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Kordula Schulz-Asche
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Andreas V. •

Frage an Kordula Schulz-Asche von Andreas V. bezüglich Politisches Leben, Parteien

Sehr geehrte Frau Schulz-Asche,

werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auch im künftigen Grundsatzprogramm von Bündnis90/Die Grünen als Ziel formuliert ist?

Mit freundlichen Grüßen, A.V.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Vasilache,

vielen Dank für Ihre Frage. In der Tat haben wir eine angeregte Debatte im Rahmen der Diskussion um unser Grundsatzprogramm geführt, inwiefern wir Demokratie anreichern und stärken können -auch mit weiteren Mitteln der Beteiligung oder direkter Demokratie. Wir GRÜNE fordern seit vielen Jahren Instrumente der direkteren Beteiligung und Mitbestimmung für Bürger:innen. Denn die Essenz unserer Demokratie ist, dass Perspektiven aktiv eingebracht werden können. Eine vielfältige Demokratie braucht Einmischung, Repräsentanz, Lust zur Auseinandersetzung und Kompromissfähigkeit. Wir wollen, dass die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, die politische Agenda stärker selbst zu gestalten. Folglich hat dieses Grundprinzip grüner Politik auch in unser Grundsatzprogramm Eingang gefunden.

Wir haben uns als GRÜNE auf so vielfältige Art und Weise Gedanken über die Bereicherung der Demokratie auch über andere, partizipative Verfahren gemacht und uns im Zuge unseres Grundsatzprogramms für die Einführung von Bürger:innenräten auf allen politischen Ebenen ausgesprochen und werden dies auch weiterhin unterstützen. Die GRÜNE Bundestagsfraktion hat sich zudem als erste Fraktion im Bundestag klar dazu bekannt und fordert ein Beteiligungsgesetz als gesetzliche Grundlage zur Einführung von Bürger:innenräten auf Bundesebene (unseren Antrag vom März 2021 dazu finden Sie hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/278/1927879.pdf).

In unserem Grundsatzprogramm heißt nun es: "Direkte Beteiligungsmöglichkeiten bereichern die repräsentative Demokratie"; das schließt direktdemokratische Verfahren nicht aus, sondern weiterhin ein. Auch unser Programmentwurf zur Bundestagswahl nennt Bürger:innenräte als Möglichkeit, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürger:innen direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Mit Bürger:innenräten soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von zufällig ausgewählten Bürger:innen noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. In der kommenden Wahlperiode wollen wir weitere Optionen für eine stärkere Institutionalisierung von Bürger:innenräten prüfen, unter anderen direktdemokratischen Verfahren.

Wir halten diese Form der direkten Beteiligung am politischen Aushandlungsprozess in Zeiten starker Polarisierung und gesellschaftlicher Pluralisierung für ein passendes Instrument, um unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wieder miteinander ins direkte Gespräch zu bringen. Denn nur so kann eine gemeinsame Idee für die Zukunft dieses Landes entwickelt werden, nur im Austausch von Argumenten und Perspektiven kann in einer zersplitterten Gesellschaft Zusammenhalt gesichert werden. Umso mehr gilt das in einer Situation, in der wir sehen, dass Institutionen verknöchern und dass das Pflegen von Privilegien und soziale Selektivität leider zur Zustandsbeschreibung unserer Demokratie gehört. Bürger:innenräte haben darüber hinaus den Vorteil, dass wir mit ihnen dem Repräsentationsdefizit unseres politischen Systems begegnen können. Hier soll die Gesellschaft in ihrer Breite und Vielfalt weitestgehend repräsentativ abgebildet sein und jeder Mensch in Deutschland die gleiche Chance haben, Teil der Bürger:innenräte zu werden.

Um die gesellschaftlichen Gräben zu verringern und die Demokratie zu verbessern, brauchen wir also demokratische Strukturen, in denen die Bürger:innen sich beraten und einbringen können. Parlamente brauchen eine größere Offenheit und bessere, vielfältigere Beratung, auch abseits von Lobbyismus und von dort, wo das (Zusammen-)Leben stattfindet. Bürger:innenräte politisieren zudem die Beratung von Entscheidungsträger:innen. Das erhöht auch die Legitimation dieser Beratung, denn sie ist transparent und in eine breitere gesellschaftliche Debatte eingebettet.
Gute Aushandlungen über politische Fragen können dann entstehen, wenn sichergestellt wird, dass Menschen sich frei, gleich und fair eine Meinung bilden können, unbeeinflusst von Lobbyinteressen. Nicht als Konkurrenz zum Parlament, sondern als Ergänzung und Stärkung.

Die Erfahrungen aus Bürger:innenräten weltweit zeigen uns, dass auf diese Weise gegenseitige Verständigung und Respekt entstehen. Menschen, die an Bürger:innenräten teilgenommen haben, interessieren sich danach verstärkt für politische Fragen oder beginnen, sich selbst zu engagieren. Mit den Bürger:innenräten entstehen öffentliche Debatten aus unterschiedlichsten Perspektiven, mehr Repräsentanz gesellschaftlicher Gruppen, neue Ideen, ernsthafte Gespräche und gemeinschaftsorientierte Diskussionen. Menschen wie Du und ich erhalten plötzlich die Gelegenheit, wirklich zu gestalten und mitzuentscheiden und tragen so zur Bereicherung und Stärkung unserer Demokratie entscheidend bei.

Ich hoffe, Ihnen unsere Position zu direktdemokratischen Verfahren hiermit näher gebracht zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Kordula Schulz-Asche

 

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