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Frage von Andreas H. •

Frage an Lothar Binding von Andreas H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

England fordert, die EU solle Souveränitätsrechte an die Nationalstaaten zurückgeben. Wäre das nicht ein besserer Weg,
als sich von der EZB und der Kommission regieren zu lassen?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Hess,

vielen Dank für Ihre Frage. Die Vertiefung der europäischen Integration muss insbesondere dort vorangehen, wo dies zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung erforderlich ist. Momentan muss man sehr aufpassen, was man unter der europäischen Idee versteht. Einige scheinen dazu bereit, Europa auf dem Finanzplatz zu opfern, sei es durch die Idee griechische Inseln zu verkaufen, oder sich nach alten Nationalwährungen zu sehnen.

Pauschal lässt sich eine Frage nach Abgabe und Rückgabe von Souveränität nicht beantworten. Vielmehr sollten die Folgeeffekte einer solchen Kompetenzverschiebung ins Auge gefasst und dann entschieden werden, ob eine supranationale Entscheidung im Hinblick auf krisenlösende Maßnahmen mehr oder weniger Sinn macht. Wir müssen daher differenzierter vorgehen, genauer hinhören und sorgfältiger nachdenken.

Weil ich im Finanzausschuss des Bundestage bin, reflektiere ich als Beispiele einige Aspekte aus der Finanzpolitik: In der Steuerpolitik sollte bei der Erhebung einer europäischen Finanztransaktionssteuer zur Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der von ihm verursachten Krisen ein gesamteuropäischer Plan verfolgt werden. So wie England schon seit langem eine Steuer auf bestimmte Transaktionen erhebt, kann die Finanztransaktionssteuer aber auch in einer Teilmenge der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eingeführt werden.

Auch hinsichtlich der Harmonisierung von Steuerbemessungsgrundlagen zur Vermeidung von Steuerdumping einiger Länder auf Kosten aller anderen oder bei einheitlichen und verbindlichen Regeln in der Bekämpfung grenzüberschreitender Steuerhinterziehung ist eine europäische Zusammenarbeit erforderlich. Heute sind die effektiven Steuern der einzelnen Länder sehr schwer vergleichbar, denn selbst wenn die Steuersätze gleich sind, folgt daraus nicht die gleiche Steuerzahlung, weil die Bemessungsgrundlagen sehr verscheiden definiert und ermittelt werden. Betriebsausgaben, Sonderabzugsmöglichkeiten, Verlustbehandlung insbesondere bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen - alles ist kaum vergleichbar. Deshalb ist die Harmonisierung von Steuerbemessungsgrundlagen ein wichtiger Schritt.

Wir brauchen ein dichtes Netz von Finanzmarktregulierungen und eine Vielzahl an Werkzeugen, Ideen und Alternativen, die gleichzeitig an verschiedenen Anknüpfungspunkten gemeinsam wirken, um die Stabilität des Finanzmarktes zu verbessern. Hierzu gehört auch die Bankenunion – und insgesamt der automatische Informationsaustausch.

Eine krisenfeste Bankenunion umfasst wenigstens:

• eine unabhängige Aufsicht

• einen einheitlichen Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus

• einen bankenfinanzierten(!) Restrukturierungsfonds

• eine tragfähige Einlagensicherung

Die SPD Bundestagsfraktion hat sich daher schon frühzeitig für die Einführung einer europäischen Bankenaufsicht als Teil einer Bankenunion ausgesprochen, die neben der Aufsicht einen einheitlichen Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus und einen bankenfinanzierten Restrukturierungsfonds umfasst.

In Hinblick auf eine europäische Bankenaufsicht kann man die Frage nach einer Kompetenzverschiebung nach Europa hin oder nach Europa heraus auch nicht pauschal beantworten: Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte beispielsweise nur dann eine durchsetzungsfähige Bankenaufsicht ausüben, wenn auf der europäischen Ebene auch die Kompetenz besteht, Banken im Ernstfall abwickeln zu können.

Gegenwärtig wird die Einführung der Bankenunion so überlegt, dass zunächst die Aufsicht bei der EZB liegt. Solange es aber keinen einheitlichen Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus gibt, bleibt die Aufsicht ein stumpfes Schwert. Verzögertes Handeln der nationalen Aufsichtsbehörden könnte dazu führen, dass die EZB zur Stützung von Banken gezwungen wird, um deren Zusammenbruch und mögliche Dominoeffekte im Bankensektor zu verhindern. Auch Interessenkonflikte innerhalb der EZB zwischen Geldpolitik und Aufsicht legen es nahe, die EZB nur befristet, als Übergangslösung mit der Aufsicht zu betrauen. Langfristig benötigen wir also eine unabhängige (nicht gleichzeitg mit der Geldpolitik betraute) Bankenaufsicht.

Sie sehen an diesen wenigen Beispielen, warum eine allgemein gültige pauschale Antwort auf Ihre Frage nicht angemessen wäre.

Was mir grundsätzlich nicht gefällt: Immer mehr Entscheidungskompetenzen werden aus den nationalen Parlamenten in demokratisch nicht kontrollierte Institutionen verlagert. Die Entscheidungsschwäche der Kanzlerin, ihr Zögern und Warten auf „die anderen“, also die EZB, die Kommission, den IWF, also die Troika, während alle anderen Länder auf ein Signal aus Deutschland warten… führt zu einer unbemerkten undunkontrollierten Verlagerung von Kompetenzen.

Wenn ich an „Verlagerung von Souveränitätsrechten an die EU“ denke, also an das Gegenteil dessen, was England intendiert, dann nur in dem Maße, wie die Demokratisierung der EU vorankommt. Das geht nicht durch einsam exekutive Kanzlerentscheidungen, sondern muss von den nationalen Parlamenten gesteuert und beschlossen werden. Die Entscheidung liegt in Deutschland darüber beim Deutschen Bundestag.

Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort, orientiert an einigen Beispielen, weiter.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding (Heidelberg bei Hockenheim)