Portrait von Linda Heitmann
Linda Heitmann
Bündnis 90/Die Grünen
92 %
80 / 87 Fragen beantwortet
Frage von Ernest G. •

Frage an Linda Heitmann von Ernest G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Heitmann,

ich bin als Berliner sehr an der Politik in Hamburg sowie an den Hamburger Wahlen interessiert!

Daher möchte ich Ihnen ganz gerne folgende Fragen stellen:

1.) Die schwarz-grüne Landesregierung ist ja vor wenigen Monaten auseinandergegangen. Woran hat es Ihrer Meinung nach gelegen? Und lief es unter von Beust, so wie ich es auch sehe, besser, und unter Ahlhaus dann nicht mehr so gut?

2.) Ich bin dafür, dass in Hamburg das Stadtbahnnetz errichtet wird, so wie es die GAL auch vorschlägt. Wie sehen Sie die Chancen, es unter einer (voraussichtlichen) rot-grünen Regierung zu realisieren, und wenn ja, wie weit?

3.) Das Schulreform-Vorhaben der bisherigen schwarz-grünen Regierung wurde ja letztes Jahr im August durch ein Volksentscheid gestoppt. Wie soll es dann unter rot-grün weitergehen, bzw. wird da ein neues Konzept entwickelt?

4.) Was ist Ihre Ansicht zu der sogenannten "Hafenlinie", der U4, die, glaube ich, nächstes Jahr zum HafenCity verlängert werden soll, und evtl. weiter in Richtung Harburg?

Für Ihre Antwort auf diese Fragen möchte ich mich schonmal im Voraus bedanken!

Mit freundlichen Grüßen

Ernest Goetz

Portrait von Linda Heitmann
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Herr Goetz,

viele Grüße nach Berlin. Schön, dass Sie die Wahlen in Hamburg so aktiv mitverfolgen. Gerne beantworte ich Ihre Fragen:

1) Der Beschluss, das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene in 2008 überhaupt erst einzugehen, beruhte aus meiner Sicht auf zwei wesentlichen Gründen: die GAL war überzeugt, in den Koalitionsverhandlungen einen großen Teil ihrer politischen Forderungen verankert zu haben. Zum Zweiten wurde immer wieder der Eindruck formuliert, von der CDU als Partner auf gleicher Augenhöhe behandelt zu werden und eine hohe Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit zu sehen.

Dieser Eindruck bestätigte sich unter Ole von Beust in den ersten zwei Jahren der schwarz-grünen Zusammenarbeit. Trotz immer wieder zu Tage tretender ideologischer Unterschiede wurden gefundene Kompromisse von beiden Seiten getragen und Absprachen verlässlich eingehalten. Vielen erschien das Bündnis dadurch zu harmonisch - Konflikte, die es durchaus gab, wurden aber selten nach außen getragen.
Nach von Beusts Rücktritt im Sommer 2010 fand dann jedoch ein radikaler Wechsel statt. Mit ihm verließen drei erfahrene Senatoren die Regierung, und der ohnehin sehr kritisch beäugte neue Bürgermeister Ahlhaus besetzte sie mit Personen nach, die von Beginn an auf eine große Skepsis stießen.

In den folgenden Wochen bestätigte sich diese immer mehr. Neben der Tatsache, dass die neuen Senatoren sich vielfach nicht an Absprachen hielten, über gemeinsame Beschlüsse hinweg setzten oder nicht über wichtige Entscheidungen informierten, wurden einige Dinge auch von der Regierungsspitze immer wieder verschleppt.
Ich möchte versuchen, dies an zwei Beispielen zu verdeutlichen: nach dem Beschluss der Bundesregierung, Atommüll nach Russland zu verschiffen, wurden hierfür geeignete Verlade- und Verschiffungsstationen gesucht. Es gab im Senat den Beschluss, dass Hamburg seinen Hafen dafür nicht zur Verfügung stellt. Mitten in einer Sitzung erreichte die GAL-Fraktionsspitze dann ein entsetzter Anruf von grünen Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, die berichteten, der Hamburger Vertreter in den Beratungen zum Transport habe den Hamburger Hafen gerade offensiv als Verladestation angeboten. Dank schneller Intervention konnte ein Beschluss dazu gerade noch verhindert werden.

In einem anderen Fall legte eine CDU-Behörde eine Drucksache vor, die vorsah, alle 10 Jahre sämtliche öffentlichen Unternehmen daraufhin zu prüfen, ob und wie sie privatisiert werden könnten. Von grüner Seite wurde mehrfach Widerspruch gegen diesen Punkt eingelegt und deutlich gemacht, dass man eine solche Regelung nicht mittragen werde. Trotz wiederholter Nachfragen ging die Drucksache ca. 4 Wochen nach dem ersten Einspruch unverändert in die externe Abstimmung, d.h. an alle Behörden und Bezirke.
Dies macht hoffentlich deutlich, wie zäh und quälend sich die Zusammenarbeit ab Sommer 2010 gestaltete. Als mit Finanzsenator Frigge im November ein weiterer CDU-Senator seinen Rücktritt erklärte, standen wir vor der Entscheidung, nochmals einen neuen Senator zu wählen und die Regierung damit erneut zu bestätigen. Dazu war die GAL-Fraktion vor dem Hintergrund der Erfahrungen einer wachsenden Unzuverlässigkeit des Koalitionspartners allerdings nicht mehr bereit.

2)Die Stadtbahn ist eines unserer wichtigsten Projekte und aus meiner Sicht unumgänglich, um den öffentlichen Nahverkehr in Hamburg zukunftstauglich zu machen, denn viele Buslinien stoßen schon heute an ihre Kapazitätsgrenzen, und eine Takterhöhung ist kaum noch möglich. Wir werden der Stadtbahn deshalb in möglichen Koalitionsverhandlungen nach meiner Einschätzung einen sehr hohen Stellenwert einräumen und stark darauf pochen, dass das Projekt umgesetzt wird.

Allerdings ist es dabei aus meiner Sicht sehr wichtig, im Rahmen des Planungsprozesses gute Verfahren der Bürgerbeteiligung zu „installieren“, damit das Projekt von der Bevölkerung auch breit akzeptiert und mitgetragen wird und offene Fragen geklärt werden können.

Dabei sollte man so offen in den Prozess gehen, dass auch noch Änderungen zum jetzt bereits fast fertig geplanten 7 Kilometer langen ersten Streckenabschnitt möglich sind. Wie weit man mit dem konkreten Bau deshalb in der nächsten Legislatur kommt, lässt sich schwer voraussagen.

3)Die Formulierung, durch den Volksentscheid sei „die Schulreform“ gescheitert, hält sich leider hartnäckig. Faktisch war es die flächendeckende Einführung einer Primarschule, in der 6 Jahre gemeinsam gelernt wird, welche per Volksentscheid abgelehnt wurde. Ich bedaure dies zwar, aber wir akzeptieren dieses Ergebnis und werden in den nächsten Jahren keinen neuen Anlauf zum flächendeckenden längeren gemeinsamen Lernen starten. Lediglich 4 Hamburger Schulen werden im Rahmen von Schulversuchen künftig 6 Jahre gemeinsamen Lernens erproben, und auch an einigen Privatschulen gibt es dieses Konzept.

Viele andere Elemente der Schulreform bleiben jedoch erhalten und werden auch weiterhin verfolgt. Es gab und gibt eine verpflichtende Fortbildungsoffensive für alle LehrerInnen zu individualisiertem Unterricht, hunderte neue Lehrer wurden eingestellt, 38 neue Ganztagsschulen eingerichtet, die Hauptschule abgeschafft und die Klassen verkleinert. Erstmals ist im Schulgesetz jetzt verankert, wieviele SchülerInnen maximal in einer Klasse sitzen dürfen. Und wir haben in Hamburg mit Gymnasium und Stadtteilschule nun nur noch zwei Schulformen bei den weiterführenden Schulen. An beiden kann das Abitur abgelegt werden. Darüber hinaus wurde in jedem Bezirk eine Produktionsschule eingerichtet - ein sehr erfolgreiches Schulmodell nach skandinavischem Vorbild, das Schulabbrechern den Weg ins Berufsleben ermöglicht.
Dies sind aus meiner Sicht die wichtigsten Bestandteile einer umfassenden Schulreform, die bereits umgesetzt wurden. Gerade den Ausbau der Ganztagsschulen sowie die Umstellung auf individualisierte Unterrichtsformen wollen wir natürlich weiter voranbringen. Auch wenn die flächendeckende Einführung der Primarschule nicht umgesetzt werden konnte, haben wir aus meiner Sicht an den Schulen bereits vieles erreicht, aber auch noch viele Pläne vor uns.

4)Ich halte die U4 leider für ein unnötig teures Projekt. Sicher ist es wichtig, den stetig wachsenden neuen Stadtteil „Hafencity“ gut anzubinden. Schon jetzt haben viele Firmen dort ihre Büros in Betrieb genommen, Menschen ihre Wohnungen bezogen, und die derzeit in den Stadtteil fahrenden Busse sind häufig überfüllt. Die Verkehrsanbindung in den Stadtteil muss also auf jeden Fall verbessert werden! Allerdings hätte es zu der sehr teuren unterirdischen U 4 aus meiner Sicht deutlich günstigere oberirdische Alternativen gegeben, die auch touristisch viel attraktiver wären. Eine oberirdisch fahrende U-Bahn oder eine Stadtbahnverbindung hätten sich hier aus meiner Warte wirklich angeboten.
Leider hatte der Bau der U4 bereits begonnen, als wir an die Regierung kamen, so dass hier keine Änderungen mehr möglich waren.

Mit herzlichem Gruß

Linda Heitmann

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Linda Heitmann
Linda Heitmann
Bündnis 90/Die Grünen