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Oliver Grundmann
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Frage von Reinhard G. •

Warum will Kanzler Scholz im Grundgesetz ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für Militärausgaben festschreiben? Wären danach noch Verträge über eine Kürzung der Militärausgaben möglich?

Sehr geehrter Herr Grundmann,

die Nato-Staaten geben jährlich insgesamt 1000 Milliarden Dollar für das Militär aus. Russland etwa 65 Milliarden. Warum will Kanzler Scholz dann, dass Deutschland allein die Militärausgaben Russlands überbietet? Er will die jährlichen Militärausgaben ja außerdem auf 2% des BIP erhöhen. http://www.bund-rvso.de/auf-ruestung-deutschland-nato-russland-ausgaben.html

Putin dürfte wissen, dass er nur mit Mühe seine Ziele in der Ukraine erreichen kann. Wenn sich die Nato nicht in den Konflikt einmischt – glauben Sie, dass Russland dann Nato-Staaten angreifen könnte?

Kann der Bundeshaushalt solche zusätzlichen Ausgaben verkraften? Wie würden die Pläne zu den Klima-Zielen passen? Wie viel zusätzliche Energie und CO2 würde dadurch verbraucht? Zum Beispiel, wenn atomwaffenfähige F 35-Tarnkappenflugzeuge angeschafft werden sollen? Wäre Deutschland Anziehungspunkt bei einem Nuklearkrieg? Sollten nicht die gekündigten Rüstungskontrollverträge erneuert werden?

MfG

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Sehr geehrter Herr G.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen zur internationalen Sicherheitspolitik.            

Militärausgaben können zwar ein Indiz über die Kampfkraft von Streitkräften sein, eignen sich jedoch nicht allein für Vergleiche, wie Sie sie ziehen möchten. Dies hat eine Vielzahl von Gründen - manche liegen schlicht in verzerrenden statistischen Effekten (z.B. durch die unterschiedlichen Währungen und dem abweichendem Geldwert). Darüber hinaus möchte ich kurz auf die Sonderrolle der USA, die ungleichen sicherheits- und geostrategischen Herausforderungen sowie die völlig verschiedenen Kostenstrukturen zwischen der Nato und Russland eingehen:

Im vergangenen Jahr betrugen die Militärausgaben aller Nato-Staaten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 1.175 Mrd. US-Dollar. 811 Mrd., also knapp 70 Prozent, entfielen dabei auf die USA. Als derzeit einzige Weltmacht besitzt sie so die Fähigkeit, global militärisch zu operieren. Wäre sie dazu nicht in der Lage, würde sie ihrer Schutzfunktion für kleinere verbündete Staaten nicht nachkommen können. Dieser Bereitschaft wird insbesondere von Partnern der USA - wie z.B. Polen, Japan oder Taiwan - mit Nachdruck eingefordert.

Kommen wir zu den strategischen Bedingungen: Das Nato-Gebiet erstreckt sich auf rund 24,59 Mio. Quadratkilometer, die knapp 950 Mio. Menschen beherbergen. Jedes der 30 Mitgliedsstaaten muss die eigenen Grenzen, Küsten, Metropolen und die strategisch besonders wichtigen Ziele beschützen. Russland hingegen hat nur 14 Anrainerstaaten und - trotz seiner Größe - vergleichsweise wenig strategisch wichtige Ziele und Flanken. Denn wer würde schon vom Norden aus, also vom Nordpol, angreifen sollen/können?

Zur Kostenstruktur: In den Gesprächen über unsere Verteidigungsaufgaben begegnet mir häufig die Vorstellung, dass bei einem deutschen Etat von rund 45 Mrd. Euro (2021) eben diese Mittel für Panzer, Schiffe und Raketen ausgegeben werden. Ein Blick in den Haushaltsplan verrät aber: Ein knappes Drittel sind Personalkosten - über 180.000 Bundeswehrangehörige kosten einiges. Zum Vergleich - ein russischer Soldat verdient gerade mal das Nötigste, wie man in diesem Artikel nachlesen kann. Gleichzeitig werden beispielsweise auch Pensionen, die zu den Versorgungsausgaben gehören, aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt. Die ist in anderen Ländern unüblich und macht weitere sechs Mrd. aus. Allein für den Materialerhalt gehen weitere 4,5 Mrd. drauf, sodass die Neu- und Ersatzbeschaffungen im Jahr 2021 lediglich rund 7,9 Mrd. Betrugen und damit nicht mal 17,5 Prozent der Bundeswehr-Mittel ausmachten. Ich möchte damit verdeutlichen, dass die Verwaltung und der Unterhalt von Streitkräften - zumal unter westlichen Standards - sehr teuer sind. Jeder der 30 Nato-Mitgliedsstaaten muss diese Grundkosten für seine Armee eigens aufbringen. Hinzu kommt, dass die Rüstungsindustrie in der Russischen Föderation staatlich organisiert ist, was die Kosten ebenfalls niedrig hält.

Schon anhand dieser ungleichen Verhältnisse zeigt sich: Der bloße Vergleich der Militärausgaben hinkt; womit ich auf Ihre weiteren Fragen eingehen möchte. Ja, die Bundesregierung hat mit Unterstützung der Union ein Sondervermögen auf den Weg gebracht. Warum investieren wir (erst) jetzt dieses Geld in unsere Bundeswehr? Ein Blick in die Nachrichten genügt - es herrscht Krieg in Europa. Die Sicherheitslage in Europa hat sich mit dem 24.2.2022 über Nacht verschärft. Putin möchte mit seiner revisionistischen Politik die letzten 30 Jahre rückgängig machen und gewaltsam den Einflussbereich Russlands gegen den entschiedenen Willen der Ukraine ausdehnen.

Errungenschaften wie unsere Menschenrechte, der Rechtsstaat, unsere pluralistische Gesellschaft, offene Märkte, Meinungsfreiheit, Minderheitenschutz und der Sozialstaat - das sind alles Werte, die aktiv gegen totalitäre Staaten verteidigt werden müssen. "Der Klügere gibt nach" - diese Logik gibt es in internationalen Beziehungen nicht. Erst recht nicht unter konkurrierenden Staaten und Systemen. In der Ukraine steht Freiheit gegen Diktatur auf dem Spiel. Das merken, die Männer und Frauen dort gerade schmerzlich. Die Jahre, in der wir auf die Friedensdividende setzen konnten, weil wir sicher gehen konnten, dass die Souveränität und die territoriale Integrität europäischer Staaten untereinander respektiert wird, sind leider vorbei.

Die Bundeswehr ist jedoch bereits mit ihren bestehenden Einsätzen voll ausgelastet ist. Wenn der Inspekteur des Heeres Alfons Mais zu Beginn des russischen Angriffskrieges feststellt, dass die Bundeswehr "blank dasteht" und sie nicht ihren verfassungsmäßigen Auftrag, geschweige denn Bündnisverpflichtungen nachkommen könne, dann bereitet mir das große Sorgen! Einen Zustand, den wir bereits seit Jahren bemängelt haben. Die Forderung, das zwei-Prozent-Ziel der Nato einzuhalten, fand sich stets in unseren Wahlprogrammen wieder. Nur hat uns zuverlässig die SPD als unser Koalitionspartner einen Strich durch die Rechnung gemacht. Allen voran übrigens der damalige Finanzminister: Olaf Scholz.

Um also Wehrfähigkeiten wiederzuerlangen, sind teure Aufbauinvestitionen notwendig, die notwendigerweise auch mit einer langfristig besseren finanziellen Ausstattung einhergehen müssen. Sobald das Sondervermögen ausgegeben ist, werden wir zur Aufrechterhaltung der Fähigkeiten eine riesige Bedarfslücke haben, die ein Verteidigungsetat von über zwei Prozent des BIP schlicht notwendig macht. Von den jahrelangen eindringlichen Forderungen unserer Partner, endlich aus unserer bequemen Haltung zu kommen, und die Rolle einzunehmen, die von uns seit der Wiedervereinigung verlangt wird, möchte ich gar nicht erst anfangen.

Nun zu Ihrem letzten Fragenkomplex rund um die Neubeschaffung der F35: Um ehrlich zu sein, ich kann Ihnen nicht genau beziffern, ob wir im Vergleich zu den alten Tornados mehr oder weniger CO₂ emittieren werden. An Horrorszenarien über einen Atomkrieg möchte ich mich nicht beteiligen. Sollten Rüstungskontrollverträge erneuert werden? Ja, es sollte neue Verträge geben. Aber alte erneuern wäre derzeit unsinnig, weil wir uns
A) in einer vollkommen neuen Situation befinden und
B) mit dem aktuellen Russland das Papier nicht wert ist, solche Verträge zu schließen. Irgendwann, wenn die Zeit reif ist, muss es natürlich wieder zur Abrüstung und entsprechenden Verträgen kommen. Aber das dürfte kurz- und mittelfristig nicht der Fall sein.     

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Grundmann

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