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Frage von Benjamin R. •

Frage an Ulla Jelpke von Benjamin R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Jelpke,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort auf meine letzte Frage.

Daraus ergeben sich für mich weitere Fragen:

1. Ist für Sie alles, was gegen die USA, den "Westen" oder die NATO gerichtet ist gut, egal von wem und mit welcher Zielsetzung es aus geht oder fällt Ihnen ein Beispiel ein (z.B. das iranische Atomwaffenprogramm) bei dem dies nicht so ist?

2. Glauben Sie, dass alles, was von den USA, dem "Westen" oder der NATO ausgeht, imperialistische Politik ist oder gibt es auch Fälle, in denen es primär um Schutz der Menschenrechte oder die Durchsetzung von Völkerrecht oder berechtigte Interessen geht?

3. Wie viel Wert bemessen Sie den Errungenschaften des säkularen, liberalen Staatswesens, der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenwürdeprinzips und den in diesem Umfeld volbrachten wissenschaftlichen, philosophischen und kulturellen Spitzenleistungen bei?

4. Glauben Sie, dass ein Staat, wie Sie ihn sich in Deutschland wünschen, mit allen Normen der Artikel 1-20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (in der Interpretation des Bundesverfassungerichtes) vereinbar wäre?

Mit freundlichen Grüßen,
Benjamin Rösch

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Rösch,

zu Ihrer 1. Frage:

Ich befürworte grundsätzlich das Recht der vom Imperialismus unterdrückten oder angegriffenen Staaten und Nationen auf Widerstand gegen Fremdherrschaft und Ausbeutung. Dies bedeutet nicht, dass ich alle Methoden oder dahinter stehenden Ideologien befürworte. Anschläge gegen unbeteiligte Zivilisten egal ob in Bagdad oder Kabul, Madrid oder London lehne ich strikt ab. Ebenso kritisiere ich den engstirnigen Nationalismus oder rückständige religionsbasierte Moralauffassungen vieler Gruppierungen, die heute im Nahen Osten aktiv sind. Diese Ideologien und ihre praktische Umsetzung verhindern oftmals sogar einen wirkungsvollen Widerstand, da sie große Teile der Bevölkerung - etwa nationale oder religiöse Minderheiten oder Frauen - ausschließen und unterdrücken.
Ob der Iran tatsächlich ein Atomwaffenprogramm hat, ist bis heute nicht bewiesen. Es wäre aber angesichts der Kriegsdrohungen der Atommächte USA und Israels gegen den Iran nachvollziehbar. Gleichwohl halte ich atomare Massenvernichtungswaffen für eine grundsätzliche Gefahr für den Weltfrieden - egal, ob in den Händen der USA oder Israels oder des Iran oder Pakistans.

Zu Ihrer 2. Frage:

Mir ist kein Fall bekannt, in dem die westlichen Mächte uneigennützig für die Menschenrechte oder das Völkerrecht eintraten.

Zu Ihrer 3. Frage:

Eine meine Hauptaufgaben als innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE besteht gerade in der Verteidigung von rechtsstaatlichen Prinzipien und den Menschenrechten. Demgegenüber erleben wir seit den Anschlägen vom 11. September 2001 einen regelrechten Amoklauf der letzten und der jetzigen Bundesregierung gegen diese Grundsätze. Das Bundesverfassungsgericht musste das SPD-Grünen-Luftsicherheitsgesetz stoppen, weil es unter anderem gegen den Grundsatz der Menschenwürde verstieß. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat auch laut über die gezielte extralegale Tötung von Terrorverdächtigen nachgedacht und hält die polizeiliche Verwendung von unter Folter zustande gekommenen Informationen für legitim. Die Vorratsdatenspeicherung und das - hoffentlich durch den Bundesrat gestoppte - BKA-Gesetz sind weitere Frontalangriffe auf die Bürgerrechte durch die Große Koalition. Der von Schäuble geforderte Einsatz der Bundeswehr zu Polizeiaufgaben im Inland ist beispielsweise im Rahmen des Grundgesetzes nicht möglich.

Und das von Ihnen genannte säkulare Staatswesen sehe ich in der Bundesrepublik noch nicht wirklich realisiert. Von der Kirchensteuer über das Mitspracherecht der Kirchen bei der Besetzung von universitären Lehrstühlen (nicht nur im Bereich Theologie) und den Kruzifixen in bayerischen Gerichten und Schulen bis hin zum weiterbestehenden Konkordat Nazideutschlands mit dem Vatikan reichen die Beispiele.

Zu Ihrer vierten Frage:
Ich bin mir sicher, dass ein sozialistischer Staat eher mit den Normen des Grundgesetzes vereinbar ist, wie der von Wolfgang Schäuble angestrebte autoritäre Überwachungsstaat. Der bekannte sozialistische Politologe und Rechtswissenschaftler Professor Wolfgang Abendroth von der Universität Marburg hat bereits in den 50er und 60er Jahren aufgezeigt, dass das Grundgesetz kein ein bestimmtes wirtschaftliches System festschreibt und Sozialismus also auch im Rahmen des GG möglich wäre. Ich stimme Professor Abendroth aber auch darin zu, dass Sozialismus eine Weiterentwicklung der Menschenrechte und der bürgerlichen Freiheiten beinhalten muss. Hier sollten wir also "mehr Demokratie wagen".

Mit freundlichen Grüßen

Ulla Jelpke