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Matthias Miersch
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Frage von Sandro S. •

Frage an Matthias Miersch von Sandro S. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Miersch,

vom 14.-17.09. hat im Landtag von Thüringen ein Schülerparlament zum Thema: "Vom Bohrloch zur Steckdose: Die Energie der Zukunft" getagt. Dort haben sich ca. 100 Oberstufenschüler an 3 Tagen intensiv mit Fragen rund um das Thema auseinandergesetzt, in Arbeitsgruppen Experten befragt und Thesen entwickelt. Diese Thesen wurden schließlich im Plenum diskutiert und im parlamentarischen Verfahren verabschiedet.

In der Arbeitsgruppe zum Thema: " Die Zukunft der Kernkraft: Grüne Zukunftstechnologie oder teure Gefahr?: Was ist die Zukunft der Kernkraft zur Produktion von Strom?" wurden dabei folgende Forderungen verabschiedet:

Wir fordern:
1. Eine neutrale Aufklärung der Öffentlichkeit, insbesondere in Schulen, ist notwendig, um die Emotionalität aus der Debatte herauszunehmen und eine objektive Meinungsbildung zu ermöglichen.
2. Das Moratorium ist sofort aufzuheben, um weiter an Lösungen zur Endlagerung zu forschen.
3. Wir verlangen den Bau und die Nutzung von Wiederaufbereitungsanlagen zur Reduktion des hoch-radioaktiven Mülls.
4. Wir erheben die Forderung einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit bei der Forschung und Überwachung.
5. Deutsche Sicherheitsstandards sollen in der Europäischen Union als Beispiel für die Welt übernommen werden. Des Weiteren bedarf es einer verstärkten Zusammenarbeit in der Sicherheitsfrage.
6. Die Kernkraftwerksbetreiber müssen sich an der Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien sowie an den Endlagerkosten beteiligen.
7. Die Problematik des Klimawandels lösen wir mit der Umsetzung unseres Drei-Stufen-Modells. Unser Ziel ist die Ersetzung der fossilen Energieträger durch regenerative Energien. Der unumgängliche Weg dorthin führt über die Kernenergie.

Es wäre schön, wenn Sie als Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und Vertreter der Partei SPD ein kurzes Statement zu den Forderungen der Schüler abgeben könnten.

MfG

Sandro Schott

Wissenschaft im Dialog GmbH

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schott,

Vielen Dank für das Statement zum Thema Energie der Zukunft. Bevor ich auf die Punkte im Einzelnen eingehe, möchte ich den beteiligten Schülerinnen und Schülern danken. Ich halte es für besonders entscheidend, dass sich die heute noch junge Generation mit diesen Themen beschäftigt, denn wenn heutzutage nicht die richtigen Weichenstellungen hin zu einer umweltschonenden, nachhaltigen, bezahlbaren und sicheren Energieversorgung erreicht werden, werden sich noch tausende Generationen mit unseren Fehlern herumschlagen müssen.

Die Debatte um Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke ist ein äußerst emotionales Thema gerade aufgrund der langfristigen Tragweite einer solchen Entscheidung. Eine objektive Debatte ist aus diesem Grund schwierig, dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang auf den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung und auf dessen aktuelles Gutachten verweisen, das ein klares Energiekonzept ohne Atomenergie vorsieht.

Mit ihren Plänen für eine Laufzeitverlängerung gefährdet die schwarz-gelbe Bundesregierung den gesellschaftlichen Frieden, der durch den Atomkonsens unter Rot-Grün geschaffen wurde. Insbesondere die juristisch fragwürdige und moralisch unhaltbare Art und Weise, in der die Bundesregierung in einem quasi-Kaufvertrag Sicherheitsinteressen an die vier großen Energiekonzerne verschachert hat, erregt die Gemüter. Der Geheimvertrag der Bundesregierung mit den Energiemonopolisten ist und bleibt ein undemokratischer Versuch der Einflussnahme auf künftige Parlamente und Regierungen. Die Modalitäten einer Laufzeitverlängerung müssen gesetzlich und nicht per Handschlag zwischen der Regierung und den Konzernen geregelt werden. Das so entstandene "Energiekonzept" der Bundesregierung wird Mittel zum Zweck: Eine Laufzeitverlängerung lässt sich weder wissenschaftlich noch energiepolitisch begründen. Sachliche Diskussionen sind auf einer solchen Basis kaum möglich und scheinbar von Regierungsseite nicht gewollt. Diese Feststellung wird durch das Verhalten der Koalitionsparteien im Bundestag untermauert, die die Gesetze zur Laufzeitverlängerung im Eiltempo und quasi ohne Diskussion durch das Parlament jagen wollen.

Bei der Endlagerproblematik verweigert sich die Bundesregierung einer ergebnisoffenen Standortsuche. Stattdessen soll durch die Aufhebung des Moratoriums lediglich Gorleben als einziger Standort weiter erforscht werden, obwohl sich abzeichnet, dass die Entscheidung für den Standort Gorleben politisch und nicht wissenschaftlich begründet ist. Die Eignung Gorlebens als Endlager für hochradioaktiven Atommüll wird seit Jahrzehnten angezweifelt. Desweiteren ist das Atommüllzwischenlager Gorleben derzeit Gegenstand eines Untersuchungsausschusses des Bundestages. Obwohl der Untersuchungsausschuss seine Arbeit gerade erst aufgenommen hat, wird die weitere Erkundung von Gorleben bereits wieder vorbereitet. An einer parlamentarischen Kontrolle dieser Arbeiten besteht offensichtlich kein Interesse seitens der Regierung. Zudem verweigert die schwarz-gelbe Bundesregierung eine tatsächlich ergebnisoffene Suche nach geeigneten Endlagerstandorten bereits dadurch, dass die von der CDU/CSU regierten, südlichen Bundesländer trotz vielversprechender Gesteinsformationen nicht in Betracht gezogen werden. Atomtechnologie ist Risikotechnologie. Die Endlagerfrage ist weltweit ungelöst. Durch Laufzeitverlängerungen mehr Atommüll zu erzeugen ist vor diesem Hintergrund unverantwortlich.

Bei der Wiederaufbereitung von Atommüll entsteht Material zur Herstellung von Atomwaffen als ein Nebenprodukt. Dies kann nicht befürwortet werden. In Deutschland ist und war die Errichtung von Wiederaufbereitungsanlagen gesellschaftlich zu Recht nicht konsensfähig. Ein baldiger Ausstieg Deutschlands aus der Atomtechnologie erübrigt die Frage des Bedarfs von Wiederaufbereitungsanlagen. Weder Atomkraftwerke noch Wiederaufbereitungsanlagen weisen den Weg zu einer erneuerbaren Energieversorgung.

Im internationalen Maßstab ist es für Deutschland als Industriestandort in meinen Augen besonders wichtig, in der Energiepolitik eine wirklich zukunftsweisende Vorreiterolle einzunehmen. Laufzeitverlängerungen bremsen entscheidende Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien. So liegt es auf internationaler Ebene an Deutschland, mit ambitionierten Umwelt- und Klimaschutzzielen sowie mit innovativen Technologien eine Vorbildfunktion zu erfüllen.

Bei dem Betrieb von Atomkraftwerken ist die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheitsinteressen ein entscheidendes Kriterium. Solange Kraftwerke laufen, müssen die bestmöglichen Sicherheitsstandards gelten. Wirklich sicher sind jedoch nur abgeschaltete Atomkraftwerke und solche, die gar nicht erst gebaut werden. Was die Übernahme deutscher Sicherheitsstandards für andere Länder betrifft: Deutschlands Atomkraftwerkpark ist einer der ältesten der Welt. Mit Biblis A wird in Deutschland das weltweit älteste Atomkraftwerk betrieben. Gemäß den Plänen der schwarz-gelben Koalition soll Biblis A noch weitere acht Jahre länger laufen anstatt jetzt abgeschaltet zu werden. Am Ende würde Biblis A nach 44 Jahren vom Netz gehen. Weltweit gibt es bisher keine Erfahrung darüber, was für ein Sicherheitsrisiko über 40 Jahre alte Atommeiler darstellen. Dieses Beispiel zeigt: Der Umgang der schwarz-gelben Bundesregierung mit den Sicherheitsinteressen der Bevölkerung ist verantwortungslos und nicht als Vorbild geeignet.

Es ist richtig und wichtig, dass sich auch die vier großen Energiekonzerne an dem Ausbau erneuerbarer Energien beteiligen und insbesondere die Entsorgungskosten ihres Mülls mittragen. Die Zukunft der erneuerbaren Energien darf aber nicht diesen vier Konzernen überlassen werden. Sie sind es, die als Energiemonopolisten an den Laufzeitverlängerungen verdienen. Die Monopolstrukturen auf dem Energiemarkt werden durch Laufzeitverlängerungen zementiert und neue Wettbewerber ausgebremst. Dabei brechen die Konzerne den Atomkonsens, den sie mit Rot-Grün im Jahre 2000 geschlossen haben. Für eine dezentrale Energieversorgung aus erneuerbaren Energien muss ein funktionierender Energiemarkt geschaffen werden.

Um dem Klimawandel wirksam entgegen zu treten, benötigen wir eine Energieversorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien. Dafür ist eine baldige Energiewende unumgänglich. Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke verhindern diese Energiewende. Wie zukunftsfähige Energiepolitik hin zu einer Versorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien aussehen kann, hat der regierungseigene Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Gutachten schon ausführlich dargelegt. Allein, der Regierung fehlt der politische Wille die wissenschaftlichen Ratschläge ihrer Sachverständigen umzusetzen. Die Stärkung der erneuerbaren Energien und ein Verbleib im Atomzeitalter schließen sich gegenseitig aus.

Die SPD-Bundestagsfraktion tritt für eine umweltschonende, nachhaltige, bezahlbare und sichere Energieversorgung ein. Dagegen ist die Energiepolitik von Schwarz-Gelb kurzfristige Klientelpolitik. Deshalb arbeiten wir daran, die schwarz-gelben Pläne auf der Straße, in den Gerichten und im Parlament zu verhindern. Protestaktionen wie die Großdemonstration am 18. September in Berlin zeigen, dass die schwarz-gelbe Atompolitik keine Mehrheit findet. 100.000 Menschen demonstrierten repräsentativ für eine Mehrheit in Deutschland, die sich für eine baldige Energiewende einsetzt. Fest steht: Atomkraft hat in Deutschland keine Zukunft.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Miersch

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