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Thomas Marwein
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Frage von Jochen A. •

Frage an Thomas Marwein von Jochen A. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Marwein!

Mir als Lehrer, der u.a. auch Ethik unterrichtet, fehlt jedes Verständnis für dies Hickhack um den Religionsunterricht. Der Staat und damit die Schulen hat sich religiös neutral zu verhalten. Wieso muss jede Religion ihren eigenen Unterricht in der Schule erhalten? Wieso lässt man zu, das Religionsgemeinschaften einen dermaßen großen Einfluss auf die Bildung unserer Kinder erhalten? Wir haben nicht nur katholischen, evangelisch und islamischen Unterricht plus Ethik – sollen bald noch jüdischer, buddhistischer und hinduistischer Unterricht hinzukommen? Was das u.a. für die Schulorganisation bedeutet, kann sich jeder Fachkundige ausmalen.
Meines Erachtens wäre es sehr viel besser einen gemeinsamen Unterricht ‚Religion/Ethik/Menschenkunde’ einzuführen! Gerade in der heutigen Zeit wäre ein solches Fach ein deutliches Signal und ein Fortschritt. In diesem könnten sich alle Religionsgemeinschaften kennen und voneinander lernen, ethische und philosophische Fragen diskutieren, erfahren, wo es Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt, Toleranz üben, wichtige zwischenmenschliche Fragen erörtern und lernen, dass Gott in allen Religionen dasselbe Grundprinzip meint: Das Prinzip der Nächstenliebe.
Meine Frage: Könnten Sie sich vorstellen, dass ein solches o.g. Fach in den baden-wüttembergischen Schulen eingeführt wird? Wenn nicht – warum?

mit freundlichen Grüßen
J.A.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr A.,

vielen Dank für Ihre Anfrage an mich zur Gründung einer Landesstiftung für Islamischen Religionsunterricht.

Wie das Staatsministerium des Landes Baden-Württemberg kürzlich mitteilte, wird die Landesregierung als Initiator und Träger einer Stiftung für islamischen Religionsunterricht auftreten. Ziel ist, den islamischen Religionsunterricht ab dem Schuljahr 2018/2019 neu zu organisieren.

Dies ist aus zweierlei Gründen notwendig. Der derzeitige islamische Religionsunterricht wird im Rahmen eines zeitlich befristeten Modellprojektes erteilt und muss nun in eine geregelte Form überführt werden. Da Religionsunterricht in Deutschland von Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Glaubensgemeinschaften gehalten wird, ist für die zukünftige Kommunikation zwischen Staat und islamischer Religionsgemeinschaft eine geeignete Kommunikationsform von zentraler Bedeutung. Das Staatsministerium teilte daher im Folgenden mit:

"Damit der islamische Religionsunterricht zum Regelunterricht werden kann, braucht der Staat einen verbindlichen Ansprechpartner, der als Träger des Unterrichts unter staatlicher Aufsicht fungiert".

Als Stiftung des öffentlichen Rechts soll die Stiftung als Schulrat den angesprochenen Austausch zwischen der Landesregierung und den Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten islamischen Religionsverbände übernehmen.

Artikel 4 Abs. 1, 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland regelt die Religionsfreiheit im Land, nach dieser gilt:

" (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."

Ergänzt wird dies durch Artikel 7, Abs. 3 GG, der den Religionsunterricht als einziges Unterrichtsfach im Grundgesetz verankert. Hieraus ergibt sich zudem, dass Religionsunterricht grundsätzlich unter staatlicher Aufsicht steht und den demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist. Für die Umsetzung der genannten Vorgaben des Grundgesetzes ist der Staat auf eine Zusammenarbeit mit den jeweiligen Religionsgemeinschaften angewiesen, es handelt sich um eine "gemeinsame Angelegenheit".

Das Modellprojekt hat sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt und erfreut sich eines großen Zuspruchs bei Schüler/innen, Eltern und Schulen. Aktuell nehmen in Baden-Württemberg etwas mehr als 6.000 Schülerinnen und Schüler an 86 Schulen am islamischen Religionsunterricht sunnitischer Prägung teil. Die Akzeptanz des Angebots an islamisch-sunnitischem Religionsunterricht zeigt, dass auf muslimischer Seite eine große Nachfrage nach religiöser Orientierung im Schulunterricht besteht. Für die Schülerinnen und Schüler, die an dem Unterricht teilnehmen, eröffnet das Fach Zugänge zum Islam und unterstützt sie auf der Suche nach dem eigenen Lebenssinn. Es trägt damit zu einer selbstbestimmten religiösen Identitätsbildung bei. Darüber hinaus setzten sich die Schülerinnen und Schüler mit anderen Religionen auseinander. Damit stellt dieses Angebot einen wichtigen Beitrag zur Integration und zur Abwehr eines religiös-fundamentalistischen Extremismus junger Menschen dar. Diese positiven Effekte des islamischen Religionsunterrichts werden u.a. auch durch die Evaluationsergebnisse dokumentiert und untermauert.

Die Landesregierung geht mit der Gründung einer Stiftung für den islamischen Religionsunterricht daher auf die aus dem Grundgesetz abgeleiteten Anforderungen zur Zusammenarbeit mit den Vertreterinnen und Vertretern der islamischen Religions- und Kulturgemeinschaften ein. Ich möchte an dieser Stelle nochmals hervorheben, dass wie erwähnt auch der islamische Religionsunterricht den demokratischen Grundsätzen zu folgen hat, die wir uns als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland auferlegt haben. Beispielhaft zu nennen sind die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Sicherung seiner Grundrechte, die damit als implizite Vorgaben in den Religionsunterricht jeder Konfession miteinfließen.

In Baden-Württemberg wird seit 1983 das sogenannte Unterrichtsfach Ethik als Pflichtfach für all diejenigen Schülerinnen und Schüler angeboten, die nicht am Religionsunterricht einer bestimmten Konfession teilnehmen möchten. Auch dieser Unterricht ist aus den Vorgaben des Grundgesetzes gedeckt und untersteht in Einrichtung und Kontrolle den Ländern.

Aus dem Grundgesetz unseres Landes leiten sich neben den Freiheiten auch die Verpflichtungen ab, die wir alle zur Garantie der gegenseitigen Würde und Freiheit eingehen. Ich bin daher der Überzeugung, dass der Religionsunterricht entlang der ihm auferlegten grundgesetzlichen Verpflichtungen zur Vielfalt unserer Kultur und unseres Zusammenlebens beitragen kann.

Ich hoffe, mit meiner Antwort hinreichend auf Ihre Fragen eingegangen zu sein und möchte Ihnen für Ihre Anfrage an mich danken.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Thomas Marwein

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