Frage an Roderich Kiesewetter von Thomas S. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Tag Her Kiesewetter,
vielen Dank für Ihre Antwort, Zitat aus dieser:
"Sie finden natürlich auch weiter viele Beispiele dafür, daß es Menschen nicht ausreichend gut geht - sei es bei der Kinderarmut, Situation von Alleinerziehenden etc. Die Ausgaben für die Besserstellung dieser Gruppen müssen jedoch erwirtschaftet werden. Mit mehr neuen Schulden wird das nicht gehen, weil dann die künftigen Generationen unverhältnismäßig belastet werden. Deutschland war 1998 der kranke Mann Europas, heute stehen wir trotz der zahlreichen Krisen gut da und können mit sprudelnden Einnahmen viele weitere Sozialausgaben mit Augenmaß finanzieren."
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/roderich-kiesewetter/question/2018-10-02/304623
Sie weisen darauf, dass es Menschen in Deutschland nicht ausreichend gut geht (z.B. in Fällen von Kinderarmut, Situation von Alleinerziehenden). Wie lässt sich diese Aussage mit der Aussage verbinden, dass "wir" trotz der zahlreichen Krisen heute gut da stehen würden und mit "sprudelnden Einnahmen" viele weitere Sozialausgaben mit Augenmaß finanzieren. könnten?
Was haben arme Menschen in Deutschland von den "sprudelnden Einnahmen"?
Kann angesichts der Spaltung in arm und reich noch von einem "wir" gesprochen werden?
Um nach ca 45 Beitragsjahren eine auskömmliche Rente zu bekommen ist ein Stundenlohn von mindestens 12,50 Euro nötig.. Wenn 25% der in Deutschland Beschäftigten zu Stundenlöhnen unter 10 Euro arbeiten müssen, obwohl "wir" gut dastehen würden, läuft da in Deutschland nicht gewaltig etwas schief?
Sie sprechen davon, dass die Besserstellung von Gruppen mit geringem Einkommen erwirtschaftet werden müsste, was sagen Sie dazu, dass gut gestellte Bänker, Berater und Anwälte den deutschen Staat mit Cum-Ex Geschäften jahrelang ausplünderten?
https://www.zeit.de/2017/24/cum-ex-steuerbetrug-steuererstattungen-ermittlungen
Werden Sie etwas gegen diesen Steuerbetrug unternehmen, wenn ja was?
Viele Grüße - T. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Zu 1) Meine Aussage, daß wir im Vergleich zu anderen EU-Ländern haushaltspolitisch/finanziell gut dar stehen, habe ich damit verbunden, auf dieser Basis erst nachhaltige Sozialleistungen finanzieren zu können. Es geht darum, wofür das Geld ausgegeben wird und hier sind wir in einem politischen Wettstreit. Ich lehne eben den Überbietungswettbewerb ab, sondern spreche mich bspw. für eine gezielte Förderung von Familien (Vereinbarkeit von Familie, Beruf, Pflege) aus. Dazu gehört aber auch eine tragfähige Finanzierung der Digitalisierungswende, ohne die später ja auch keine neuen Jobs entstehen können. Ich möchte damit darstellen, daß wir nicht lediglich durch die flächendeckende Erhöhung der Sozialausgaben nachhaltig mehr Wohlstand schaffen.
Rentenarmut gehört sicher zu diesem Problem. Die Bundeskasse bezuschusst schon jetzt mit über 90 Mrd. pro Jahr die Rentenkassen. In einer von der Koalition vereinbarten Kommission sollen Konzepte erarbeitet werden, ohne daß dieses hoch komplexe und emotionale Thema nur in den Wahlkämpfen behandelt wird und zu unerfüllbaren Versprechungen führt.
Zu 2) Cum/Ex-Affäre: Das möchte ich gerne ausführlicher beantworten, wenn Sie erlauben. Sog. Cum/Ex-Geschäfte waren und sind rechtswidrig. Dies hat das Finanzgericht Kassel am 10. März 2017 in seinem Urteil bestätigt. In der vergangenen Legislaturperiode hatte der Bundestag zur Aufklärung der Cum/Ex-Geschäfte einen Untersuchungsausschuss (den 4. UA) eingesetzt, welcher seinen Abschlussbericht im Juni 2017 vorlegte. Der Bericht (Bundestagsdrucksache 18/12700) wurde im Bundestag selbst am 23. Juni 2017 behandelt.
Der Untersuchungsausschuss hat zwischen April 2016 und Februar 2017 in insg. 19 öffentlichen Beweisaufnahmesitzungen verschiedene Sachverständige und rund 70 Zeugen gehört, und kam letztlich in seinem Bericht zu dem Ergebnis, daß Cum/Ex-Geschäfte rechtswidrig sind und waren, Steuer- und Justizbehörden bei Cum/Ex-Geschäften umfassend ermitteln müssen und es gute Aussichten gibt, daß die Steuer- und Justizbehörden unberechtigte Steuererstattungen mit Zins und Zinseszins zurückerhalten sowie strafrechtliche Verurteilungen erwirken können.
Die zuständigen Behörden in Bund und Ländern leisten hierbei gute Arbeit. Sie konnten in zahlreichen Fällen verhindern, daß zu Unrecht beantragte Anrechnungen oder Erstattungen der Kapitalertragssteuer auch tatsächlich angerechnet oder ausgezahlt wurden. Außerdem ist es ihnen gelungen, den Großteil der irrtümlich bereits angerechneten oder erstatteten Kapitalertragsteuern erfolgreich zurückzufordern. Die tatsächliche Schadenshöhe durch Cum/Ex-Geschäfte dürfte deshalb nur einen Bruchteil der öffentlich immer wieder genannten 12 Milliarden Euro ausmachen.
Zugleich hat der Untersuchungsausschuss den Vorwurf widerlegt, daß das Bundesfinanzministerium mit dem Jahressteuergesetz 2007 Cum/Ex-Geschäfte über das Ausland legalisiert habe. Das Gleiche gilt für den Vorwurf, daß das Bundesfinanzministerium und das Bundeszentralamt für Steuern die Fälle zu zögerlich aufgeklärt und ihre Bedeutung nicht erkannt hätten. Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, daß einzelne Marktakteure bewusst ihre Anlagestrategien vor den Behörden verschleiert haben. Die Untersuchungen haben gezeigt, daß Steuergesetze und entsprechende finanzgerichtliche Entscheidungen durch einen kleinen, aber lauten Kreis von Beratern, Professoren und Steuerpflichtigen gegen ihren Sinn ausgelegt wurden.
Die Bedingungen, die den Steuerbetrug mit zu Unrecht beantragten Anrechnungen oder Erstattungen der Kapitalertragssteuer erleichtert haben, sind mittlerweile endgültig beseitigt. Mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz wurde das System des Kapitalertragsteuereinbehalts und der –abführung zum 1. Januar 2012 auf das sog. Zahlstellenprinzip umgestellt. Das bedeutet, daß fortan nicht mehr die ausschüttende Gesellschaft die Kapitalertragsteuer an die Finanzverwaltung abführt, sondern die Bank, die die Dividende dem Steuerpflichtigen gutschreibt und den Steuereinbehalt bestätigt. Mehrfache Bescheinigungen sind damit ausgeschlossen.
Mit der Investmentsteuerreform 2016 wurden die Bedingungen für die Erstattung von Kapitalertragssteuer verschärft. Um einen Erstattungsanspruch zu haben, müssen die Aktien jetzt länger gehalten werden. Cum/Cum-Geschäfte, die der Untersuchungsausschuss ebenfalls untersuchte, machen damit keinen Sinn mehr.
Ebenfalls konnte der Untersuchungsausschuss den Vorwurf, Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums hätten eine zu große Nähe zu einzelnen Interessengruppen gepflegt, zurückweisen. Abgesehen von einem seit vielen Jahren bereinigten Einzelfall wies sich dies als eine bloße Unterstellung heraus.
Solche rechtswidrigen Vorgehensweisen von „vermeintlich Stärkeren“ wie Investoren und Banken, verunsichern die Bürger zurecht. Umso wichtiger war es, daß diese Praktiken im Untersuchungsausschuss transparent aufgedeckt, abgestellt, und Steuergelder mittlerweile zurückgefordert wurden. Deshalb bemühen wir uns in der Großen Koalition auch z.B. die Verhandlungen zu einer substantiellen Finanztransaktionsteuer im europäischen Kontext zum Abschluss zu bringen, auch um hier für unsere Bürger ein Zeichen zu setzen! Ich hoffe, daß es hier bald Erfolge und eine Einigung gibt.
Herzliche Grüße
Roderich Kiesewetter