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Frage von Sabine R. •

Frage an Lothar Binding von Sabine R. bezüglich Finanzen

Guten Tag Herr Binding,
da Sie sich doch mit Finanzthemen so prima auskennen:
Warum gibt es bis jetzt kein Leerverkaufsverbot in Deutschland.
Spanien, Italien, Frankreich, Belgien und Südkorea haben Leerverkäufe verboten.
Amerikanische Hedgefonds wetten fröhlich in riesigen Summen auf einen weiteren Ausverkauf des DAX und hier passiert nichts.
Da muss man doch nicht ewig lange auf die EU warten.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Rögner

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Rögner,

vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Leerverkauf.

Bei Leerverkäufen werden Wertpapiere (auch Devisen oder Commodities) auf dem Kapitalmarkt zum Verkauf angeboten, ohne (ungedeckter Leerverkauf) dass sie sich zu diesem Zeitpunkt im Besitz des Verkäufers befinden oder der Verkäufer zum Zeitpunkt der Verkaufsvereinbarung die Basiswerte nur geliehen (gedeckter Leerverkauf) hat.

Das kann für ein Unternehmen sinnvoll sein, z.B. um sich gegen Preisschwankungen von Rohstoffen abzusichern (engl. Hedging). Auch bei sogenannten Arbitragegeschäften sind Leerverkäufe wichtig. Hierbei wird z.B. eine unterschiedliche Bepreisung des gleichen Wertpapiers an verschiedenen Handelsplätzen ausgenutzt.

Die dritte Variante für den Einsatz von Leerverkäufen ist die Spekulation. Hier wettet der Leerverkäufer schlichtweg auf sinkende Preise am Kapitalmarkt. Dabei leihen sich die Verkäufer die Wertpapiere und verkaufen sie an der Börse (gedeckter Leerverkauf). Vor der fälligen Rückgabe hoffen sie, die Papiere zu einem günstigeren Preis wieder zurückzukaufen. Bei sogenannten ungedeckten Leerverkäufen werden Wertpapiere veräußert, die der Verkäufer gar nicht in seinem Besitz hat. Vielmehr hofft er, sie zu einem späteren Zeitpunkt für einen Preis zu erwerben, der unter seinem Verkaufspreis liegt. Im Falle einer Krise auf den Finanzmärkten profitiert der Leerverkäufer und wenn es sich dabei um einen kapitalstarken Investor handelt, kann er damit die Abwärtsentwicklung sogar verstärken. Auch wenn er in bestimmten Sicherungsgeschäften realwirtschaftlich sinnvoll ist, es sind solche prozyklischen Wirkungen, die zum schlechten Ruf des Leerverkaufs beitragen. Und als ob das noch nicht genug wäre, spielt der Leerverkauf auch bei den betrügerischen Cum Ex Geschäften eine zentrale Rolle. Auch beim großen Börsencrash 1929 und der Bankenkrise 2007/2008 waren Leerverkäufe mit von der Partie.

Nach der Bankenkrise 2007/2008 haben wir mit dem sozialdemokratischen Bundesfinanzminister Steinbrück ungedeckte Leerverkäufe befristet verboten. Dieses Verbot wurde 2010 in Deutschland erneut in Kraft gesetzt. Im Jahr 2012 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA - European Securities and Markets Authority) die ungedeckten Leerverkäufe per Verordnung dann auch EU-weit verboten. In Deutschland kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) darüber hinaus Leerverkäufe von deutschen Aktien verbieten, wenn eine Marktstörung zu befürchten ist. Im letzten Jahr hat die Bafin zeitweise Leerverkäufe von Aktien der Wirecard AG verboten, weil der Verdacht auf Marktmanipulation bestand.

Zusammengefasst: ungedeckte Leerverkäufe sind in der EU bereits verboten und gedeckte Leerverkäufe von deutschen Aktien kann die Bafin verbieten. In anderen europäischen Staaten existieren ebenfalls die Möglichkeiten eines nationalen Verbotes durch die jeweiligen Institutionen. Als Reaktion auf die heftigen Kursverluste an den Börsen im Zuge der „Corona-Krise“ wurden in Frankreich, Italien, Spanien und Belgien Leerverkäufe befristet verboten, das ist richtig. Das Verbot gilt jeweils für einen Monat bzw. in Italien sogar für drei Monate.

Ein abgestimmtes Vorgehen in Europa halte ich hier für die beste Maßnahme. Die ESMA hat bereits entschieden, dass schon bei einem Anteil von Leerverkaufspositionen (netto) in Höhe von 0,1 Prozent den jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden Meldung erstattet werden muss. Zuvor lag die Schwelle bei 0,2 Prozent. Eine gute Entscheidung, denn so sollen Spekulationen schneller erkannt werden. Ein vorübergehendes Leerverkaufsverbot durch die ESMA kann darüber hinaus eine sinnvolle Maßnahme sein. Auch für die Bafin bleibt dies natürlich eine Möglichkeit. Hier gilt es aber nicht eilfertig, sondern wie abgestimmt und koordiniert vorzugehen.

Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort ein Stück weiter…

Nebenbemerkung: Natürlich gib es in alle möglichen Richtungen Verharmlosungs- oder Horrorberichte. Entsprechend vorsichtig sind sie zu lesen. Ich finde einen etwas älteren Artikel „Vom Trader-Gott zum Online-Bettler“ ganz interessant. Sie finden ihn unter:

https://www.wallstreet-online.de/nachricht/8142996-trader-gott-online-bettler-fataler-leerverkauf-treibt-trader-ruin-community-spenden

Dort gibt es auch eine Bemerkung zu unterschiedlichen Wirkungen von Short- und Long-Positionen. Leider ist es nicht leicht den spielsüchtigen Zocker von den seriösen Tradern mit realwirtschaftlicher Orientierung zu unterscheiden. Die Welt ist eben nicht binär.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding