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Frage von Johannes E. •

Frage an Lothar Binding von Johannes E. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Binding,

Mit Bestürzung habe ich von der geplanten Absetzung Prof. Sawickis als Direktor des IQWiQ erfahren. Die Begründung der Wirtschaftsminister der Länder (was auch immer Wirtschaftsminister mit Gesundheitspolitik zu tun haben), ich zitiere Spiegel ONLINE: "bei der Bewertung von Arzneimitteln müssten auch Kriterien wie die >>Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der heimischen pharmazeutischen Unternehmen<< einfließen.", halte ich für falsch und für gefährlich. Bei der Bewertung von Arzneimitteln haben wirtschaftliche Kriterien keinerlei Vorrang. Wenn wir uns auf das Gegenteil festlegen, dann können wir auch auf die ganze evidenzbasierte Medizin an sich verzichten - und davon haben auch Wirtschaftspolitiker nichts.

Wie sieht die offizielle Parteilinie bezüglich dieses unnachahmlichen Beispiels des Lobbyismus, an dem die Pharmaindustrie profitieren soll und der Bürger leiden wird, aus? Wie sehen sie das persönlich? Ich habe bewusst auf darauf verzichtet, die anderen "Anklagen" gegen Sawicki vorzubringen, sie sind geradezu lächerlich.

Ich freue mich auf ihre Antwort und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Johannes Eckert

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Sehr geehrter Herr Eckert,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich sehe die sich abzeichnende Absetzung von Herrn Prof. Sawicki mit großer Sorge und befürchte, dass mit dieser Entscheidung auch eine grundlegende Neuausrichtung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) verbunden sein wird; das Institut hat bislang durch seine unabhängige und kritische wissenschaftliche Arbeit einen Beitrag für Gesundheitsschutz, Sparsamkeit und Kostendämpfung geleistet, auf den Patienten und Versicherte eigentlich nicht verzichten können. Leider hat sich die neue Bundesregierung wieder einmal zum Erfüllungsgehilfen einflussreicher Lobbygruppen machen lassen. Die Erinnerung an die Parteispende eines großen Hoteliers an die FDP und die kurz danach beschlossene Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Übernachtungen ist noch sehr frisch. Und ich denke auch an die Vorarbeiten zu unserem Gruppenantrag für den Nichtraucherschutz in der vergangenen Legislaturperiode, als in einer internen Koalitionsarbeitsgruppe plötzlich ein Strategiepapier der Tabakindustrie als Diskussionsgrundlage auftauchte; auf meine Nachfrage wollte es natürlich keiner gewesen sein…

Auch angesichts der aktuellen Entscheidung zur Zukunft von Prof. Sawicki verfestigt sich der Eindruck, dass Lobbyisten anscheinend Sitz und Stimme in den Beratungs- und Entscheidungsgremien von Union und FDP haben. Mit meinem Verständnis des demokratischen Gestaltungsauftrags, mit Respekt vor dem Parlament und mit ehrlicher Interessenvertretung für die Bürgerinnen und Bürgern hat das wenig zu tun. Ich hoffe, dass die Bundesregierung schnell und überzeugend den Eindruck widerlegen kann, Klientelpolitik werde geradezu zum Markenzeichen von Schwarz-Gelb.

Meine Fraktionskolleginnen und -kollegen, deren Arbeitsschwerpunkt auf gesundheitspolitischen Themen liegt und die die Entwicklung um das IQWiG seit einiger Zeit aufmerksam beobachten, sind davon allerdings kaum überrascht, denn die Entscheidung zur Absetzung des Direktors hat eine Vorgeschichte. In einem internen Positionspapier der Gesundheitspolitiker der Union, das eine Grundlage für die Koalitionsverhandlungen war, findet sich etwa folgende Passage:

„Wir schlagen vor, die Arbeit des IQWiG als Dienstleister im Gesundheitswesen neu
zu ordnen. Entscheidend für die Akzeptanz für die Arbeit des IQWiG bei Patienten,
Leistungserbringern und Herstellern sind eine stringente wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit und das höchstmögliche Maß an Transparenz bei allen Entscheidungen. Diese Neuausrichtung muss sich auch an der personellen Spitze des Hauses niederschlagen.“

Eine kaum verhüllte Ankündigung, den Forderungen der Arzneimittelindustrie nachzugeben und die kritische Haltung des Instituts zu beschneiden. Die Kritik der Pharmaindustrie – und damit auch der schwarz-gelben Bundesregierung – hat sich immer wieder auch am Auftrag an das IQWiG entzündet, ein Modell für die Kosten-Nutzung-Rechnung von Arzneimitteln zu entwickeln und anzuwenden. Das Institut hatte damit ein wirksames Instrument in der Hand, um Entwicklung und Markteinführung neuer Medikamente auch unter Wirksamkeits- und Effizienzgesichtspunkten zu bewerten. Welche Arzneimittel haben einen medizinischen Nutzen, welche haben keine nachweisbaren positiven Effekte, welche sind vielleicht sogar gesundheitsschädlich? Und rechtfertigt – mit diesen Kenntnissen und Erfahrungen – der pharmazeutische Forschungs- und Entwicklungsaufwand die Kosten, die die Industrie den Krankenkassen und damit dem Patienten in Rechnung stellt? Gelegentlich stellten die Untersuchungsergebnisse des Instituts den Arzneimittelherstellern Zeugnisse aus, die nur schwer mit deren Anspruch auf Kundenorientierung, Verbraucherfreundlichkeit, Transparenz und Effizienz vereinbar waren – ein offensichtlich schmerzhafter Stachel im Fleisch der Pharmaindustrie und Grund für verstärkte Lobbybemühungen. In diese Richtung weisen auch die Beschlüsse der Wirtschaftsministerkonferenz der Länder vom vergangenen Jahr. Unter der Überschrift „Kosten- und Nutzenbewertung von Arzneimitteln – Auswirkungen auf den Pharmastandort Deutschland“ ist dort zu lesen:

„[…] 5. Nach Auffassung der Wirtschaftsministerkonferenz genügt die vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vorgeschlagene Methodik zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln den Anforderungen des § 35b SGB V nicht. Außerdem wird sie weder dem Ziel einer effizienten Versorgung mit innovativen Arzneimitteln gerecht noch ist sie volkswirtschaftlich hinnehmbar.

6. Die Wirtschaftsministerkonferenz sieht mit Sorge, dass das bisherige Vorgehen des IQWiG zu erheblicher Verunsicherung in der pharmazeutischen Industrie geführt hat.

7. Im Einzelnen hält die Wirtschaftsministerkonferenz folgende Verbesserungen der Methodik für die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln für erforderlich:
- In den Methodenentwurf sind volkswirtschaftliche Perspektiven, z. B. Auswirkungen auf andere Sozialversicherungen, mit einzubeziehen.
- Ökonomische Evaluationen müssen den internationalen Standards entsprechen.
- Der Nutzenbegriff ist gemäß dem internationalen Wissensstand zu definieren.
- Das Konzept der sog. Effizienzgrenze ist auf seine wissenschaftlich-ökonomische Leistungsfähigkeit zu überprüfen.

8. Die Bundesregierung wird gebeten, die Anregungen der Wirtschaftsministerkonferenz in ihre weiteren Überlegungen mit einzubeziehen und verstärkt beim IQWiG auf die Berücksichtigung der geäußerten Kritik hinzuwirken.

9. Eine Befassung der Task Force "Pharma" mit dem Thema "Kosten-Nutzen-Bewertung" wird empfohlen. Diese "Task Force zur Verbesserung der Standortbedingungen und der Innovationsmöglichkeiten der pharmazeutischen Industrie in Deutschland" wurde 2003 unter dem Vorsitz des Bundesministeriums für Gesundheit eingerichtet, um Defizite aufzuzeigen und konkrete Maßnahmen zu deren Behebung auszuarbeiten. Ziel der Pharma-Task Force ist es u. a., innovationshemmende Rahmenbedingungen zu benennen und Vorschläge für ihre Behebung zu erarbeiten. […]“

In diesen Weichenstellungen kommt eine einseitige Dominanz der Interessen der Großindustrie über Aspekte des sozialen Ausgleichs, des Verbraucherschutzes und der Gesundheitsversorgung zum Ausdruck, die nach meiner Einschätzung keine gute Grundlage für eine verantwortungsvolle Politik sein kann – insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der damalige niedersächsische Wirtschaftsminister Philipp Rösler heute das Bundesgesundheitsministerium führt.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Ausführungen einen Eindruck von meinen Überlegungen vermitteln konnte, und verbleibe

mit freundlichem Gruß, Lothar Binding