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Jan Plobner
SPD
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Frage von Thomas S. •

Sehr geehrter Herr Plobner, warum sind Sie für eine Wahlreform, die der Wählerin vorgaukelt, sie hätte weiter eine wichtige "Erststimme" während formal das unabhängige Direktmandat abgeschafft wird?

Warum wurde bei dieser Reform nicht wenigstens eine offene Liste ermöglich in der die Wählerinnen die Reihenfolge bestimmen können? Warum wurde am euphemistischen Begriff der "Erststimme" festgehalten wenn die Möglichkeit besteht, dass selbst mit absoluter Mehrheit "gewählte" Kandidaten doch kein Bundestagsmandat erhalten? Wird durch die Konzentration auf die Macht der Partei bei der Listenaufstellung nicht der Politikverdrossenheit weiter Vorschub geleistet? Und wozu werden noch Wahlkreise gebildet, wenn diese dann nicht mehr besetzt werden, wäre eine reine Verhältniswahl mit nur einer Stimme dann nicht ehrlicher und Wählerinnenfreundlich?

Herzlichen Dank für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas S.

Links zur Erklärung:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Direktmandat

https://www.bundestag.de/services/glossar/glossar/D/direktmandat-245380

https://www.duden.de/rechtschreibung/Direktmandat

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Die Notwendigkeit einer Reform des Bundestages ist parteiübergreifender Konsens. Das Parlament der Bundesrepublik, ist größer als das europäische und eins der größten der Welt. Bei einem, im internationalen Vergleich, kleinen Anteil an Wahlberechtigten. Das Wahlsystem soll in seiner Grundidee, nach den in Art. 38 Abs.1 S.1 GG geregelten Wahlrechtsgrundsätzen aufgebaut sein. Die Wahl soll allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim ablaufen. Wahlen sind eines der Herzstücke einer Demokratie. Die Reform erfüllt die Wahlgrundsätze, sowie die hohen rechtlichen und politischen Anforderungen an das Wahlrecht.

Die aktuelle Reform ist das Ergebnis einer langanhaltenden Wahlrechtsreformdiskussion. Vorherige Vorschläge sind an dem Widerstand der anderen Parteien gescheitert. Mit dem aktuellen Vorschlag wird keine Partei besser oder schlechter gestellt. Es schafft verständliche, gerechte und konsequente Rahmenbedingungen für alle.

Ein Verhältniswahlsystem strebt im Gegensatz zu einer Mehrheitswahl eine faire, sprich ihrem Stimmenanteil entsprechende proportionale Vertretung, der politischen Parteien im Parlament an. Der von der Union vorgelegte Vorschlag eines Grabenwahlsystems, hätte zur Folge das ein Teil der Stimmen per relativer Mehrheit in Einerwahlkreisen vergeben, der andere Teil getrennt davon an Parteilisten vergeben werden würde. Dies hätte in den Wahlperioden 2009/2013/2017 zu einer absoluten Mehrheit der Union geführt und besonders kleinere Parteien massiv benachteiligt. So hat die Wahlrechtskommission mehrheitlich empfohlen nur so viele Wahlkreismandate zuzuteilen, wie Listenplätze in einem Land bestehen.

Die personalisierte Verhältniswahl sorgt für eine faire Repräsentation der Parteien im Parlament. Die Verbindung von Direktmandaten in Einerwahlkreisen mit dem Repräsentationsprinzip der Verhältniswahl, wird international in Wahlreformdebatten durch die Anbindung der Abgeordneten an die Wahlkreise geschätzt. Gleichzeitig können in dem System faire und proportionale Ergebnisse hergeführt werden. Ein Nachteil besteht aber in der durch die Ausgleichsmandate verstärkten Aufblähung des Parlaments. Nach Modellrechnungen könnte der Bundestag in den kommenden Wahlperioden, ohne Reform, auf über 900 Abgeordnete anwachsen.

Der Kernpunkt der neuen Reform bezieht sich darauf, dass die Zweitstimmen entscheiden wie viele Sitze in welchem Land an welche Partei vergeben werden. Der Fokus wird hier auf die Verhältniswahl gelegt. Das heißt nicht das der Mehrheitswahlaspekt der Erststimme verloren geht. Ziel der SPD ist es nicht eine reine Verhältniswahl zu schaffen. In der neuen Reform werden den Erststimmengewinnern anhand der Zweitstimmenergebnisse Sitze zugewiesen. Werden über die Zweitstimme mehr Sitze gewonnen als es Wahlkreisgewinner gibt führt das zu einer Auffüllung der übrigen Plätze über die Landesliste. Darüber hinaus ist es für unabhängige Bewerber auch weiterhin möglich zu kandidieren und in den Bundestag einzuziehen, sofern sie ihren Wahlkreis über die Erststimme gewinnen.

Die größte Veränderung mit der Wahlrechtsreform ist die Einführung der festen 5% Hürde. Damit soll eine Verhältniswahl ohne Grundmandatsklausel geschaffen werden. Das System der Zweitstimmendeckung ist verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. In den öffentlichen Anhörung hat sich herausgestellt, dass eine Fortgeltung der Grundmandatsklausel ein stärkeren Systembruch als das Weiterbestehen darstellen würde, was auch von den Experten der Union als Argument angeführt wurde.

Das Verzichten auf die Grundmandatsklausel und eine stärkere Orientierung hin zur Verhältniswahl zieht keine Abschaffung des Direktmandats nach sich. Es gibt weiterhin 299 Wahlkreise, welche sich in festen Korridoren (Bevölkerungsanzahl, etc.) bewegen damit eine Vergleichbarkeit besteht. Ein Wahlkreis ohne direkten Abgeordneten ist auch mit dem neuen System unwahrscheinlich, da in der Regel mehrere Abgeordnete aus einem Wahlkreis kommen. In vergangen Legislaturperioden kam es wiederholt zum Ausscheiden von Abgeordneten aus dem Bundestag. Dies hatte zur Folge das in der 16.Wahlperiode 12 Wahlkreise, in der 17.Wahlperiode 11 Wahlkreise, in der 18.Wahlperiode 17 Wahlkreise und in der 19.Wahlperiode ebenfalls 17 Wahlkreise ohne direkten Abgeordneten waren. Die Möglichkeit der Besetzung eines Wahlkreises ohne direkten Abgeordneten ist auch weiterhin möglich. Das bedeutet aber nicht, dass die Erststimme unwichtig war oder ist. Zusätzlich wird der Bundestag auf 630 Sitze vergrößert, um zu verhindern, dass es mehr Wahlkreisgewinner als Listenplätze einer Partei gibt.

Eine Listenwahl mit Kumulieren und Panaschieren (Rangfolge der Abgeordneten kann vom Wähler bestimmt werden) ist ein wichtiges Instrument auf kommunaler Ebene. Die Nutzung dieser Möglichkeit von Wählern korreliert mit der Größe der Gemeinde. Je größer eine Gemeinde, Wahlbezirke etc., also je anonymer, desto weniger wird kumuliert und panaschiert. In vergangenen Wahlen wurden hierzu von verschiedenen Stellen Daten erhoben, welche diese Beobachtung mit empirisch untermauern. Auf kommunaler Ebene, ist diese Wahlsystemform attraktiv und bietet für die Wähler eine gute Möglichkeit stärker Einfluss zu nehmen. Je höher die Wahlebene ist, Landes- Bundestag, desto weniger Sinn macht dieses Element, da die Unbekanntheit der Kandidaten zunimmt.

Den Einfluss von Parteien auf die Kandidatenaufstellung über die Landesliste war bereits in dem System vor der Reform groß. Dies ist eine bewehrte Methode im politischen System der Bundesrepublik und der Parteiendemokratie. Demnach kommt Parteien eine wichtige Rolle in der Ausgestaltung des politischen Systems zu. Der Bestand und die Qualität der Demokratie hängt von der Pflege der Demokratie in den Parteien zu, also auch der Kandidatenaufstellung. Erfolgt diese Repräsentativ und Transparent, wirkt das auch Politikverdrossenheit entgegen.

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