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Hubertus Zdebel
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Frage von Ralph P. •

Frage an Hubertus Zdebel von Ralph P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Zdebel,

aktuell bestreitet unsere Bundesregierung das es sich in Afghanistan um einen Krieg handelt.

Ich habe da meine Zweifel. Denn wenn Zwei klar definierte Gegner sich gegenüberstehen und sich gegenseitig mittels Waffen angreifen würde ich das Krieg nennen. Ansonsten würden Polizeikräfte für Sicherheit in diesem Lande sorgen was nunmal nicht ausschließlich der Fall ist.
Nach meinen Erkenntnissen sind 35 Soldaten gestorben. 35 Familien haben einen Menschen verloren, und das soll kein Krieg sein.

Das beste Beispiel hat die Bundeswehr vor kurzen gezeigt als sie zwei Tanklastzüge durch Kampfflugzeuge abschießen ließ. Die von der gegnerischen Seite gestohlen worden waren. Im Krieg setzt man nunmal Kampfflugzeuge ein oder???

1. Wie bezeichnen sie die Situation in Afghanistan ist das ein Krieg???
2. und wenn nicht was fehlt das man die Situation in Afghanistan als Krieg bezeichnen würde/müsste???
3. und wenn es kein Krieg ist was ist das dann??? bzw. was macht die Bundeswehr dort???
4. oder will/kann man es nur nicht als Krieg bezeichnen, weil sonst das Bundestagsmandat nicht mehr greifen würde???

Ich weiß die Fragen wirklich und wahrheitsgemäß zu beantworten ist für sie sehr schwer vor allem weil sie zudem ihre Parteiinteressen im Hintergrund haben aber ich hoffe sie haben den Mut die Situation so zu beschreiben wie sie sei ganz persönlich sehen und erleben.

Mit besten Dank
Ralph Post

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Post,

natürlich handelt es sich in Afghanistan um einen Krieg. Das sage ich hier ohne Wenn und Aber.

Seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, seit der Gründung Afghanistan durch den Paschtunen Ahmed Shah, ist die Geschichte des Gebirgslandes mit seiner kriegerischen Stammeskultur eine nahezu ungebrochene Geschichte innerer Konflikte und Interventionen von außen.

Im Laufe des ersten anglo- afghanischen Krieges (1839-1842) besetzten die Briten Afghanistan. Aber die gewünschte Eingliederung des Landes am Hindukusch in das britische Empire fand nicht statt. Der hier im Hintergrund stehende Konflikt zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien im 19. Jahrhundert wurde „The great game“ genannt.

Dem britischen Empire ging es nicht zuletzt um die Kontrolle der Handelswege in Zentralasien. Dem heutigen „Empire“ (Hardt/Negri) des Westens mit seiner Weltbinnenpolitik unter den Prinzipien des Marktzugangs und der Rohstoff- und Transportwegesicherung geht es wohl auch um die in der Öffentlichkeit so wenig präsente Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-Pipeline (TAPI). Bereits 1995 hatte es eine Vorvereinbarung der US-Ölfirma UNOCAL mit den Taliban über die Pipeline gegeben. Mit dabei als Berater von UNOCAL: Der afghanische Präsident Hamid Karzai und Zalmay Khalilzad, späterer Sonderberater des US-Außenministeriums für Afghanistan unter Bush und zur Zeit Ständiger Vertreter (Botschafter) der USA bei den Vereinten Nationen. Im Hintergrund stand ein Konsortium aus acht westlichen Ölkonzernen, das eine gemeinsame Ausbeutung der Ölfelder um Baku in Aserbaidschan anstrebte. Die erste Ölbohrung der Welt fand übrigens 1848 in Baku statt, nur kurz nachdem die britischen Truppen vollständig vernichtet wurden. Und der Westen und seine Öffentlichkeit täten gut daran, solche historischen Realitäten nicht auszublenden und sich dieser Geschichte zu erinnern. Denn Geschichte besteht nicht selten aus Geschichten, die sich wiederholen.

Kriegsinteressen

Die Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan sind Teil der permanenten Expansion, mit dem Menschenrecht als Schlüssel für die Beseitigung staatlicher Souveränitäten und die Schaffung von Protektoraten. Die Marktwirtschaft, die sich in der bipolaren Welt nicht so entfalten konnte, wie sie wollte, hat seine Dynamik wieder. Nach der Zeitenwende, dem Zerfallen des "Ostblocks" 1990 geht es in den Zentren zum profitableren Sozialdarwinismus zurück, geostrategisch gen Osten, die Bereinigung der Transport-Korridore nach Europa und Asien inklusive.

Der Geostratege und ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hatte 1999 in seinem Buch “Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft” bereits angekündigt: Wegen der Schwäche Europas und Russlands habe “Amerika nur eine kurze historische Chance”, die “Anarchie” auf der Welt zu beseitigen und “die Gefahr eines Aufstiegs einer neuen Macht hinauszuschieben”. Es wäre fahrlässig, die Chance verstreichen zu lassen.

Die USA erfreuen sich, wenn man Henry Kissingers Buch “Die Herausforderung Amerikas - Weltpolitik im 21. Jahrhundert” glaubt, “zu Beginn des neuen Jahrtausends einer Stellung in der Welt, mit der sich keines der Imperien der Vergangenheit messen kann”. Als Folge dieser Macht sind ihre “Truppen über die ganze Welt verstreut” und verwandeln sich gern in “permanente militärische Bindungen”, weil “Kapital den höchsten Gewinn sucht bei möglichst geringem Risiko”. In dem “gnadenlosen weltweiten Feldzug” geht es zwar auch darum, Terroristen zu verhaften. “Vor allem geht es darum, sich nicht die außerordentliche Gelegenheit nehmen zu lassen”, das “internationale System” mit einer “Betonung des nationalen Interesses” zu korrigieren. “Trotz der viel beschworenen Globalisierung gibt es” nämlich “geopolitische Realitäten, die modische Träumereien von einer Universalität ad absurdum führen”. Schon “der Wettstreit um den Zugang zum Erdöl und seine Transportrouten” könnte sich “als gewichtiges Hindernis einer koordinierten Politik erweisen”.

Zbigniew Brzezinski geht es darüber hinaus um die Macht der USA auf der “eurasischen Landmasse”, die “den Ausschlag geben” werde über Amerikas globale Führungsrolle« im 21. Jahrhundert. Wer die Region Zentralasien “unter Kontrolle oder unter seiner Herrschaft hat”, wird den “geopolitischen und ökonomischen Gewinn einheimsen”. Kein Konkurrent dürfe die Fähigkeit erlangen, “die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen”.

Afghanistan und Pakistan spielten eine wichtige Rolle in seinen Überlegungen. Turkmenistan favorisiere “die Möglichkeiten einer neuen Pipeline durch Afghanistan und Pakistan zum Arabischen Meer”. Die USA sollten “pakistanisch-afghanische Beziehungen” herstellen, weil die “den internationalen Zugang zu Turkmenistan erleichtern” und seine Leitungen durch den Iran überflüssig machten.

Warum Zentralasien? Die Region ist reich an Bodenschätzen, und ihre Lage ist bedeutsam. Sie bildet die Achse zwischen Europa und Asien, der modernen Seidenstraße und dem Nord-Süd-Verkehr zum Indischen Ozean. Außerdem besteht die Hoffnung auf einen dynamisch wachsenden Markt, vergleichbar mit den ostasiatischen Staaten oder China. US-amerikanische, westeuropäische, russische und chinesische Konzerne haben dort neben türkischen, arabischen und iranischen investiert. Die bekannten Ölreserven sind doppelt so groß wie die der Nordsee. Sollten sich die Hoffnungen auf weitere 235 Milliarden Barrel bestätigen würde die Region auf ein Viertel der nahöstlichen Reserven kommen. In Turkmenistan liegen bedeutende Gasvorkommen, in Usbekistan Uran und Gold. Kasachstan besitzt die drittgrößten Uranreserven, nimmt bereits die Plätze sieben bis zehn ein in der Förderung von Zink, Silber, Bauxit und Kupfer, liefert Öl, Eisenmetalle, Kupfer, Chemikalien und Getreide nach Russland, in die Ukraine, nach China, Italien, Deutschland und Großbritannien.

Diese Überlegungen waren und sind in Deutschland durchaus bekannt und es gibt auch Grundzüge der deutschen Interessenspolitik gegenüber Zentralasien, die beantworten, was Deutschland in Afghanistan will. Achim Schmillen, Leiter des Planungsstabes im Außenministerium in der Fischer- Zeit , machte diese freimütig dem Publikum bekannt, und zwar in einem FAZ-Artikel, der am 15.5.2001 - also lange vor dem 11. September - erschienen ist. Im Zentrum von Schmillens Überlegungen steht Afghanistan, dessen Taliban-Regime den geostrategischen und ökonomischen Interessen Deutschlands, Europas und der USA im Wege stehe. Wirklich brisant wird es da, wo Schmillen sich auf das Terrain der Geopolitik begibt, um ein europäisches Interesse an der fernen Region und politischen Handlungszwang auch für die Bundesregierung zu begründen. Während das US-amerikanische "Engagement eindeutig auf ökonomische Ziele orientiert" sei, müsse die EU mit mehr Weitblick zu Werke gehen: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die geostrategische Bedeutung der Region künftig die politische, ökonomische und sicherheitspolitische Bedeutung übertreffen wird." Dabei fällt auf, dass Schmillen gegenwärtige und künftige geopolitische Ambitionen mit einem historischen Rückgriff in eine Epoche begründet, die in der gängigen Geschichtsschreibung als "Zeitalter des Imperialismus" firmiert: "Im 19. Jahrhundert gab es einen hegemonialen Wettlauf zwischen Russland und Großbritannien um die Kontrolle der gesamten Region. Diesen Wettlauf nannte man ,great game`. Der Kampf um ökonomische Vorteile, um neue Arbeitsplätze, neue Pipelines, den Energiemarkt und letztlich um politischen und religiösen Einfluss könnte zu einem neuen ,great game` führen." An dem "großen Spiel" des 21. Jahrhunderts sind viele beteiligt: Russland, die Türkei, China, die USA; alle verfolgen zugleich ökonomische und "sicherheitspolitische" Ziele. Die EU "und auch Deutschland" aber sollen mehr tun.

Keine Lösung für Afghanistan

Und Deutschland, das seit der Zeitenwende 1990 darum bemüht ist, seinen Einflussbereich kontinuierlich auszudehnen, tut das auch. Dabei ist Deutschlands Engagement in Afghanistan von dem Widerspruch getragen, einerseits an der Seite der USA Weltordnungsmacht spielen zu wollen und andererseits sich dabei der Weltordnungsmacht Nr. 1 nicht unterordnen zu wollen. Seinen Ausdruck fand das in der stark verniedlichenden Darstellung des deutschen Afghanistan-Einsatzes im Norden und dem Versuch, diesen von dem Kriegseinsatz der anderen Staaten im Süden zu trennen.

Die Legitimationsdiskurse des Westens für diesen Krieg verdecken dabei nur mühsam eine gefährliche Ignoranz der historischen und gesellschaftlichen Realitäten des Vielvölkerlandes Afghanistan und eigene hintergründige geostrategische Ziele und Ressourcen-Interessen. So heißt es z.B. in einem Strategiepapier von Javier Solana für den EU-Gipfel am 12.12.2008, dass die EU ihre Energieeinfuhr diversifizieren und neue Transitrouten erschließen müsse. Als mögliche Alternative zu Russland, das in dem Papier eher beiläufig erwähnt wird, wird neben dem Kaukasus und Afrika Zentralasien genannt. (vgl. Handelsblatt vom 12.12.2008). Es ist es die besondere Aufgabe meiner Partei DIE LINKE, auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen und sich auf Lösungsstrategien zu konzentrieren.