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Katharina Schulze
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Florian W. •

Frage an Katharina Schulze von Florian W. bezüglich Innere Angelegenheiten

Sehr geehrte Frau Schulze,

Ich wende mich an Sie in der Angelegenheit der derzeit in Bayern gültigen vorläufigen Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie.

Lassen Sie mich vorweg sagen, dass ich verstehe, dass hier auch unter Zeitdruck gehandelt wurde und dass ich die epidemiologische Sinnhaftigkeit von Maßnahmen wie Kontaktminimierung und ähnlichem nicht bezweifle.

Mit Sorge beobachte ich allerdings, in welchem Maß diese Ausgangsbeschränkung unsere Grundrechte einschränkt und welch verheerende soziale und wirtschaftliche Folgen sie haben wird.

Die Staatsregierung beruft sich in ihrer Begründung dieser Ausgangsbeschränkung auf § 28 Abs. 1 IfSG, aber offenbar sind auch Experten durchaus nicht der Ansicht, dass diese drastischen Maßnahmen durch diesen Absatz des IfSG gedeckt sind (als ein Beispiel: https://verfassungsblog.de/whatever-it-takes/). Zwar steht in § 28, die Regierung „kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten“, allerdings ist hier – so wie ich es laienhaft verstehe und auch Prof. Dr. Kingreen auf dem Verfassungsblog darstellt – von „einzelnen, individuell gefährlichen Personen“ die Rede, nicht davon, einem kompletten Volk von mehreren Millionen Menschen drastische Strafen anzudrohen, wenn sie das Haus ohne triftigen Grund oder mit den falschen Personen verlassen.

Die sozialen Folgen dieser Ausgangsbeschränkung werden enorm sein. Nicht nur, dass es viele Hinweise darauf gibt, dass die häusliche Gewalt massiv zunehmen wird, nein auch für die psychische Gesundheit ist diese mit staatlichem Druck aufgezwungene Isolation alles andere als förderlich.

Und immerhin geschieht dies ja auch unter der Maßgabe, die Gesundheit der Bürger zu sichern. Punkt 5g der Ausgangsbeschränkung „Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes“ ist ein Hohn, wenn man bedenkt, dass die häufigste Haushaltsform in Deutschland der Singlehaushalt ist. Hier werden unzählige Menschen nicht in ihren sozialen Kontakten eingeschränkt – nein, man verbietet ihnen JEGLICHEN sozialen Umgang, jegliches Sozialleben!

Als Alleinlebender darf man nicht einmal einen Freund zu sich nach Hause einladen. Als alleinlebende Person wird jeglicher Sozialkontakt damit unter Strafe gestellt! Das ist für psychisch stabile Menschen schon ein schwerwiegender Eingriff.

Welche Auswirkung das auf Menschen haben wird, die unter psychischen Problemen leiden, will ich mir nicht vorstellen. Die Deutsche Depressionshilfe befürchtet einen Anstieg an Suiziden.

Aber auch die wirtschaftlichen Folgen werden fatal sein. Wenn diese Ausgangsbeschränkung in dieser drastischen Form so verlängert wird, dann werden unsere Innenstädte weitersterben oder vollständig von Ketten regiert sein. Überhaupt werden ein Großteil der kleinen inhabergeführten Unternehmen dies dann nicht überleben, wenn man ihnen jegliche Möglichkeit nimmt, Handel zu treiben. Der Vorteil des stationären Einzelhandels war die Nähe zum Kunden – genau diesen Vorteil, hat man ihnen nun genommen.

Wollen wir Unternehmen wie Amazon zu noch mehr Marktmacht verhelfen? Wollen wir die unzähligen kleinen Unternehmer, Handwerker, Künstler, Gewerbetreibende in die Insolvenz treiben? Wer wird das auffangen? Und wie? Wie soll sich die Wirtschaft davon wieder erholen können? Wollen wir wirklich in Städten leben, in denen nur noch große Ketten das Angebot bestimmen? Waren wir nicht so stolz auf die Vielfalt unseres Handwerks? Auf die Vielfalt und Qualität unserer Brauereien? Wie sollen diese Unternehmen das überleben?

Wenn die Ausgangsbeschränkung in dieser Form nach dem 3.4.20 weitergeführt wird, dann werden die sozialen und wirtschaftlichen Folgen verheerend sein.

Ich bitte Sie eindringlich, sich dafür einzusetzen, dass mit Ablauf der vorläufigen Ausgangsbeschränkung die Maßnahmen zurückgenommen bzw. mit Fingerspitzengefühl an ein vertretbares Maß angepasst werden.

Ich denke, es wird doch so ziemlich jeder verstehen, wenn Großveranstaltungen abgesagt oder eingeschränkt werden. Aber es provoziert ein Sterben mittelständischer Unternehmen und unvorhersehbare soziale und wirtschaftiche Folgen sowie eine Aufweichung unserer Grundrechte, wenn die Maßnahmen unverändert so weitergeführt werden!

Ich bitte Sie eindringlich: Wirken Sie daraufhin, dass dies nicht geschieht! Setzen Sie sich dafür ein, dass weitere Maßnahmen mit Augenmaß ergriffen werden.

Diese absolute Lösung, die derzeit gültig ist, bringt längerfristig mehr Schaden als Nutzen.

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen,
Florian Westermann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Westermann,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Tatsächlich war zunächst fraglich, ob das Bundesinfektionsschutzgesetz wirklich eine fächendeckende Ausgangsbeschränkung zulässt. Zwischenzeitlich wurde dieses Gesetz aber konkretisiert: Nach § 28 Abs.1 Satz 1 IfSG n.F. sind, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Insbesondere können Personen verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. In dieser neuen Fassung ist ein Verstoß der Verordnungsermächtigung gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs.1 Satz 2 GG, nicht erkennbar. Eine andere Frage ist, ob dies auch für den bis zum Inkrafttreten der Neufassung geltenden Wortlaut des § 28 Abs.1 Satz1 IfSG gegolten hat.

Ich kann Ihnen versichern: Wir als Grüne in Bayern beobachten die aktuelle Situation und damit auch Herrn Söders Handeln sehr aufmerksam und reagieren zielgerichtet: Erst letzte Woche habe ich zum Beispiel drei Anträge für Transparenz und Kontrolle in der Coronapolitik vorgestellt, damit künftiges Regierungshandeln in der Corona-Krise rechtssicher aufgestellt, parlamentarisch kontrolliert und für alle nachvollziehbar gemacht werden kann. Wir setzen uns für eine u.a. Corona-Kommission und ein Corona-Transparenz-Gesetz ein, denn alle Bürger*innen müssen zu jeder Zeit über die Entscheidungsgrundlagen der Maßnahmen informiert werden: https://katharina-schulze.de/coronapolitik-mit-transparenz-und-kontrolle/

Meine Fraktion hat sich viele Gedanken gemacht, wie wir die Corona-Krise besser überstehen. Nach viel Druck hat die Söder-Regierung viele unserer Vorschläge übernommen und oder umgesetzt – da bleiben wir natürlich dran.

Ich will Ihnen gerne einige Beispiele nennen:

- In unserem 20-Punkte-Plan haben wir eine 500 Euro Gefahrenzulage für alle Pflegekräfte in Bayern gefordert. Am 7.4.2020 hat die Staatsregierung einen solchen Pflegebonus beschlossen. (https://katharina-schulze.de/20-punkte-plan-mit-weitblick-durch-die-corona-krise/)

- Im Plenum und in Anträgen haben wir gefordert, Familien zu entlasten, indem man den Zusammenschluss sogenannter Betreuungsfamilien zulässt, auch diese Forderung wurde von der Söder-Regierung übernommen.

- Zudem haben wir uns dafür eingesetzt, dass Bayern hinsichtlich erlaubter Sozialkontakte dem gemeinsamen Weg des Bundes folgt, statt dass schärfere Maßnahmen in Bayern gültig bleiben (z. B. dass erlaubt sein soll, sich mit einer Person außerhalb des eigenen Haushalts zu treffen) und damit ebenso Erfolg gehabt, das hatten sie ja auch angesprochen: https://katharina-schulze.de/schritt-fuer-schritt-zurueck-in-den-alltag/.

- Wir haben durchgesetzt, das Recht auf Versammlung auch während der Corona-Krise zu ermöglichen, denn Demokratie braucht besonders in Krisenzeiten die Möglichkeit, die eigene Stimme öffentlich kundzutun: https://katharina-schulze.de/versammlungsfreiheit-in-coronazeiten-schuetzen/ - auch das mit Erfolg, Versammlungsfreiheit und Infektionsschutz ist möglich.

- Söder wollte das Infektionsschutzgesetz im März schnell durchwinken, wir haben durchgesetzt, dass die Ausschüsse zuvor über das Gesetz diskutieren konnten. Ergebnis: Nur das Kabinett, nicht der Ministerpräsident allein, kann den Gesundheitsnotstand ausrufen. Die Mitglieder des Bayerischen Landtags bleiben oberste Kontrollinstanz und das Gesetz erhält ein festes Verfallsdatum zum Jahresende.

- viele weitere Beispiele erfolgreicher grüner Oppositionsarbeit können Sie hier nachlesen: https://www.gruene-fraktion-bayern.de/themen/demokratie-frieden-transparenz/2020/unsere-vorschlaege/?L=0, den auch im Bereich der Bildung, Kultur- und Kreativszene, Tourismus, Wirtschaft etc. arbeiten wir erfolgreich an vielen Vorschlägen und bringen sie immer wieder in die Debatte ein. Vieles hat sich in dem Bereich ja schon verändert, wurde gelockert und schrittweise angepasst.

Und schließlich fordern wir auch einen einen Bericht und eine Debatte im Innen- und im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags zu den Einschränkungen von Grundrechten durch die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie: https://katharina-schulze.de/gruene-fordern-bericht-zu-grundrechtseinschraenkungen/

Auf meiner Website habe ich auch schon zum Umgang mit der Krise aus innenpolitischer Sicht Stellung genommen: https://katharina-schulze.de/innenpolitik-in-krisenzeiten-was-jetzt-wichtig-ist

Wir wollen weiterhin, dass die Staatsregierung das verantwortungsvolle Handeln der Bayer*innen in den letzten Wochen anerkennt und als Maßstab nimmt, denn wir werden noch lange mit dem Virus leben müssen, bis wir einen Impfstoff oder ein Gegenmittel haben.

Herzliche Grüße

Katharina Schulze

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