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Gunther Krichbaum
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Frage von Leonhard H. •

Frage an Gunther Krichbaum von Leonhard H. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrter Herr Krichbaum,

in Ihrer Antwort zu meiner Frage vom 05.04.2020 bezüglich sog. Corona-Bonds haben sie geschrieben, dass gemeinschaftliche Schulden keine sinnvolle Antwort auf die Probleme der Corona-Pandemie darstellen, und auch gar nicht mit dem aktuellen nationalen Recht vereinbar wären. Nun wurden aber gerade gemeinschaftliche Schulden in Höhe von Hunderten Milliarden Euro von der EU beschlossen. Die Zahlungen an die Länder sind dabei an nur wenige Bedingungen und überhaupt nicht an tatsächliche Zugeständnisse im Bereich Souveränität oder Rechtsstaatlichkeit geknüpft.

Meine Fragen dabei: Wenn wie von Ihnen gesagt gemeinschaftliche Schulden kein sinnvolles Instrument gegen die Corona-Krise sind, warum wurden diese beschlossen? Außerdem, wofür steht Europa (wertemäßig) noch und für wie glaubwürdig halten Sie die EU als Friedensnobelpreisträger, wenn es nicht mal mehr möglich ist, sich auf konkrete Strafen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zu einigen? (Meines Wissens nach ist für solche Strafen vereinbart worden, dass dafür 2/3 Mehrheiten notwendig sind, die mit den aktuellen Machtverhältnissen wohl nicht erreicht werden; also de facto wird es wohl keine Strafen geben)

Außerdem: Wie kann es sein, dass die EU den Ländern zig Milliarden gibt, ohne dafür relevante Gegenleistungen z. B. in Form von mehr Rechten oder mehr Einnahmequellen in der Zukunft zu erhalten? Mir ist durchaus bewusst, dass für den Zweck der Zahlungen eine Förderung der Wirtschaft im Vordergrund steht, nichtsdestotrotz sollte man für so große Summen doch auch irgendwas im Gegenzug bekommen, oder nicht? (Völlig gegensätzlich dazu wurden sogar Zugeständnisse gemacht, beispielsweise dass die Länder 25% statt 20% der eingenommenen Zölle für sich behalten dürfen und weniger an die EU abgeben müssen...)

Schließlich noch zwei letzte Fragen: Wenn es nicht mal im Tausch gegen große Summen Geld möglich ist die EU gegenüber den Nationalstaaten zu stärken, wie realistisch ist es dann, dass das überhaupt noch irgendwann passieren wird?
Oder halten Sie ein stärkeres Miteinander in der EU (welches auch tatsächlich formal in stärkeren Rechten der EU verankert ist!) gar nicht für notwendig oder wünschenswert?

Mit freundlichen Grüßen,

Leonhard Hoffmann

PS: Es hat mich gefreut, dass Sie mir auf meine letzte Frage geantwortet haben.

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Sehr geehrter Herr Hoffmann,

vielen Dank für Ihre weitere (Nach-)Frage, die ich ebenfalls gerne beantworte.

Meine Partei und ich haben uns in der Vergangenheit klar gegen sog. „Euro-Bonds“ oder nun auch „Corona-Bonds“ ausgesprochen, weil diesen das Grundprinzip einer gemeinschaftlichen Haftung zugrunde liegt. Mit anderen Worten: Ein Mitgliedsstaat müsste im Zweifel für alle haften. Dies wäre weder den deutschen noch anderen europäischen Steuerzahlern zumutbar und würde den Charakter der EU fundamental verändern.

Die heute Nacht vereinbarten Corona-Hilfen ermöglichen zwar erstmals die Aufnahme von Schulden durch die EU-Kommission. Allerdings haften die Mitgliedstaaten für diese Schulden nicht gemeinschaftlich, sondern entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dies ist ein Riesenunterschied, der leider in der öffentlichen Diskussion oft übersehen wird. Es war im Übrigen Bundeskanzlerin Merkel, der diesen wichtigen Unterschied gegen großen Widerstand in vielen EU-Staaten durchsetzen konnte, als sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten den Vorschlag für die Corona-Hilfen vorlegte. Auch Präsident Macron war zuvor Verfechter der gemeinschaftlichen Haftung gewesen.

Beim Thema Koppelung von EU-Zahlungen an die Rechtsstaatlichkeit hätte ich mir deutlich mehr Konsequenz gewünscht. Bereits der damalige EU-Haushaltskommissar Oettinger hatte vor zwei Jahren entsprechende Vorschläge vorgelegt, die ich sehr unterstützte. Eigentlich ist es ein Witz, dass der Gipfel so lange zum Thema Rechtstaatlichkeit beraten musste. Die Rechtsstaatlichkeit gehört zur DNA der EU. Wenn die Mitgliedsstaaten bei den Beitrittsverhandlungen auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien pochen, sich selbst aber nicht daran halten, läuft etwas falsch.

Allerdings: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ – auch wenn der Urheber dieses Spruches nicht mehr auszumachen ist, trifft er doch zu. Der mehrjährige Finanzrahmen erfordert eine einstimmige Zustimmung aller Mitgliedsstaaten. Ungarn, Polen und andere osteuropäische Staaten wollten strengeren Sanktionen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit jedoch nicht zustimmen. Sie verlangten, dass diese nur einstimmig verhängt werden können. Damit wäre der neue Mechanismus von Beginn an nur Makulatur gewesen. Daher ist es durchaus ein Erfolg, dass dieses Ansinnen abgewehrt werden konnte. Schlägt die Kommission nun Sanktionen vor, müssen diese von einer sog. „qualifizierten Mehrheit“ der Staaten gebilligt werden. (55 % der Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen). Wie gesagt, hätte ich mir mehr gewünscht. Trotzdem müssen nun Staaten, die den Rechtsstaat einschränken, tatsächlich mit weniger Geld aus Brüssel rechnen.

Einem Tausch „Geld gegen Kompetenzen“ stehe ich sehr, sehr skeptisch gegenüber. Es geht nicht darum, dass sich die EU ihre Kompetenzen erkaufen soll. Das würde auch schiefgehen. Vielmehr muss die EU dort gestärkt werden, wo die einzelnen Staaten alleine zu schwach wären. Dies gilt beispielsweise für den Abschluss von Handelsverträgen, die inzwischen Sache der EU sind. Wir brauchen aber auch auf anderen Gebieten mehr Europa, so bei Forschung und Entwicklung oder bei der Verteidigungspolitik. Dies kann aber nur funktionieren, wenn die Mitgliedsstaaten auch von einem europäischen Mehrwert überzeugt sind. Geld kann dabei kaum etwas bewirken.

Mit freundlichen Grüßen

Gunther Krichbaum

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