Warum wird der Einbürgerungsantrag von Gründer:innen mit Gründungszuschuss nicht positiv bewertet.
Sehr geehrter Herr Demir
während meines Bezugs von ALG I habe ich online die Einbürgerung beantragt. Kurz vor meinem Termin im Bürgeramt habe ich ein Unternehmen mit Gründungszuschuss gegründet mit dem Ziel, unabhängig zu werden und Steuern zu zahlen.
Beim heutigen Termin wurde mir gesagt, dass ich meinen Antrag zurückziehen muss und erst nach zwei Jahren mit Steuererklärungen erneut stellen darf. Wäre ich bei ALG I geblieben, wäre mein Antrag weiterbearbeitet worden obwohl mir nur noch 6 Monate ALG I zustanden. Den Gründungszuschuss erhalte ich nun ebenfalls für 6 Monate, in gleicher Höhe aber mit Eigeninitiative und Risiko.
Ich empfinde es als ungerecht, dass unternehmerisches Engagement in der Einbürgerungspraxis zum Nachteil wird.
Wie steht Ihre Partei dazu? Gibt es Überlegungen, das Verfahren für Selbstständige fairer zu gestalten? Und können Sie mir einen Weg aufzeigen, wie ich jetzt weiter vorgehen kann?
Vielen Dank im Voraus.

Sehr geehrter Herr S.,
herzlichen Dank für Ihre Zuschrift und Ihren Hinweis auf die Probleme bei der Einbürgerung von Selbstständigen.
Erst einmal eine grundsätzliche Einschätzung: Weder ALG I noch ein Gründungszuschuss stellen einen Ausschlussgrund von der Einbürgerung dar. Gesetzlich ist bei der Lebensunterhaltssicherung nur festgelegt, dass der Lebensunterhalt ohne Leistungen nach SGB II ("Bürgergeld") oder SGB XII (u.a. "Grundsicherung im Alter") bestritten werden muss. Weder der reguläre SGB I-Bezug noch der Bezug eines Gründungszuschusses bei Existenzgründung während der Zeit des SGB I-Bezugs steht einer Einbürgerung pauschal entgegen.
Es ist aber grundsätzlich immer so, dass die Lebensunterhaltssicherung auch als Prognose für die Zukunft geprüft wird. Es geht dabei darum, dass die lokalen Behörden abschätzen, dass Einbürgerungsbewerber:innen voraussichtlich dauerhaft ihren Lebensunterhalt selbst decken werden und nicht auf Unterstützung durch SGB II oder SGB XII angewiesen sein werden.
In dieser Hinsicht sind die grundlegenden Regelungen also für den SGB I-Bezug ebenso wie für den Gründungszuschuss erst einmal gleich. Bei beiden Leistungen ist eine Einbürgerung möglich, bei beiden Leistungen muss die lokale Behörde aber auch die wahrscheinliche Lebensunterhaltssicherung in der Zukunft prüfen. Situationen, in denen die Prognose bei SGB I-Bezug ohne neues Jobangebot positiv ausgefallen wäre, bei dann erfolgter Existenzgründung aber nicht mehr, sind mir nicht bekannt.
Für Ihre konkrete Situation:
Die Vorlage von zwei Jahressteuerbescheiden zum Nachweis der erfolgreichen und auch für die Zukunft vielversprechenden Selbständigkeit ist zwar vom Bundesinnenministerium empfohlen. Es steht den lokalen Behörden aber frei, wie genau sie die Prognose zur Lebensunterhaltssicherung vornehmen.
In Berlin ist es beispielsweise so, dass für Aufenthaltserlaubnis und Einbürgerungen die Lebensunterhaltssicherung bei Selbständigen dann akzeptiert wird, wenn sie in den letzten sechs Monaten entsprechende Gewinne abgeworfen hat und wahrscheinlich auch weiter abwerfen wird.
Grundsätzlich ist es auch zulässig, dass z.B. durch den aktuellen Prüfbericht eines Steuerberaters zum ersten Jahr der Selbstständigkeit in Verbindung mit einer Übersicht über anstehende Aufträge der Nachweis erbracht wird und die Behörde Ihre Einkommensprognose als positiv einschätzt. In diesem Sinne wäre es sicherlich empfehlenswert, noch einmal mit ihrer Behörde in den Austausch zu gehen, wie bei positivem Start in die Selbständigkeit eine schnellere Nachweislösung gefunden werden kann. Ergänzend kann es auch Sinn machen, sich von einer ortskundigen Migrationsberatung (https://bamf-navi.bamf.de/de/Themen/Migrationsberatung/) beraten zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Hakan Demir