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Lothar Binding
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Frage von Nikolaus J. •

Frage an Lothar Binding von Nikolaus J. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Binding?

Wir werden Sie zum Rettungspaket Zypern abstimmen?
Mit JA oder NEIN?

Unabhängig von Ihrem Abstimmungsverhalten bitte ich um eine ehrliche Antwort: fühlen Sie sich mehr Ihrem Gewissen oder mehr Ihrer Partei verpflichtet?

Mit freundlichen Grüßen
N. Jaschke

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Jaschke,

vielen Dank für Ihre Frage. Deutschland versagt gegenwärtig in der Außenpolitik. Westerwelle ist eine diplomatische Leestelle. Angenommen die schwarz-gelbe Bundesregierung wüsste was sie will - für mich ist klar: Deutschland kann in der EU nicht alles erreichen, aber gegen Deutschland ist nichts zu erreichen. Da die Regierung aber nicht weiß, was sie will oder wollen soll, trainiert Kanzlerin Merkel täglich ihre Entscheidungsschwäche – im Ergebnis entscheiden andere. Andere Regierungen, die EZB, die Troika, der IWF oder die Kommission oder systemisch dominante Krisensituationen von Banken, Ländern, Märkten. Manchmal entscheidet sogar die Geschwindigkeit im Markt oder der Zeitdruck – unerträglich für eine Demokratie. So formuliert Merkel auch die Anforderung: „Wir brauchen eine marktkonforme Demokratie“. Und immer wenn andere entschieden haben, entscheidet Merkel kraftvoll hinterher das Gleiche – so kann Entscheidungsschwäche die Demokratie beugen.
So kommt es, dass wir Rettungspakete beschließen, Risiken übernehmen und Bedingungen der Troika akzeptieren, die in Krisenregionen in Folge der Bankenkrise, in Folge von Marktversagen, in Folge von Managementversagen, in Folge von Regierungsversagen – nicht den Menschen helfen, sondern kurzfristig die Systeme überlebensfähig halten. Wir brauchen überlebensfähige Systeme, deshalb habe ich auch dem Zypernpaket, wie schon zuvor denen für Irland, Portugal, Spanien, zugestimmt.
Das Drama besteht darin, dass alle wichtigen weiteren Maßnahmen, die Peer Steinbrück und die SPD Fraktion, oft auch die Grünen, für den Finanzmarkt, für Wachstumsimpulse, für die Armutsbekämpfung, gegen Arbeitslosigkeit, für eine Bankenunion mit Aufsichtsregime und Aufsichtsbehörde, mit Abwicklungsregime und Abwicklungsfonds, im Bundestag keine Mehrheit finden und im Regelfall schon in den Ausschussberatungen keine Chance auf eine Mehrheit haben.
Würden wir aber auch die systemisch wichtigen Komponenten aufgeben, ginge es den Menschen in den betroffenen Ländern, aber auch allen anderen Ländern, noch schlechter. Und ich möchte Europa nicht unter der Entscheidungsschwäche unserer Regierung und ihrem Fehler einer überbordenden Austeritätspolitik leiden lassen. Hinzu kommt, dass das große Problem der sozialen Ungleichgewichte nicht in den Blick genommen wird. Die Reichen und Superreichen in den armen Ländern müssen sich an jeglicher Rettung beteiligen. CDU und FDP fallen in solchen Momenten immer das Wort „Neiddebatte“ ein.

Nein, ich möchte wirklich, dass starke Schultern auch mehr tragen. Aber wie sollte die schwarz-gelbe Bundesregierung dieses Ziel in Europa verfolgen, wenn sie es im eigenen Land ignoriert oder sogar noch verschärft. Im Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurden sogar Schlupflöcher für die Verlagerung von Gewinnen wieder aufgerissen, parteipolitisch geneigtes Klientel besonders begünstigt und schauen Sie auch auf das Desaster mit dem Schweizer Abkommen, das Schäuble verhandelt hat mit dem Effekt, dass Steuersünder anonymisiert werden… In Bayern sind hunderte Stellen in der Steuerprüfung bzw. in der Steuerfahndung oder Betriebsprüfung nicht besetzt, in Baden-Württemberg hat die rot-grüne Landesregierung erst kürzlich 500 neue Stellen in der Steuerprüfung geschaffen, schaffen müssen, weil die Personalausstattung in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt wurde. Sie erkennen an dieser Politik, warum es Merkel/Schäuble unendlich schwer fällt, in Europa auf eine Beteiligung der wirklich Reichen an den Kosten zu drängen. Im Gegenteil: oft wird so lange gezaudert und gezögert… bis die Wohlhabenden in armen Ländern ihr Vermögen ins Ausland geschafft haben. Ähnliche Probleme bestehen mit den exorbitanten Risiken, die Spekulanten eingehen und erwarten, dass die europäischen Steuerzahler dafür haften. Auch hier hat Peer Steinbrück konkrete Vorschläge gemacht, wie Risiko und Haftung zusammengebracht werden müssen. Das ist einer der Lösungsansätze.
Sie spüren sicher, warum ich den Rettungspaketen zustimme: um Schlimmeres zu verhindern. Und warum ich gleichzeitig sehr unzufrieden bin: weil jenseits der Rettungspakete (Geld und Auflagen) Austerität herrscht – also Armutsverschärfung durch prozyklische Auflagenpolitik in konjunkturellen Krisenzeiten.

Zu Ihrer Frage „Gewissen oder Partei“ kann ich viel erzählen. Bitte schauen Sie einfach nach, ob und wie oft ich anders gestimmt habe als die Mehrheit meiner Fraktion. Da sich diese Antwort auf die Vergangenheit stützt, gelingt es Ihnen selbst, sie zu verifizieren. Dabei könnten Sie noch überlegen, in welchen Fällen Sie von Gewissensentscheidung sprechen.
Den Rettungspaketen zuzustimmen ist für mich keine Gewissensentscheidung.
Echte Hilfsprogramme für die Menschen in ärmeren Ländern nicht zu beschließen, wohl wissend, dass kleine Geschäfte aufgeben müssen, die Versorgung mit dem Nötigsten zusammen bricht, Familienväter ihre Arbeit verlieren, die Jugendarbeitslosigkeit unerträglich hoch ist und so weiter – das ist für mich eine Gewissensentscheidung – leider bleibe ich damit alleine, weil für eine solche Politik mit schwarz-gelber Dominanz keine Mehrheit zu erreichen ist.
Aber ich bin auch Demokrat und beherzige einen Sinnspruch dessen Quelle ich leider nicht kenne: Ich wünsche mir die Gelassenheit hinzunehmen was nicht zu ändern ist, den Mut zu ändern, was ich ändern kann und die Weisheit zwischen beiden zu unterscheiden.
Gerade in einer Demokratie können manchmal allerdings Wahlen etwas verändern, deshalb bin ich stets hoffnungsfroh…

Mit freundlichen Grüße,

Ihr Lothar Binding