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Gesine Lötzsch
DIE LINKE
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Frage von Marko L. •

Frage an Gesine Lötzsch von Marko L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Frau Lötzsch,

mit Interesse habe ich Ihre bisherigen Antworten lesen können und wundere mich ein wenig, dass Sie Fragen über die jüngere DDR Geschichte als zu wenig konkret abgebügelt haben.

Da ich selbst in der DDR aufwuchs und mein Vater persönlich als Justizopfer bereits entschädigt wurde möchte ich doch auf eine bessere Aufarbeitung vor allem der Geschichte Ihrer Partei drängen, die sich zwar regelmäßig mit neuem Namen aber altem Personal als die soziale Alternative zurückmeldet aber ansonsten von Aufarbeitung der eigenen Geschichte nichts wissen möchte.

Deshalb jetzt noch mal ganz konkret, wie können Sie hier die Wahrung der Bürgerrechte und Demokratie durchsetzen wollen, wenn sie in der 40 jährigen Geschichte einer Alleinregierung Ihrer Partei allein schon die Forderung nach Bürgerrechten mit Gefängnis bestraften, oder wie jetzt aktuell bekannt wurde Menschen, die die DDR verlassen wollten per Schießbefehl ermorden ließen? Wie soll ich Ihnen in diesem Bereich vertrauen können?

Da die Linke in Ihrem Programm immer noch die Einführung eines sozialistischen Systemes in Deutschland anstrebt ist es doch unehrlich zu diesem Zweck mit der Wahrung von Bürgerrechten auf Stimmenfang zu gehen. Sozialismus und Demokratie schließen sich aus, sonst wäre es nicht notwendig Ihrem Sozialismus allein schon im Namen Ihrer Partei den Beinamen "demokratisch" mitzugeben. In der internationalen Menschheitsgeschichte der letzten 200 Jahre gab und gibt es keine kapitalistische Diktatur!

Und hätte die SED Diktatur die heutigen technischen Möglichkeiten hätte sie diese doch vollumfänglich gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, ich kann Ihnen also allein schon aus der Vergangenheit Ihrer Partei heraus keinen Glauben schenken, ob die Linke sich tatsächlich so in Ihren Werten gewandelt hätte. Womit möchten Sie mich überzeugen?

mit freundlichem Gruß

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Ludwig,

mir ist keine Partei in Deutschland bekannt, die sich mit ihrer Vergangenheit und der ihrer Mitglieder so intensiv auseinandergesetzt hat wie meine. Und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen, auf Parteitagen, in Arbeitsgruppen, mit wissenschaftlichen Untersuchungen, auf öffentlichen Veranstaltungen und in Parlamenten. Sie können gern bei der CDU oder der FDP nachfragen, wie ihre Ost-Mitglieder die DDR-Geschichte aufgearbeitet haben. Ich kann mich auf jeden Fall nicht daran erinnern, dass die CDU oder die FDP, die bekanntlich mit DDR-Parteien übernommen haben, Parteitage zur DDR-Geschichtsaufarbeitung durchgeführt hätten.

Die Ergebnisse unserer Geschichtsaufarbeitung mögen vielen nicht gefallen, aber ein Ergebnis ist ja gerade die unbedingte Verteidigung von Bürger- und Menschenrechten – oft gegen die, die uns mangelhafte Aufarbeitung vorwerfen, aber heute keinerlei Skrupel kennen, wenn sie alle technischen Mittel gegen die Bevölkerung einsetzen wollen. Dazu fallen mir Stichworte, wie Nutzung von Folteraussagen von "befreundeten" Geheimdiensten, Nutzung von Geruchsproben Andersdenkender, Online-Durchsuchung, Lauschangriff, Telefonüberwachung, Einschränkung des Bankgeheimnisses für Arbeitslose ein.

Sie meinen, der Begriff „demokratischer Sozialismus“ würde zwei unvereinbare Prinzipien, vielleicht sogar zur Täuschung der Öffentlichkeit, verknüpfen. Ich dagegen meine, dass nach unserer Erfahrung mit den ehemaligen sozialistischen Systemen in Europa damit genau die notwendige unbedingte gegenseitige Abhängigkeit von Demokratie und Sozialismus zum Ausdruck gebracht wird. Schlagwortartig gesagt: ohne Demokratie kein Sozialismus, ohne Sozialismus keine Demokratie. Aber ich möchte doch auf einige gefährliche Tendenzen in unserer Gesellschaft hinweisen, auf wachsende Armut, auf zerstörerische Gewalt, auf den Ausschluss von immer mehr Menschen von Bildungsmöglichkeiten, auf permanenten Krieg und auf die unübersehbaren Versuche des Staates, auf diese Entwicklungen mit dem Abbau von Individual- und Bürgerrechten zu reagieren.

In meinem Verständnis sind die vergangenen zweihundert Jahre Menschheitsgeschichte durchaus mit „kapitalistischen Diktaturen“ belastet. Dazu gehören die deutsche nationalsozialistische Diktatur, das faschistische Italien, bis in die siebziger Jahre die spanischen und portugiesischen Diktaturen sowie eine ganze Reihe lateinamerikanischer Militärdiktaturen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Gesine Lötzsch, MdB

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