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Frage von Michael R. •

Frage an Lothar Binding von Michael R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Binding,

wie ist Ihre Meinung zum Zensurgesetz, auch Netzwerkdurchsetzungsgesetz genannt, von Justizminister Maas? Wie werden Sie hierzu abstimmen?
Das Gesetz stellt einen beispiellosen Anschlag auf die Meinungsfreiheit und einen Generalangriff auf die Gewaltenteilung dar. Das Gesetz soll nun offenbar heute, am Dienstag, 16.05.2017, in den Fraktionssitzungen "durchgewunken" und in dieser Woche still und heimlich in 1. Lesung am Freitag, 19.5.2017 (siehe die Tagesordnung des Bundestages, dort Punkt 38), eingebracht werden.
Wie die Homepage des Bundestages mit der Tagesordnung zeigt, fehlt interessanter- und überraschenderweise dort noch die Drucksache, um den Gesetzentwurf wenigstens in letzter Fassung noch einmal öffentlich nachlesen zu können. Zufall? Absicht? Oder wird auf den allerletzten Drücker daran noch gearbeitet, weil doch ein paar Grundrechte betroffen sind? Dass den Abgeordneten so die Möglichkeit genommen wird, sich hinreichend lange vor der Abstimmung mit dem zur Abstimmung stehenden Entwurf auseinander zu setzen, liegt auf der Hand. Das Gesetz soll ganz offensichtlich aber umgehend nach der nicht selten an einem Tag erfolgenden 2. und 3. Lesung und damit vor der Sommerpause, vor allem aber vor der Bundestagswahl, in Kraft treten. Mit dem Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit wollen Merkel und Maas offenbar so früh wie möglich anfangen.

Seit Adenauers vor dem Verfassungsgericht gescheitertem Versuch, ein Staatsfernsehen einzurichten, hat es in der Bundesrepublik keinen solchen Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit gegeben. Dass das Gesetz vom Verfassungsgericht kassiert werden wird, steht für mich außer Frage. Deutschland kritisiert vollmundig die massiven Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Mit diesem Gesetzesvorhaben macht man einen ganz großen Schritt in dieselbe Richtung.

Widerstehen Sie dem Fraktionszwang! Stehen Sie ein für die Grundrechte der Bürger!

Mit besten Grüßen

Michael Rettkowski

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Rettkowski,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ihrer Aussage, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bedeute „Zensur“, möchte ich
nicht folgen. Schon 2007 wurde mit dem Telemediengesetz beschlossen, dass
Social-Media-Anbieter gegen sog. „hate speech“ auf ihren Plattformen
vorgehen müssen. Diese Art der Zensur, Hassbotschaften zu verbieten,
Verbreitung rechtsextremer, rassistischer Ansichten… halte ich für richtig.
Sie hoffentlich auch. Es ist ein wenig wie mit der Freiheit. Sie endet dort
wo andere geschädigt werden.

Allerdings wurde sich zunächst auf eine Selbstverpflichtung geeinigt, die
jedoch nur magere Erfolge brachte. Und immer wenn Selbstverpflichtung nicht
funktioniert, denken wir natürlich über gesetzgeberische Maßnahmen nach. Die
Richtlinien sollen mit dem neuen Gesetz besser durchgesetzt werden, so wird
die Entfernung von Nachrichten binnen 24 Stunden (in Härtefällen innerhalb
von 7 Tagen) verpflichtend und ein Bußgeld bei Verstößen gefordert. Und wenn
die Bußgeldbehörde ein Bußgeld verhängen will, etwa weil häufig und
unvertretbar begründet Löschungen von Beleidigungen unterblieben sind, dann
muss zuerst ein Gericht feststellen, ob Straftaten vorliegen. Die rechtliche
Einschätzung von Inhalten in Einzelfällen soll verhindern, dass soziale
Netzwerke im Zweifel zu schnell löschen, um den hohen Bußgeldern zu
entgehen.

Das Entfernen von bedrohenden, hetzerischen, rassistischen oder falschen
Nachrichten ist keine Zensur, sondern der Schutz der Meinungsfreiheit aller.
Dabei sind die Facebook-eigenen Regeln weit schärfer: Sie fordern das
sofortige Löschen von Beiträgen die diskriminierend gegenüber Rasse,
Ethnizität oder nationaler Herkunft sind. Wie die Vergangenheit gezeigt hat,
können diese Botschaften nicht automatisch von einem Algorithmus entfernt
werden, sondern müssen begutachtet werden. Somit wird jeder Kommentar nach
der Beschwerde persönlich geprüft und kann mit einer vertretbaren Begründung
auch weiterhin bestehen. Dieser Prozess ist seit jeher Usus in
Zeitungsredaktionen, die die Rechtstauglichkeit ihrer Leserbriefe und
Artikel prüfen und sicherstellen müssen. Für den jeweiligen Mehraufwand sind
die Firmen zuständig, denn die Verarbeitung und Verbreitung von
Informationen ist ja auch ihr Geschäftsmodell… jeglicher Aufwand findet sich
in der Kalkulation.

Ausgenommen von der neuen Regeln werden sein Mailingdienste und
Bewertungsplattformen wie LinkedIn.

Ich muss Ihnen Recht geben: das neue Gesetz wurde recht spät in Angriff
genommen. Allerdings möchte niemand etwas still und heimlich „durch winken“.
Das ginge auch nicht, denn die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Ausschüsse
des Bundestages sind öffentlich und oft wird monatelang gerungen, bevor die
Formulierungen für eine Beschlussvorlage mehrheitsfähig sind. Was dann im
Plenum passiert, ob geredet wird, oder zu Protokoll gegeben, ob parallel zur
Behandlung im Plenum ein Blockbuster im Fernsehen läuft… alle wichtigen
Erkenntnisse sind vor der Befassung im Plenum öffentlich. Wer sich
interessiert, findet praktisch alles auf der Website des Deutschen
Bundestages oder auf den Websites der Kollegen, die sich fachlich (oft als
Berichterstatter) um das Thema kümmern. Last but not least gibt es für jeden
Wahlkreis zuständige Kolleginnen und Kollegen, die ansprechbar sind und
weitere Informationen geben oder besorgen können.

Mit freundlich Grüßen, Ihr Lothar Binding