Wie stehen Sie zu einer EU-Strategie, die durch Kooperation mit Indien und China Europas Unabhängigkeit stärkt und zugleich den Friedensprozess in der Ukraine unterstützt?
Europa steht vor geopolitischen Herausforderungen: Die Abhängigkeit von den USA wächst, während der Ukraine-Krieg anhält. Eine verstärkte Kooperation mit Indien und China könnte neue Handlungsspielräume schaffen. Indien ist ein neutraler Vermittler mit guten Beziehungen zu Russland und dem Westen, während China wirtschaftlichen Einfluss auf Russland hat. Durch gezielte Zusammenarbeit könnte die EU ihre wirtschaftliche und sicherheitspolitische Unabhängigkeit stärken und gleichzeitig Druck auf Russland für Friedensverhandlungen erhöhen. Welche Chancen sehen Sie in einer solchen Strategie, und wie könnte sie konkret umgesetzt werden?

Lieber Florian,
den Ausbau von Kooperation mit Staaten des globalen Südens, auch Indien und China, halte ich für sinnvoll. Die EU-Strategie zielt allerdings nicht auf eine Kooperation ab, die der breiten Masse - weder in den EU Staaten, noch den Staaten, mit denen kooperiert werden soll - dient. Freihandelsabkommen sind für die EU vielmehr ein Mittel, um Zugang zu Ressourcen und billigen Arbeitskräften zu erhalten. In den Vertragsstaaten droht durch die Konzentrierung auf den Export weniger Waren, teilweise sogar eine Deindustrialisierung. Dazu kommt, dass in vielen Ländern der rasche Exportanstieg auch dazu führt, dass klimaschädliche Industrien weiter gestärkt werden und die Klimatransformation nicht aufrecht erhalten werden kann.
Obwohl die EU aktuell davon spricht, mit solchen Strategien unabhängiger von den USA werden zu wollen, bleibt die Treue zur USA, ob unter Biden oder Trump, durch die EU bislang ungebrochen.
Um politische Abläufe, wie einen Friedensprozess in der Ukraine, umzusetzen – vor allem, wenn er nachhaltig sein soll – ist eine Kooperation mit mehreren Ländern grundsätzlich sinnvoll. Die EU-Strategie, Indien und China einzubeziehen, kommt in diesem Fall jedoch viel zu spät: China hat bereits im Februar 2023 einen 12-Punkte-Plan vorgelegt, der einen Friedensprozess hätte starten können. Es stimmt, dass Indien und China dabei als Vermittler auftreten können, um alle Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen.
Dabei muss jedoch beachtet werden, dass der Ukrainekrieg ein interimperialistischer Konflikt ist und die Abhängigkeiten, die der Ukraine im Laufe des Krieges auferlegt wurden, nicht zementiert werden dürfen. Um das Selbstbestimmungsrecht tatsächlich zu verwirklichen, müssen wirtschaftliche und politische Unmündigkeiten zurückgebaut und nicht verstärkt werden.
Verbesserte Kooperation mit Ländern des globalen Südens sind grundsätzlich begrüßenswert, die aktuellen Pläne der EU zielen allerdings nicht darauf ab.