Martina Michels
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DIE LINKE
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Frage von Jens W. •

Frage an Martina Michels von Jens W. bezüglich Humanitäre Hilfe

Sehr geehrte Frau Michels,

ich nehme mit Entsetzen zur Kenntnis, dass an der türkisch-griechischen Grenze Kinder, Frauen und Männer mit Waffengewalt daran gehindert werden, die EU zu betreten und unter katastrophalen Verhältnissen und ohne Zukunftsperspektive im frühen März auf offenem Feld und unter freiem Himmel bleiben müssen. Ich wende mich daher an Sie als meine gewählte Abgeordnete mit der Frage, wie Sie die Situation einschätzen und ob und wie Sie sich dafür einsetzen, dass diese unchristliche und inhumane Vorgehensweise der EU sofort beendet wird und dass die Menschen vor Ort die notwendige Versorgung erhalten sowie die Möglichkeit, ihr Recht auf Asyl wahrzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Jens Wehrmann

Martina Michels
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr W.,

insgesamt sehe ich die Situation genauso, wie Sie.
Was an der griechisch-türkischen Grenze passiert, sowohl gegenüber Menschen auf der Flucht, als auch gegenüber Hilfsorganisationen ist unerträglich und das auch nicht erst in den vergangenen Wochen und Tagen. Der inhumane Zustand in den Lagern auf den griechischen Inseln ist schon länger so furchtbar. Nun wird er noch verschärft durch ein kurzzeitiges Aufheben der Pushbacks, die der Europäische Rat mit der Türkei am 7. März 2016 vereinbart hatte. Doch auch dieser Deal brach geltendes Recht schon in mehrfacher Weise, weil er nur für Syrer*innen ein Antragsverfahren vorsah, anderen das Asylrecht verwehrte.
Wie auch immer, hier muss sofort etwas geschehen.
In meiner Heimatstadt Berlin hat die Sozialsenatorin, Elke Breitenbach, auch LINKE, darauf aufmerksam gemacht, dass das Land und die Kommune Berlin, so wie 140 Städte in Deutschland – und viele weitere europaweit, die sich zu den "Solidarity Cities" zusammengeschlossen haben -, sofort Menschen aufnehmen kann und will. Die Linksfraktion im Deutschen Bundestag hatte schon im März 2019 (!) einen ähnlichen Antrag gestellt, wie die Grünen letzte Woche im Bundestag, der auf eine solche Soforthilfe zielt und der dann von der Großen Koalition in der letzten Woche abgelehnt wurde, weil sie erneut auf eine Lösung unter den Mitgliedstaaten in Brüssel verwiesen, obwohl genau da schon seit 5 Jahren nicht passiert.
In meinem aktuellen Newsletter "Martinas Woche" habe ich die Situation nochmals klar dargestellt, sie finden diesen Newsletter sowohl auf www.dielinke-europa.eu als auch unter www.martina-michels.de .
Im November 2018 habe ich in Berlin eine Veranstaltung zur Lage auf Lesbos gemacht, mit Aktivisten der "no border kitchen"-Gruppe und wir unterstützen diese und andere Gruppen vor Ort bis heute. Meine Abgeordnetenkollegin Özlem Demirel war überdies letzte Woche vor Ort, um die Situation öffentlich zu machen. Auch ich finde die Äußerung von Ursula von der Leyen, das Griechenland ein "Schild" Europas sei, sowie die Ratsentscheidungen der vergangenen Woche, zur weiteren Rechte verletzenden Abschottung unerträglich und politisch völlig verkehrt. Statt Krieg gegen Menschen auf der Flucht, sollten wir den Fluchtursachen den Kampf ansagen (keine Waffenexporte, keine Deals mit Despoten oder der libyschen Küstenwache, keine ungerechte Handelspolitik usw.). Doch genau jetzt braucht es endlich auch akute Soforthilfe, sichere Fluchtwege, humane und schnelle Registrierung und Verteilung.
Was viele leider nicht wissen: Das Europaparlament hat dazu schon im Dezember 2017 einen kompletten Vorschlag gemacht, von den Konservativen bis zu den Linken haben den alle mitgetragen, außer Rechtsaußen, der umgangssprachlich "Dublin IV" genannt wird und sowohl Italien und Griechenland entlasten sollte. Doch dieser Vorschlag wird seither vom Europäischen Rat ausgesessen. Die Medien haben darüber kaum berichtet. Aber es liegt ein fertiges Gesetzespaket auf dem Tisch, das enthält nicht all meine Wünsche, aber es ist das Beste, was bisher vorliegt und wie gesagt, es wurde von einer großen Mehrheit im Europaparlament getragen.
Weiterhin wäre ich dafür, dass Staaten, die Rechtsstaatlichkeit, wozu auch die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Grundrechtecharta gehören nicht einhalten, mit Sanktionen wie Stimmen-Entzug im Rat zu belegen. So etwas muss man natürlich diskutieren, weil schnell immer viele die Kürzung von Fördergeldern als Sanktion formulieren, doch das fehlt dann manch Initiativen vor Ort und man bestraft mit solcher Art Sanktionen oft die Falschen. Letztlich halte ich es jedoch geboten, so etwas in die Debatte zu bringen (Stimmrechtsentzug), wenn Statten sich einer solidarischen Aufnahme von Menschen in Not verweigern.
Es wäre sicher noch vieles mehr zu sagen, ich hoffe jedoch, Ihnen einen kleinen Ausschnitt dargestellt zu haben, dass meine Kolleginnen und Kollegen und ich hier aktiv sind und wir auch jeden Druck schätzen, der derzeit von den Straßen kommt und den Regierungen zeigt, dass Europa nicht seine Seele und sein Herz verlieren sollte. Am Ende ist das dann auch vernünftiger.

Freundliche Grüße,

Martina Michels

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