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Frage von Christine H. •

Frage an Sigmar Gabriel von Christine H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gabriel,

als langjähriger SPD-Wähler sehe ich mich veranlaßt, Ihnen persönlich eine Nachricht zukommen zu lassen, da ich es für wichtig erachte, daß wir als "Wahlvolk" Stellung beziehen und Wünsche und Anregungen mitteilen.
Seit der herben Niederlage zur letzten Wahl, die sich meines Erachtens aber aus der zu radikal unsozialen Regierungspolitik unter Gerhard Schröder erklären läßt, vermisse ich, daß die SPD Stellung nimmt zu den unredlichen Wahlversprechen der jetzigen Koalition, daß sie laut und deutlich Wahlbetrug erkennt und laut benennt sowie den SPD-Wählern, die noch immer an die SPD glauben möchten, eine Stimme in der Öffentlichkeit verleiht, damit allen deutlich wird, wie die Wahlversprechen wieder nur die Begüterten betreffen, Die Verlängerung der Atomkraftwerklaufzeiten nur der Atomlobby dient und wie erneuerbare Energien nicht in dem Maße weiter gefördert werden wie dem Bürger versprochen, um nur einiges zu nennen.
Wo bleibt Ihre öffentliche Kritik an der Koalition?
Warum sieht und hört man von der SPD überhaupt nichts? Wenn der Bürger sich beim Zeitungslesen oder Fernsehen empört, findet er sich in Ihrer bzw. in der Kritik der SPD nicht wieder und verliert die Hoffnung, daß die SPD es anders machen will und würde.
Warum kommentieren Sie oder ein anderes SPD-Mitglied nicht öffentlich die Irrgedanken und Irrwege der Koalition, möglichst auf dem Fuße folgend?
Erhält die Opposition im Fernsehen nicht die Sendezeit, daß sie spontan reagieren und zum Verhalten der Koalition ihre Meinung sagen könnte?
Ich glaube, viele verunsicherte SPD-Wähler fühlen sich jetzt durch das Schweigen der SPD endgültig allein gelassen. Sie zurück zu gewinnen gelingt m. E. nur, wenn in den folgenden 4 Jahren eine aktive, laute und deutliche Oppositionsstimme der Öffentlichkeit zu Gehör gebracht wird.
Darum möchte ich Sie herzlich bitten, denn wir brauchen eine starke, laute, bessere SPD.

Mit freundlichen Grüßen

Christine Harth

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Harth,

ich danke Ihnen für Ihre Nachricht.

Ich finde es sehr richtig, dass Sie mir hier auf dieser überparteilichen Plattform schreiben und Jede/r meine Antwort öffentlich lesen kann. Zudem finde ich es wichtig, dass wir in unserer Demokratie ständig den Dialog suchen - hier online oder in meinen Terminen vor Ort. Dafür danke ich Ihnen, Frau Harth.

Sie sprechen die wichtige Oppositionsrolle der SPD an, dass wir rausgehen sollen und unsere Konzepte zur Gestaltung der Zukunft vorstellen sollen. Das ist wahrlich wichtig und richtig. Gerade jetzt beim unsozialen Sparpaket von Schwarz-Gelb sehen wir, wo gespart werden soll: bei den Arbeitslosen und Familien. Allein rund fünf Milliarden sollen aus den Bereichen Soziales, Arbeitsmarktförderung und Hilfen für Familien kommen. Die von Guido Westerwelle hervorgehobenen Beiträge der Wirtschaft zur Haushaltskonsolidierung konzentrieren sich hingegen vor allem auf eine "Luftverkehrsabgabe" und auf Abgaben der Atomindustrie, die einen Teil ihrer Zusatzgewinne durch Laufzeitverlängerungen alter Atommeiler abführen sollen.

Die Ergebnisse der Regierungsberatungen sind ein Dokument des Versagens. Denn über die Hälfte der Einsparungen gehen zulasten von Armen und Eltern. Auf der anderen Seite werden die unsinnigen Steuersubventionen wie etwa die Entlastungen für das Hotelgewerbe, die den Steuerzahler insgesamt fünf Milliarden Euro kosten, nicht angetastet.

Auch die geplante Bankenabgabe wird nicht zur Schuldentilgung genutzt, sondern damit soll für zukünftige Krisen angespart werden. Zockerei muss aber gesetzlich unterbunden werden und das Geld aus einer Finanzmarktsteuer dem Haushalt zugutekommen. Das Bekenntnis für die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer fiel bei Angela Merkel allerdings erneut sehr zurückhaltend aus.

Wir brauchen eine neue wirtschaftliche und soziale Ordnung für Deutschland und Europa. Das ist die Debatte, die wir jetzt führen müssen und vor der sich Union und FDP verdrücken. Intelligente Haushaltskonsolidierung ist notwendig. Hierfür gibt es zwei Wege:

Erstens brauchen wir eine koordinierte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, die zur Stärkung der Konjunktur beiträgt und so zu mehr Beschäftigung, Steuereinnahmen und zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme führt. Deshalb brauchen wir gerade in der Krise eine Stärkung der Binnennachfrage und eine Stärkung von Zukunftsinvestitionen. Fantasielose Sparpolitik zu Lasten von Arbeitslosen, Arbeitnehmern, Familien und von Bildungsinvestitionen würgt die Konjunktur zusätzlich ab und verschärft die Krise.

Zweitens sind strukturelle Reformen nötig, um die aus den Fugen geratene Wirtschafts- und Sozialordnung wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen. Wir brauchen eine neue Ordnung in der Wirtschaft, auf den Finanzmärkten und auf dem Arbeitsmarkt.

Um angesichts der großen Herausforderungen in unserem Land das Gemeinwohl zu sichern, brauchen wir einen fairen Lastenausgleich und damit einen echten Beitrag der Finanzbranchen und der Vermögenden zur Bewältigung der Lasten der Krise. Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch und sind berechnet:

- Eine Finanztransaktionssteuer, mit der vor allem spekulative Börsengeschäfte besteuert würden: 14 bis 30 Milliarden Euro je nach Ausgestaltung.
- Die Rücknahme der Steuersenkungen für Hoteliers und Gutbetuchte: 5,6 Milliarden Euro.
- Eine gerechtere Besteuerung großer Vermögen: mindestens 10 Milliarden Euro.
- Ein höherer Spitzensteuersatz: bis zu sieben Milliarden Euro.
- Und: Schon ein flächendeckender Mindestlohn von 7,50 Euro würde den Staatshaushalt um 1,5 Milliarden Euro entlasten, weil Dumpinglöhne nicht mehr aus Steuermitteln aufgestockt werden müssten. Die Sozialversicherungen würden außerdem über vier Milliarden Euro Mehreinnahmen verbuchen.

Es gibt einen sozial gerechten und wirtschaftlich vernünftigen Weg, den Haushalt zu konsolidieren. Es braucht politischen Willen, Mut und Führung, diesen Weg der sozialen Gerechtigkeit auch zu gehen.

Mit freundlichen Grüßen

Sigmar Gabriel