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Jutta Steinruck
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Frage von Wolfgang L. •

Frage an Jutta Steinruck von Wolfgang L. bezüglich Verbraucherschutz

"Bei den Provisionen für Finanzprodukte haben sich die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament für die Interessen der Banken entschieden. Konkret geht es um die Frage, ob Provisionen für den Verkauf von Finanzprodukten verboten bzw. an die Kunden weitergereicht werden sollen. Ein Kompromiss, der dies vorsah, wurde von den Sozialdemokraten wieder aufgeweicht. Die Verbände der Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken räumen ein, dass sie gegen die Weitergabe von Provisionen Lobbyarbeit gemacht haben. ...
Morgen wird über das Thema im Plenum des Europaparlaments abgestimmt. Eine englische Labour-Abgeordnete will dann noch mal einen Antrag auf ein Verbot der Provisionen einbringen. ..."

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, was sagen Sie zum Befund von lobbycontrol? Welchen Antrag werden Sie unterstützen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Leinen,

Das Europäische Parlament hat in seiner Plenarsitzung am 26. Oktober 2012 in Straßburg mit überwältigender Mehrheit (495 Ja-Stimmen, 15 Nein-Stimmen, 19 Enthaltungen) die Revision der MiFID-Richtlinie (Markets in Financial Services Directive) verabschiedet. Die sozialdemokratische S&D-Fraktion, und mit ihr die deutsche SPD-Gruppe, hat dabei den zwischen Berichterstatter Markus Ferber (EVP, Deutschland) und den Schattenberichterstattern Robert Goebbels (S&D, Luxemburg) und Olle Schmidt (ALDE, Schweden) verhandelten Kompromiss unterstützt. Dieser basiert auf dem einstimmigen Abstimmungsergebnis des Ausschusses für Wirtschaft und Finanzen (ECON) vom 26. September 2012, wurde aber im Vorfeld der Plenarabstimmung aus sozialdemokratischer Sicht an entscheidenden Stellen verbessert. Dies möchte ich Ihnen im Folgenden genauer erläutern.

Der vom Europaparlament verabschiedetet Gesetzestext, der in den kommenden Monaten noch in Verhandlungen mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission finalisiert werden wird, ermöglicht die Zahlung von Provisionen nur noch in drei Fällen. Entweder Provisionen werden in Gänze an den Kunden weitergereicht; oder Provisionen dienen allein zur Deckung der bei Beratung und Anlage entstandenen Kosten und Gebühren; oder Provisionen werden bei Geschäftsabschluss an den verkaufenden Berater oder das verkaufende Institut entrichtet, der Kunde wird aber umfassend über Art und Höhe der Provisionen und wer diese erhält informiert. Zudem verpflichtet eine bindende Revisionsklausel die Europäische Kommission dazu, nach dreieinhalb Jahren sowohl das Modell der Provisionsberatung als auch das der Honorarberatung kritisch auf Funktionsweise und Verbraucherfreundlichkeit hin zu überprüfen. Wer beim Verkauf von Finanzprodukten Provisionen kassiert, wird sich künftig europaweit nicht mehr ´unabhängig´ nennen dürfen und muss Kunden darüber informieren. Durch dieses Provisionsverbot für unabhängige Berater wird ´unabhängige Beratung´ zu einem starken Gütesiegel, nach dem sich Anleger richten können und auf das Verbraucherzentralen gezielt hinweisen können. Damit verschärft die MiFID II-Gesetzgebung jenes MiFID I-Paket, das sich in der Vergangenheit als unzureichend erwiesen hat. Gleichzeitig bleibt jeder Anlegerin und jedem Anleger die Wahlfreiheit zwischen kostenfreier Provisionsberatung und kostenpflichtiger Honorarberatung erhalten. MiFID II stellt außerdem jedem Mitgliedstaat frei, ein umfassendes Verbot von Provisionszahlungen durch nationale Gesetzgebung zu beschließen. Gerade dieser letzte Punkt ist in der medialen Berichterstattung der letzten Tage und Woche nur unzureichend berücksichtigt worden.

In den Verhandlungen um ein Provisionsverbot oblag uns Abgeordneten die Aufgabe, Reformschritte zu definieren, die nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis der Mitgliedstaaten zu weniger Fehlanreizen führen und Verbrauchern ein Mehr an Transparenz, Wahlfreiheit und Schutz ihrer Interessen bieten. Eine in den Beratungen im ECON-Ausschuss erwogene Möglichkeit wäre die vollständige Abschaffung von Provisionszahlungen gewesen. Ich fände diese Idee durchaus sympathisch, wenn sie sich in der Praxis verbraucherfreundlich umsetzen ließe. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass im System der Provisionsberatung grobe Missstände bestehen, die zu bedauerlichen Entwicklungen im Anlagemarkt geführt haben. Die Schicksale der geschädigten Anlegerinnen und Anleger nehme ich sehr ernst. Die Beratung und der Vertrieb von Finanzprodukten müssen grundlegend reformiert werden, Finanzberatung muss aber besser und transparenter und nicht einfach teurer werden. Eliteberatung ausschließlich für Vermögende und Besserverdiener kann nicht das Ziel sein. Der Einstieg in eine reine Honorarberatung, wie von Grünen und britischen Konservativen gewünscht, gefährdet das flächendeckende Angebot professioneller Beratung für alle - vor allem für Anlegerinnen und Anleger mit begrenzten Mitteln. Die Erfahrung in Großbritannien, wo es die Provisionsberatung zum Jahresbeginn 2013 nicht mehr geben wird, zeigt schon jetzt, dass Banken ihr Beratungsangebot in großem Stil zurückfahren und aus der Anlageberatung für alle exklusive Vermögensverwaltung für wenige wird. Damit entsteht ein System der reinen Honorarberatung mit dem Ergebnis eines Zwangshonorars für Kleinsparer. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lehnen dies als unsozial ab. Beide Systeme, das der Provisionsberatung und das der Honorarberatung, haben Unzulänglichkeiten, könnten aber mit dem entsprechenden Begleitschutz staatlicher Politik zu direkten Verbesserungen für den Kunden führen. Deshalb wird es entscheidend sein, bis zum Ende der Revisionsperiode von dreieinhalb Jahren, öffentliche und öffentlich unterstützte Beratungsangebote in größerem Umfang aufzubauen.

Zu diesem Zeitpunkt und angesichts der aktuell zur Verfügung stehenden Beratungsinfrastruktur ist jedoch aus meiner Sicht mit dem verabschiedeten Kompromiss ein guter Mittelweg erzielt worden. Dieser Mittelweg ist die sinnvolle Abwägung zwischen der Verschärfung der Regulierung des Anlagemarktes für Finanzprodukte und der Verbesserung des Verbraucherschutzes auf der einen Seite und der Erhaltung der Wahlfreiheit für den Kunden sowie der Verfügbarkeit professioneller Anlageberatung für alle auf der anderen. Als deutsche SPD-Gruppe im Europäischen Parlament haben wir uns diese Abwägungsentscheidung nicht einfach gemacht und alle Argumente, die an uns herangetragen wurden, kritisch geprüft. Es gehört aus meiner Sicht zur demokratischen Verpflichtung eines Abgeordneten, mit einem breiten Kreis von Vertretern des öffentlichen Lebens über anstehende Gesetzgebungsverfahren zu sprechen, um sich einen möglichst umfassenden Überblick über mögliche Auswirkungen unterschiedlicher legislativer Maßnahmen zu verschaffen. Dabei wähle ich genau aus, mit wem ich mich über welche Themen unterhalte. Für Einwirkungsversuche von Lobbyisten zu Lasten der Interessen von mir vertretener Bürgerinnen und Bürger ist dabei kein Platz. Dies gilt im MiFID II-Paket für Gespräche mit Wirtschafts- und Verbrauchervertretern, ebenso wie für alle anderen Gesetzgebungsverfahren.

Leider ist in der Berichterstattung zu den Beratungen über das MiFID II-Paket und der Frage des Provisionsverbots von Mitbewerbern vereinzelt auch der Eindruck erweckt worden, die sozialdemokratische Fraktion habe sich in letzter Minute wider besseres Wissen gegen eine Neuregulierung der Anlagemärkte für Finanzprodukte gewendet und einer nur allzu halbherzigen Reform zur Durchsetzung verholfen. Dieser Darstellung möchte ich dezidiert widersprechen. Für die sozialdemokratische Fraktion sind die Verhandlungen, wie dies im Europaparlament angesichts der Fülle von Gesetzgebungsverfahren üblich ist, von unserem Schattenberichterstatter Robert Goebbels geführt worden. Die Berichterstatter haben bis zuletzt nach einem möglichst kundenfreundlichen, in der Praxis wirkungsvollen Kompromiss gesucht, der nicht in einer ausschließlichen Elitenberatung endet. Der Kompromissantrag hierzu wurde vom EVP-Berichterstatter mit den Schattenberichterstattern von S&D sowie Liberalen verhandelt und technisch durch den S&D Schattenberichterstatter eingebracht. Zwischenzeitliche, am britischen Modell der Honorarberatung orientierte Übereinkünfte zwischen britischen Konservativen und Grünen wurden leider vielfach als bereits abgeschlossene Positionsbestimmung des ECON-Ausschusses missverstanden. Sie wurden von britischen Abgeordneten und grünen Vertretern als Abschaffung des Provisionsmodells gefeiert. Dabei wird jedoch verschwiegen, dass eine Umstellung auf reine Honorarberatung ohne erhebliche sozialstaatliche Begleitung und Ausweitung öffentlicher oder öffentlich garantierter Beratungsleistungen zum Zwangshonorar für alle führt, insbesondere für Kleinsparer, unabhängig davon ob sie ein Produkt abschließend erwerben oder nicht. Tatsächlich gab es unter den Berichterstattern der Fraktionen im Ausschuss keine Mehrheit für einen solchen sofortigen Systemwechsel. Angesichts der in diesem Schreiben skizzierten Auswirkungen und reell im Markt existierenden Bedingungen ist dies auch einleuchtend.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse an meiner Arbeit und hoffe, Ihre Frage mit diesen Informationen hinreichend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Jutta steinruck