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Lothar Binding
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Frage von Dietrich M. •

Frage an Lothar Binding von Dietrich M. bezüglich Bundestag

Sehr geehrter Herr Binding,
seit Jahren leisten wir uns einen immer weiter aufgeblähten Bundestag durch Überhangs- und Ausgleichmandate. Der nächste Bundestag 2021 soll noch weit größer werden durch die Anzahl vieler kleiner Parteien die ins Parlament kommen.
Was tun Sie, sehr geehrter Herr Binding, gegen diesen Irrsinn, der dem deutschen Steuerzahler hunderte von Millionen kostet?

mit freundlichen Grüßen d. m.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Frage hier auf Abgeordnetenwatch.de. Der Deutsche Bundestag hat regulär 598 Abgeordnete, davon werden 299 in den Wahlkreisen direkt mit der Erststimme gewählt und 299 über die Landeslisten der Parteien in den einzelnen Bundesländern mit der Zweitstimme. Gleichzeitig ergibt sich aus den Zweitstimmen auch das Verhältnis, in dem die Parteien im Bundestag vertreten sein sollen. Als Beispiel, wenn Partei A 10 Prozent der Zweitstimmen bekam, soll sie auch 10 Prozent der Sitze bekommen. Nun kann es sein, dass eine Partei mehr Wahlkreise direkt gewonnen hat, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen würde. Dann spricht man von Überhangmandaten. So etwa geschehen bei der letzten Bundestagswahl, als die CSU in Bayern alle Wahlkreise gewonnen hat, aber ein schlechtes Zweitstimmenergebnis erzielte. Würde man diese Mandate nicht ausgleichen, würde die Sitzverteilung im Bundestag nicht mehr dem Ergebnis der Zweitstimmen und damit dem Wähle*innenwillen entsprechen. Aus diesem Grund werden Überhangmandate durch Ausgleichsmandate ergänzt, bis die Sitzverteilung der einzelnen Parteien wieder dem Ergebnis der Zweitstimmen entspricht. Dies ist aus einer demokratietheoretischen Sicht begrüßenswert, führt aber irgendwann dazu, dass der Bundestag durch die Vielzahl an Abgeordneten ein Stück schwerfällig in der Arbeit wird.
Im Moment hat der Bundestag 709 Abgeordnete, sprich großzügig 120 mehr als die eigentlich vorgesehene Zahl. Ein Bundestagsabgeordneter bekommt seitdem 1. Juli 2019 eine monatliche Diät von 10.083,47 Euro. Die automatische Diätenerhöhung 2020 haben die Abgeordneten auf eigenen Wunsch ausgesetzt. Dazu bekommt er eine steuerfreie Pauschale in Höhe von 4.497,62 Euro zur Deckung der Kosten von Reisen im Wahlkreis, Zweitwohnung in Berlin, Miete Wahlkreisbüro,… Zur Unterstützung bei seiner parlamentarischen Arbeit kann er bis zu einer Gesamtsumme von 22.436 Euro Mitarbeiter*innen einstellen. Dieses Geld bekommt der Abgeordnete aber nicht direkt ausgezahlt, sondern die Bundestagsverwaltung übernimmt die Abrechnung. Gegen Nachweis bekommen sie zudem bis zu 12.000 Euro im Jahr die Ausgaben für Büro- und Geschäftsbedarf erstattet. An monatlichen „Kosten“ für eine Abgeordnete fallen daher etwa 40.000 Euro an, rechnet man die Reisekosten von und nach Berlin mit ein. Im Monat gerechnet kosten die 120 zusätzlichen Abgeordneten also etwa 4,8 Mio Euro. Im Jahr also 57,6 Mio. Euro, knapp ein Zwanzigstel der Gesamtkosten.
Die Debatte über die Größe des Bundestages begleitet uns nun schon einige Jahre und dabei werden immer Vergleiche mit viel größeren Ländern vorgenommen. Allerdings werden dabei nur die Gesamtzahl der Abgeordneten betrachtet, nicht die Kosten. Nehmen wir zum Beispiel den Kongress in Amerika. Dieser besteht aus zwei Kammern, dem Abgeordnetenhaus mit 435 Mitgliedern und dem Senat mit 100 Senator*innen. Deren jährliche Entschädigung beträgt 174.000 US-Dollar. Hinzu kommen im Abgeordnetenhaus 573,6 Millionen US-Dollar für Büro- und Personalkosten und im Senat 474,6 Mio US-Dollar für Büro- und Personalkosten. (Stand 2019). Insgesamt werden die Kosten für das Abgeordnetenhaus mit 1,3 Mrd. US-Dollar und für den Senat mit 990,1 Mio US-Dollar veranschlagt. Die Gesamtkosten für beide Kammern als Kongress werden mit 2,3 Mrd. US-Dollar veranschlagt, doppelt so viel wie der Bundestag.
Sie und jeden weiteren Bürger, jede weitere Bürgerin in Deutschland (Kinder mitgerechnet), jeden kostet das Parlament, die Bundestagsabgeordneten, weniger als 1,50 Euro pro Jahr. Wenn wir die Abschreibung der Gebäude und alle oben genannten Kosten hinzurechnen, kostet der Bundestag jede Bürgerin jeden Bürger weniger als 10 Euro im Jahr, also weniger als 85 Cent im Monat. Im internationalen Vergleich nicht zu viel.
Mit diesen Zahlen will ich jetzt nicht die Größe des Bundestages rechtfertigen, wie oben schon geschrieben, würde ein noch größeres Parlament die Arbeitsfähigkeit eher negativ beeinträchtigen. Aber man darf nicht nur eine auf wie viele Einwohner kommt ein Abgeordneter Quote als Vergleich nehmen, sondern muss weitere Punkte betrachten. So stehen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und des Senats ein viel größerer Personalstab (oft 20 bis 30 MitarbeiterInnen) zur Verfügung, entsprechend anders kann dort auch gearbeitet werden.
Um den Bundestag nun in Zukunft kleiner und nicht größer werden zu lassen, bedarf es einer Reform des Wahlrechts. Wirklich stringent gedacht, gib es nur eine Lösung: die Anzahl der Wahlkreise verringern. Dann gäbe es vielleicht statt 299 nur 249 Wahlkreise, die dann natürlich größer würden. Leider blockiert hier die CSU extrem, weil sie alle Direktmandate in Bayern erringt und eine solche Reform für die CSU weniger Mandate bedeuten würde.
Dazu liegen auch Vorschläge von Bundestagspräsident Schäuble, der Union, den demokratischen Oppositionsfraktionen, sowie der SPD auf dem Tisch. Sie alle eint der Wunsch, den Bundestag zu verkleinern, aber im Weg sind sie sehr verschieden.
Für uns ist klar, dass ein neues Wahlrecht nicht dazu führen darf, dass die Sitzverteilung im Parlament nicht dem Verhältnis der Zweitstimmen entspricht. Dies wäre bei den ähnlichen Vorschlägen von Wolfgang Schäuble, sowie der Unionsfraktion der Fall, da diese eine gewisse Anzahl an Überhangmandaten nicht ausgleichen würden. Würde man die aktuellen Wahlergebnisse zu Grunde legen, würde von solch einer Reform überwiegend CDU/CSU profitieren, sogar eine absolute Mehrheit könnte für sie möglich sein, obwohl sie nur 40 Prozent der Stimmen haben und alle anderen Parteien im Parlament zusammen mehr Stimmen hätten.
Der Vorschlag der demokratischen Oppositionsfraktionen sieht vor, die Anzahl der Wahlkreis zu verringern und die Gesamtzahl der Abgeordneten etwas zu erhöhen, so dass es von vorneherein mehr Abgeordnete über die Liste als über das Direktmandat in den Bundestag einziehen würden. Eine Verringerung der Wahlkreise, insbesondere im ländlichen Bereich würde aber zu sehr großen Wahlkreisen führen, die als Abgeordnete nur noch schwer zu betreuen wären.
Der Vorschlag der SPD sieht vor, die Anzahl der Abgeordneten etwas zu erhöhen und gleichzeitig im Falle von Überhangmandaten die Wahlkreise, die mit dem niedrigsten Stimmenergebnis gewonnen wurden, nicht zuzuteilen. Dies ist auch keine ideale Lösung, da es dadurch Wahlkreise ohne direkt gewählten Abgeordneten geben könnte. Er ist auch nur als Übergangslösung für die nächste (eine!) Bundestagswahl vorgesehen, da eine Verringerung der Wahlkreis nur noch schwer zeitlich umsetzbar wäre. Dieser Vorschlag findet auch bei renommierten Staatsrechtler*innen gefallen und ist der Beratungsvorschlag der SPD-Bundestagfraktion in den Verhandlungen.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding