Warum stimmten Sie gegen den assistierten Suizid?
Sehr geehrter Herr Ziegler,
am 25.03.2022 sprachen Sie sich an dieser Stelle vehement für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe aus. Gut ein Jahr später, am 06.07.2023 lehnten Sie jedoch beide eingebrachten Gesetzesentwürfe zur Suizidhilfe jedoch ab. Was ist Ihre Kritik an den beiden Entwürfen?

An keinem der Gesetzentwürfe waren AfD-Abgeordnete beteiligt, da sie von allen Gesprächen ausgeschlossen waren.
Da sich die unterschiedlichen Auffassungen zur Suizidhilfe auch in der AfD-Fraktion widerspiegeln, konnten wir auch keine eigenen Entwürfe vorlegen, weil keine der Positionen die notwendige Anzahl unterstützender Abgeordneter, die für die Einreichung eines Antrages erforderlich gewesen wären, erreicht hätte.
Zur Lösung der Frage, ob und wie Suizidhilfe gesetzlich zu regeln ist, verstärkte sich zudem in den Tagen vor der Abstimmung im Bundestag, die Kritik der Ärztekammern.
Die Kritik betraf vor allem den Vorwurf unzureichender Suizidprävention, aber mehrere Landesärztekammern kritisierten auch eine „übereilte Regelung“. Die Landesärztekammer Hessen mahnte gar „dringend“ eine „seriöse Folgenabschätzung“ an. Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt sagte zu einem Antrag wörtlich:
Wenn Künast/Helling-Plahr sich im Bundestag durchsetzen, wird die Bundesärztekammer der
Ärzteschaft raten, sich nicht zu beteiligen.
Die Bundesärztekammer drohte praktisch offen mit einem Boykott. Eine gesellschaftliche Befriedung kann man jedoch nicht erreichen, wenn die wichtigste beteiligte Berufsgruppe einen Regelungsvorschlag für unethisch und unverantwortbar hält.
Beim Gesetzentwurf der Gruppe „Castellucci“ wurde deutlich,
dass die Verfasser die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Einzelne selbst entscheiden darf, was sein Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit seiner Existenz ausmacht, nicht wirklich akzeptierten.
Denn nach der Entscheidung müssten Staat und Gesellschaft die Entscheidung des Individuums als Akt autonomer Selbstbestimmung respektieren, und
wenn der Gesetzgeber regulierend eingreift, muss er einen zumutbaren Weg zu einem selbstbestimmten Freitod eröffnen.
Das war dem Gesetzentwurf nicht entnehmen.
Vielmehr wurde die kassierte Strafvorschrift des § 217 StGB wiederbelebt.
Mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist es aber kaum vereinbar, geschäftsmäßige Suizidhilfe generell unter Strafe zu stellen und nur unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtswidrigkeit entfallen zu lassen.
Denn ein selbstbestimmtes Sterben in Würde erfordert die Mitwirkung und Unterstützung qualifizierter Berufsträger, deren Tätigkeit praktisch immer auf Wiederholung ausgerichtet und damit zwangsläufig geschäftsmäßig ist.
Für die juristischen Laien der Hinweis, dass es hier nur um die Frage einer auf Wiederholung angelegten Tätigkeit geht, nicht um die Frage, ob damit Einnahmen erzielt werden. Letzteres wird durch das Merkmal gewerbsmäßig beschrieben, nicht geschäftsmäßig.
Eine solche Strafandrohung untergräbt zumindest faktisch den von der Verfassung geschützten Weg zu einem frei bestimmten Tod und ist deshalb mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erneut verfassungswidrig.
Auch dieser greifbare Verdacht war ein Grund genug gewesen, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Der zusammengeführte Antrag der Gruppen „Helling Plahr“ und „Künast“ verfolgte ein freiheitliches Konzept, das ich als Mitglied der relativ größten Gruppe innerhalb meiner Fraktion prinzipiell befürworte.
Das Manko bestand allerdings in einem ungenügenden Schutzkonzept.
Der Entwurf für ein Suizidhilfegesetz stellte auf eine Beratungslösung ab, bei der ärztliche Expertise eingeholt werden kann, aber nicht muss.
Damit wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet und hätte das Leben psychisch kranker Menschen gefährdet.
Denn ob ein Suizidwunsch frei von Willensmängeln und Beeinflussung ist, kann nur von praxiserfahrenen Ärzten, vielfach nur von Fachärzten aus dem Bereich Psychiatrie, Psychotherapie oder Neurologie beurteilt werden.
Eine Regelung, die diesen Schutz nicht sicherstellen kann, wäre den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich nicht gerecht geworden.
Erschwerend kam hinzu, dass die Gewährleistung des Lebensschutzes bei der Beratungslösung zusätzlich wesentlich von der finanziellen Ausgestaltung durch die Länder und somit dem Umfang der zur Verfügung gestellten Geldmittel abhängig gewesen wäre.
Ich konnte deshalb keinem der beiden Gesetzentwürfe zustimmen.
Wenn ein großer Teil der Ärzteschaft die Vorschläge derart kritisch sieht, bedarf es weiterer Diskussion, die sich auch intensiver damit befassen muss, welche juristischen Regelungen überhaupt praktisch umsetzbar sind. Eine ärztliche Begutachtung zu fordern, ist nur dann sinnvoll, wenn es auch Ärzte gibt, die die Begutachtung leisten können.
Der Antrag auf zur Suizidprävention, Drucksache 20/7630, war hingegen zu unterstützen, weshalb ich ihm zustimmte.