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Julia Verlinden
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Melanie R. •

Was würde es den Bund/die Bürger Deutschlands kosten, die bestehenden Kernkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen und weiter laufen zu lassen?

Sehr geehrte Frau Verlinden,
ich stehe voll und ganz hinter der Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland, schon deshalb weil noch kein Endlager für den Atommüll gefunden wurde, den wir unseren Kindern und Kindeskindern... hinterlassen. Viele andere Parteien bringen aber immer wieder ein, dass sie die Meiler wieder in Kraft setzen möchten. Man liest ab und an von hohen Subventionen, während der Laufzeit. Man hört, dass der Staat sich als Versicherer mit beteiligen müsste. Aber als Normalbürger steigt man da nicht durch.
Gibt es denn irgendeine Information, wie hoch die Kosten für den Bund und somit die Bürger wären, um die bestehenden Atomkraftwerke wieder anzufahren? Vielen Dank im Voraus!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau R.,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Wiederanfahren der deutschen Atomkraftwerke. Das wäre mit Abstand die teuerste Lösung für die Stromerzeugung. Ältere Atomkraftwerke sind auch im Betrieb teuer, u.a. wegen der Fehleranfälligkeit, den Wartungskosten und Ausfallzeiten. Somit können sie nicht mit erneuerbaren Energien mithalten. Die Laufzeitverlängerung der drei letzten deutschen Atomkraftwerke über mehrere Jahre hinweg wäre mit erheblichen Investitionen in Steuertechnik und Ausrüstung verbunden. Diese wirken sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Kernkraftwerke aus. Frankreich investiert z.B. im Rahmen der Laufzeitverlängerung seines Atomparks im Schnitt 1,7 Mrd. Euro pro Reaktor, oder rund 1.500 Euro/kW. Von der Kündigung von Rückbauverträgen ganz zu schweigen.

Dabei ist Atomstrom bereits vor dieser Investition wegen der gewaltigen Baukosten extrem teuer. Eine Megawattstunde Atomstrom kostet im französischen Flamanville 3 voraussichtlich bis zu 125 Euro pro Megawattstunde. Im Vergleich mit den aktuellen durchschnittlichen Stromgestehungskosten weltweit für Wind-Onshore (rund 29€/Mwh) und Photovoltaik (rund 42€/Mwh) sind Atomkraftwerke einfach nicht wettbewerbsfähig. Bei älteren, abgeschriebenen Atommeilern sorgen die o.g. Instandhaltungskosten für konstant hohe Stromgestehungskosten.

Außerdem bildet der Preis der Megawattstunde Atomstrom nicht die ganzen Kosten ab, denn ein Teil davon wird auf die Gesellschaft abgewälzt. Wir werden noch Jahrzehnte lang die Atomkraft-Altlasten tragen müssen, die Endlagerlast sogar noch Jahrtausende. Die jährlichen Kosten der Atomenergie beliefen sich im deutschen Bundeshaushalt 2022 auf etwa 1,8 Mrd. EUR. Darunter fielen z.B. die Kosten der Zwischen- und Endlagerung sowie Kosten für die Stilllegung und den Rückbau von Atomkraftwerken. Hinzu kommen andere Posten, wie die Rückholung des Atommülls aus dem ungeeigneten alten Bergwerk Asse 2 in Niedersachsen. Ein Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums kam 2015 zum Schluss, dass die Gesamtkosten für die Abwicklung der Atomkraft in Deutschland insgesamt 170 Mrd. Euro erreichen könnten. Das erscheint mittlerweile eher als eine niedrige Schätzung. Deswegen empfiehlt es sich nicht, noch mehr Atommüll zu produzieren.

Die grüne Bundestagsfraktion hat hierzu im vergangenen Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, in der sie weitere Informationen finden: <https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/atomausstieg/PDF/Studie_Oekonomische_Aspekte_der_Atomkraft.pdf> . 

Auch interessant ist die Publikationen des DIW:

https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.570192.de/17-47.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Julia Verlinden

 

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