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Ingrid Nestle
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Frage von Nathalie S. •

Frage an Ingrid Nestle von Nathalie S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Nestle,
ich bin Mutter eines 9-jährigen, chronisch kranken Kindes und besorgt, über die drohende Impfpflicht, die meines Empfindens einen massiven Eingriff in das Grundgesetz bedeutet. Ferner befürchte ich, aufgrund der bisher fehlenden Vergleichs- und Langzeitstudien betreffs der Wirksamkeit sowie etwaiger Nebenwirkungen von Impfungen, langfristig nicht absehbare gesundheitsgefährdende Konsequenzen.
Im Grundsatzprogramm der Grünen heißt es:
"Demokratie ist die Grundlage für unser freies, gerechtes und friedliches Zusammenleben. Sie lebt vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Menschen, die sie im Parlament und in Institutionen vertreten. Und vom Vertrauen darin, dass Entscheidungsprozesse offen für Argumente, demokratisch und sauber sind. Wenn viele zweifeln, ob es auf ihre Stimme überhaupt noch ankommt, während Lobbyistinnen und Lobbyisten mit viel Geld im Rücken größeren Einfluss auf die Gesetzgebung gewinnen, dann muss energisch gegengesteuert werden: Mehr Transparenz, mehr Information, bessere Kontrolle." (www.gruene.de)
Daher würde mich Folgendes interessieren:
1. Auf Grundlage welcher Lobby-unabhängigen Informationsquellen (Studien zur Wirksamkeit bzw. Nebenwirkungen von Impfungen, Berater) die Grünen eine Impfpflicht befürworten?
2. Wird es für die Impflinge Auswahlmöglichkeiten geben, z.B. Einzel (Masern)- anstatt Mehrfachimpfstoffe (z.B. MMR)?
Vorab herzlichen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
N. S.

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau S.,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben.

Impfungen sind gelebte Solidarität. Hohe Impfquoten bei allen Infektionskrankheiten schützen die gesamte Bevölkerung, also auch diejenigen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Sie fragten nach Zahlen hierzu, die nicht von der Pharmaindustrie stammen. Exemplarisch sei folgender Überblick aus dem Bundesgesundheitsblatt genannt: Wichmann und Ultsch (2013), "Effektivität, Populationseffekte und Gesundheitsökonomie der Impfungen gegen Masern und Röteln" 56:1260-1269. Viele Zahlen finden sich aber auch bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BzGA und unter impfen-info.de.

Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass die Menschen durch Aufklärung und Informationen dazu bewegt werden können, ihren Impfschutz zu vervollständigen. Deshalb setzen wir uns nicht für eine allgemeine Impfpflicht ein, sondern lediglich für eine Masern-Impfung als Voraussetzung für den Besuch öffentlicher Kitas. Uns haben die Argumente - insbesondere von Eltern - überzeugt, dass dadurch Kinder, die nicht geimpft werden dürfen, am besten vor der Ansteckung durch Masern geschützt werden können. Die Ursache für den nicht möglichen Impfschutz können sowohl medizinische Gründe sein oder dass Kinder in der Krippe oder als Geschwisterkinder noch zu jung sind. Wir haben lange mit uns gerungen, aber uns letztendlich dafür entschieden, einen ausreichenden Impfschutz zur Voraussetzung für den Besuch einer Kita machen zu wollen. Wir wollen, dass auch die Kinder, die aufgrund von Vorerkrankungen nicht geimpft werden können, in den Genuss früher Bildung kommen. Um ihre zweite Frage zu beantworten: Ich gehe davon aus, dass Impfungen nur für Masern in das Angebot aufgenommen werden, wenn Masernimpfungen als Voraussetzung für den Besuch einer Kita gelten. Derzeit sind sie nicht erhältlich.

Die jüngsten Erkenntnisse aus dem Barmer Arzneimittelreport 2019 zeigen zudem, dass das vom Kabinett vorgelegte Masernschutzgesetz in dieser Form nicht ausreichen wird, um die beträchtlichen Impflücken - die offenbar nicht nur die Masernimpfung betreffen - zu schließen. Durch die Debatte zur Masernimpfpflicht dürfen wir nicht vergessen, dass auch auf alle anderen Schutzimpfungen ein Augenmerk gelegt werden muss! Selbstverständlich müssen die Impfquoten generell erhöht werden. Dazu gehört aber auch, die beträchtliche Impflücke der Erwachsenen (50%) nicht zu ignorieren. Hier liefert Minister Spahn keinen Lösungsansatz. Der Kabinettsentwurf zum Masernschutzgesetz greift die Gelegenheit, eine umfassende Impfstrategie festzulegen, alles andere als beim Schopfe. Das hat sich durch den Barmer Arzneimittelreport nochmals bestätigt.

Wir fordern deshalb, dass niedrigschwellige Angebote geschaffen werden, denn vor allem in ländlichen oder sozial benachteiligten Regionen sind Impfangebote nicht mehr ausreichend verfügbar. Außerdem muss der Öffentliche Gesundheitsdienst wieder ausgebaut werden, um Impfungen in gezielten Aktionen auch in Betrieben, Einkaufszentren oder kommunalen Einrichtungen anbieten zu können. Wir brauchen den Digitalen Impfpass, um den Impfstatus besser im Blick zu behalten und so auch Impflücken, die einer unzureichenden Impfdokumentation geschuldet sind, zu schließen. Zudem sollen den Versicherten auch Apps zur Verfügung gestellt werden, durch die sie auf Grundlage der Daten des elektronischen Impfpasses an fällige Schutzimpfungen erinnert werden.

Darüber hinaus muss eine erfolgreiche Strategie zur Eliminierung der Masern und anderer Infektionserkrankungen vor allem auf Vernunft und den Willen zur gegenseitigen Solidarität setzen. Sie muss darauf angelegt sein, Informationsdefizite und regionale Impfbarrieren systematisch zu identifizieren und vor Ort gezielt zu verringern. Nur so wird es gelingen, die Masern und andere gefährliche Infektionskrankheiten endlich zu eliminieren.

Ich hoffe, Ihnen mit diesem Schreiben unsere Position verdeutlicht zu haben, und wünsche Ihnen alles Gute.

Mit besten Grüßen
Ingrid Nestle

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