nicht zum Nulltarif. Das kostet Geld. Aber die Vorsorge durch Bildung ist preiswerter als die Nachsorge durch Sozialleistungen. Wir dürfen nicht die Integrationsfehler der Vergangenheit wiederholen.

Die betroffenen Städte stoßen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Das hat der Deutsche Städtetag schon Anfang 2013 klargestellt ( http://www.staedtetag.de/imperia/md/content/dst/internet/fachinformationen/2013/positionspapier_zuwanderung_2013.pdf ). Ich teile diese Ansicht und die Forderungen des Deutschen Städtetages. Meiner Meinung nach ist der Bund dringend in der Pflicht zu handeln. Deshalb hat die SPD im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass besonders von Armutsmigration betroffene Kommunen zeitnah die Möglichkeit erhalten sollen, bestehende bzw. weiterzuentwickelnde Förderprogramme des Bundes (z.B. Soziale Stadt) stärker als bisher zu nutzen.

CDU/CSU und SPD werden sich außerdem zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsstaaten dafür einsetzen, dass EU-Finanzmittel von den Herkunftsländern – in diesem Fall von Bulgarien und Rumänien – abgerufen und zielgerichtet eingesetzt werden ( http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/foerdermittel-der-eu-wie-sich-osteuropaeer-milliarden-entgehen-lassen-1.1744369 ). Deutschland wird sich in der EU dafür einsetzen, dass die Herkunftsländer im Rahmen der europarechtlichen Regelungen jedem Staatsangehörigen die europäische Krankenversichertenkarte (EHIC) diskriminierungsfrei ausstellen.

Fest steht aber auch, dass sich die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet hat, der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger entgegenzuwirken. Sozialbetrug ist eine Straftat. Egal, ob er von deutschen Staatsangehörigen oder EU-Zuwanderern begangen wird.

Die neue Bundesregierung will im nationalen Recht und im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben durch Änderungen erreichen, dass Anreize für Migration in die sozialen Sicherungssysteme verringert werden. Dafür sind ein konsequenter Verwaltungsvollzug, die Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit, eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Zoll und Behörden vor Ort, ein besserer behördlicher Datenaustausch, die Ermöglichung von befristeten Wiedereinreisesperren sowie aufsuchende Beratung notwendig. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sollen Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsausschlüsse in der Grundsicherung für Arbeitsuchende präzisiert werden.

Den Koalitionsvertrag hat auch die CSU unterschrieben. Sie bekräftigt, mit ihren jüngsten Forderungen die gemeinsame Linie des Koalitionsvertrags nicht verlassen zu haben. Inhaltlich mag das stimmen. Aber der Ton macht die Musik.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Tiefensee