Helmut Scholz
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Frage von Mareike P. •

Frage an Helmut Scholz von Mareike P. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht

Hallo Herr Scholz,
Bei der letzten Abstimmung zur Aufnahme von Geflüchteten haben Sie dafür gestimmt. Was sind die nächsten Schritte um den Geflüchteten menschenwürdige Behandlung zu ermöglichen? Welche kurz- und langfristigen Maßnahmen treiben Sie voran um Zustände wie in Moria zu beenden und langfristig Zuwanderungsmöglichkeiten zu schaffen?

Mit freundlichem Gruß

Helmut Scholz
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Pophanken,

Vielen Dank für Ihre Kontaktaufnahme und Frage.

Die Nachrichten aus Lesbos sind schockierend. Durch den Brand sind weite Teile des Elendslagers Moria zerstört. Viele Menschen haben ihre wenigen Habseligkeiten verloren und nun auch kein Dach mehr über dem Kopf. Das Camp war schon lange hoffnungslos überfüllt, die Bedingungen katastrophal und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Corona-Virus das Lager erreicht. Und erinnern wir uns, es wurde im Zug der Flüchtlingskrise 2015 errichtet – auch weil keine gemeinschaftliche, schon damals längst überfällige Reform der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik unternommen wurde.

Als nun Covid-19 ausbrach, wurden nicht nur die infizierten Personen unter Quarantäne gestellt, sondern das gesamte Lager. Mehr als 12.000 Menschen wurden an einem Ort eingesperrt, wo sie keine Möglichkeit hatten, sich vor dem Virus zu schützen. Die Katastrophe war vorhersehbar. Es ist eine Schande für die 27 EU-Mitgliedstaaten, dass sie nicht verhindert werden konnte.

Die Bereitschaft vieler Städte und Regionen in einzelnen Mitgliedsstaaten, die vorhandenen und zum Teil freien und ungenutzten Kapazitäten in Flüchtlingsunterkünften unkompliziert und schnell zur Verfügung zu stellen, sollte nunmehr als eine neue, zumindest kleine Chance für ein gemeinsames Umdenken aufgenommen werden. Allein in Deutschland sind 174 Kommunen und Städte bereit, sofort Geflüchtete aufzunehmen. Unterbringungsprobleme gäbe es keine. Darüber hinaus haben sich einige Bundesländer zu zusätzlichen Aufnahmeprogrammen bereit erklärt. So gesehen ist sofortige Hilfe möglich. Denn wenn es das Auswärtige Amt in Corona-Zeiten schafft, über 240.000 deutsche Urlauber*innen zügig aus aller Welt zurückzuholen, können auch 12.500 Flüchtlinge schnell aus Lesbos und Umgebung ausgeflogen werden.

Langfristig bedarf es nach wie vor einer grundlegenden Reform des Asylsystems, insbesondere der Dublin II-Verordnung. Das Europäische Parlament hat bereits vor mehreren Jahren eine Position erarbeitet, mit der eine humanitäre Katastrophe wie diese von vornherein hätte verhindert werden können. Die Regierungen und politischen Mehrheiten in den EU-Mitgliedsstaaten waren allerdings seit fünf Jahren nicht in der Lage, im Rat auch nur ein Verhandlungsmandat zu beschließen. Jede Änderung der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik blieb somit blockiert. Die Europäische Kommission hat nun für den 30. September einen neuen "Pakt für Migration und Asyl" angekündigt. Ich kann Ihnen versichern, dass DIE LINKE. im Europäischen Parlament alles in ihrer Macht stehende tun wird, damit dieser Pakt auf Solidarität und einer gerechten Aufteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten beruhen wird. Denn nur so können wir sicherstellen, dass sich eine humanitäre Katastrophe wie die in Moria nie wieder ereignet. Zugleich möchte ich darauf verweisen, dass die linke Fraktion im Europäischen Parlament zahlreiche praktische Schritte unternommen hat, um z.B. die Initiativen zur Seenotrettung im Mittelmeer (Sea Watch, u.a.) zu unterstützen, dass wir den Aufbau des FRONTEX Systems ablehnen, und immer wieder die völkerrechtliche Verantwortung aller EU-Mitgliedstaaten für eine humanitäre und solidarische Neugestaltung der europäischen Asyl-und Flüchtlingspolitik in konkrete Vorschläge haben einfließen lassen (www.gue-ngl.eu). Deshalb werden auch die von Ihnen aufgeworfenen Fragen einen wichtigen Platz hinsichtlich der Themenfestlegungen in der bevorstehenden Konferenz über die Zukunft Europas einnehmen. Ich werde mich dahingehend aktiv dafür einsetzen.

Ich möchte Sie bitten, sich auch gegenüber der Bundesregierung und anderen nationalen Regierungen weiter zu engagieren damit diese sich nicht hinter der zynischen Ausrede der Notwendigkeit einer europäischen Lösung verstecken und sofort beginnen, humanistisch und in Übereinstimmung mit allen internationalen völkerrechtlichen Pflichten und Möglichkeiten endlich zu agieren! Wir wollen dies auch in der kommenden Woche in der Plenartagung des Europaparlaments erneut zur Aussprache bringen. Mit der Verantwortung der turnusmäßigen EU-Ratspräsidentschaft ist die Bundesregierung in den nächsten 4 Monaten einer doppelten Verantwortung verpflichtet: Sie muss mit der Aufnahme der Moria-Flüchtlinge beginnen und so ein Zeichen für Europa setzen. Die kurzfristige Lösung für Moria liegt auf dem Tisch: Die EU kann und muss dringend humanitäre und medizinische Hilfe leisten, die Menschen so schnell wie möglich evakuieren und in andere Mitgliedstaaten umsiedeln sowie das Lager endgültig schließen.

Auf EU-Ebene gilt es darüber hinaus sich für die Abschaffung des Hotspot-Systems, die Auflösung aller Hotspot-Lager und für eine finanzielle Unterstützung der auf den griechischen Inseln betroffenen Bevölkerung einzusetzen. Die Schutzsuchenden aus diesen Lagern sind im Rahmen eines fairen Aufnahmesystems auf andere EU-Mitgliedstaaten zu verteilen und dabei müssen die Interessen und bestehenden sozialen Kontakte der Geflüchteten zentral berücksichtigt werden.

Danke für Ihr Engagement.

Mit freundlichen Grüßen
Helmut Scholz

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