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Frank Junge
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Frage von Falk S. •

Frage an Frank Junge von Falk S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Junge,

morgen stimmen Sie zu weitreichenden Veränderungen im Grundgesetz ab; unter anderem zur "Autobahnreform".
Nachdem ich heute ein längeres Telefonat mit Ihrem Mitarbeiter führen konnte, welcher mir sein Wort gab (und ich habe extra nachgefragt, ob dies ein verbindliches Versprechen in Ihrem und im Namen der SPD sei), daß es keine Hintertür für jegliche Privatisierung bzw. private Beteiligung an Autobahnen durch eine Zustimmung der SPD zur Gesetzesänderung gibt.

Wie stehen Sie dann zur Auffassung der beiden Verfassungsrechtler Prof. Christoph Degenhart und Prof. Georg Hermes, welche beide in ihrer Einschätzung eine mindestens teilweise Privatisierung nach Änderung des GG für nicht ausgeschlossen halten?

Viele Auswirkungen zur Privatisierung von Autobahnen sind ebenso auf Schulprivatisierungen anwendbar. Können Sie dem neuen Artikel 104c mit gutem Gewissen zustimmen, obwohl Ihnen bekannt sein dürfte, daß ÖPP nachgewiesenermaßen in den meisten Fällen den Steuerzahler mehr Geld kosten?

Können Sie mir erklären, warum eine solch umfassende Änderung des Grundgesetzes in solch kurzer Zeit und dann auch nur als Gesamtpaket "durchgepeitscht" werden soll? ...immerhin liegt die Drucksache zur Entscheidung auch erst seit heute vor!

Im Sinne einer partizipativen, transparenten Demokratie möchte ich Sie daher bitten, morgen dieser Abstimmung Ihr NEIN zugeben, sich zu enthalten oder der Abstimmung ganz fern zu bleiben.

Viele Grüße nach Berlin
F. Strobach

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Strobach,

vielen Dank für Ihre Nachfrage zu dem Telefonat mit meinem Mitarbeiter vom 31.05.2017.

Das Thema ist sehr komplex und während der parlamentarischen Beratungen kamen einige Änderungen im Gesetzesentwurf hinzu. Dadurch gab es in der öffentlichen Wahrnehmung teilweise sich verselbständigende Auffassungen, die nicht auf den tatsächlichen Verhandlungsergebnissen beruhten. Ich möchte daher etwas weiter ausholen, um auf die von Ihnen angesprochenen Punkte zu antworten.

Die Regelung zu den Autobahnen ist Teil eines größeren Verhandlungspaktes zwischen Bund und Länder, das über einen längeren Zeitraum verhandelt wurde. Folgende Ergebnisse wurden in diesem Zusammenhang mit erzielt:
Der Bund wird künftig eine stärkere Rolle beim Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder übernehmen. Die Länder erhalten vom Bund dafür ab 2020 jährlich gut 10 Milliarden Euro. Der Bund kann endlich auch in gute und moderne Schulen investieren. Bislang ist ihm eine solche Ko-operation mit den für den Bildungsbereich zuständigen Ländern untersagt. In einem ersten Schritt stellt der Bund insgesamt 3,5 Milliarden Euro für die Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen zur Verfügung. Außerdem wurde der Unterhaltsvorschuss ausgeweitet. Damit hilft der Staat berufstätigen Alleinerziehenden, ihre Doppelbelastung von Job und Kinderbetreuung besser zu stemmen, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Die Altersgrenze von jetzt 12 Jahren wird auf 18 Jahre angehoben und die zeitliche Befristung der Bezugsdauer von maximal sechs Jahren abgeschafft.

Ein weiter Punkt dieses Gesetzespaketes betraf den Bau von Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Durch überlange Planung, schlechte Koordination und endlose Baustellen kommt es auf deutschen Bundesautobahnen und Bundesstraßen häufig zu Stau. Einige Strecken sind nicht ausgebaut oder der Zustand ist marode.

Das Problem: Bisher sind sechzehn verschiedene Bundesländer für Planung und Bau der Autobahnen und Bundesstraßen zuständig. Es kommt zu Kompetenzwirrwarr unter den Ländern und mit dem Bund und so zu Reibungsverlusten. Das soll sich ändern.

Bereits im Koalitionsvertrag ist vereinbart worden: „Angesichts der seit vielen Jahren bestehenden strukturellen Unterfinanzierung werden wir die Planung und Finanzierung unserer Verkehrswege durch eine grundlegende Reform auf eine neue, dauerhaft verlässliche und effiziente Grundlage stellen. (…) Zudem werden wir gemeinsam mit den Ländern Vorschläge für eine Reform der Auftragsverwaltung Straße erarbeiten und umsetzen.“

Nach langen Verhandlungen in der Bundesregierung und im Deutschen Bundestag hat das Parlament am 01.0.6.2017 in 2./3. Lesung beschlossen: Mit der Gründung einer so genannten Bundesfernstraßengesellschaft soll von 2021 an der Bund die Planung, den Bau, den Unterhalt und die Verwaltung der Autobahnen und weiterer Bundesstraßen organisieren. Die Länder geben Befugnisse ab.

Das Ziel: Die bundeseigene Verwaltung in Form einer vollständig im Bundesbesitz befindlichen Gesellschaft mit beschränkter Haftung verspricht zügigere Baumaßnahmen und einen effizienteren Mitteleinsatz. Der Bund ist dann nämlich weniger abhängig von der Kooperationsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit der Landesstraßenbauverwaltungen, um seine Prioritäten bei den Verkehrsinvestitionen umzusetzen.

Außerdem wird der Lebenszyklus einer Bundesautobahn bzw. Bundesstraße in den Fokus gerückt. Bundesweit können Planung, Bau, Erhaltung und Betrieb aus einer Hand sinnvoller organisiert werden. Und die Transparenz, insbesondere bei Kosten und Abläufen, wird erhöht. Im Rahmen der Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wird die Verfassung dahingehend verändert.

Neben schnellerem Bauen, Planen, Erhalten und Betreiben verfolgten Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) und Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) einen weiteren Plan: Sie wären bereit gewesen, bis zu 49 Prozent dieser Gesellschaft an private Investoren zu verkaufen. Damit hätten sich Banken, Versicherungskonzerne und andere institutionelle Investoren umfangreich an den Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland beteiligen können.

Die SPD-Fraktion hatte diese Ursprungspläne schon in einem ersten Schritt im Gesetzentwurf der Bundesregierung gestoppt. Im Grundgesetz ist nun klargestellt worden, dass alle Bundesfernstraßen im vollständigen und unveräußerlichen Eigentum des Bundes bleiben und auch die neue Infrastrukturgesellschaft zu 100 Prozent in staatlicher Hand sein wird.

Rechtsexperten, wie die beiden auf die auch Sie sich beziehen, verwiesen jedoch darauf, dass es trotz der beiden Privatisierungsschranken verdeckte Möglichkeiten für den Zugriff privater Investoren auf die Bundesfernstraßen gäbe.
Dem hat die SPD-Bundestagsfraktion während des Gesetzgebungsverfahrens im Deutschen Bundestag mehrere Riegel vorgeschoben. Mit zwei Grundgesetz-Änderungen und vielen ein-fachgesetzlichen Änderungen hat sie sichergestellt, dass der Regierungsentwurf hier weiter verbessert wurde, so dass auch theoretisch mögliche Hintertüren für eine Privatisierung fest verschlossen sind:

1.) Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und deren Tochtergesellschaften wird in Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes ausgeschlossen. Damit ist klar: Auch stille Teilhaberschaften, Genussscheine oder andere Formen der verdeckten Beteiligung an der Gesellschaft sind ausgeschlossen.

2.) Eingeschränkt werden die Möglichkeiten von sogenannten Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP), bei denen die öffentliche Hand für einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren private Dritte mit dem Bau, Erhalt und Betrieb von Bundesfernstraßen beauftragt. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird dazu der Satz eingefügt: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“
Das bedeutet, dass nicht das ganze Bundesfernstraßennetz oder wesentliche Teile davon in einem Bundesland im Rahmen von ÖPP ausgebaut werden kann. Gesetzlich wird geregelt, dass Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) nur auf der Ebene von Einzelprojekten bis maximal 100 Kilometer Länge erfolgen, die nicht räumlich miteinander verbunden sein dürfen.

Manche Kritiker und manche Kampagne hat absurderweise gerade der SPD-Fraktion in den letzten Wochen unterstellt, mit den Grundgesetz-Änderungen würde sie die Türen für eine Privatisierung öffnen. Das Gegenteil ist richtig: Türen werden geschlossen, die bislang offen standen.
Das bestätigt auch der Bundesrechnungshof, der das Gesetzgebungsverfahren mit mehreren Berichten (aktuell vom 24. Mai 2017) begleitet hat.

Noch einige Punkte, die in diesem Zusammenhang sehr wichtig sind:
• Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Damit ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen gebannt.
• Eine Übertragung von Altschulden auf die Gesellschaft wird ausgeschlossen.
• Das wirtschaftliche Eigentum an den Bundesautobahnen und Bundesstraßen geht nicht an die Gesellschaft über, sondern bleibt beim Bund.
• Mautgläubiger der LKW-Maut und der PKW-Maut bleibt der Bund. Die Gesellschaft darf das Mautaufkommen nicht direkt vereinnahmen.
• Die neue Gesellschaft wird als GmbH errichtet und damit als juristische Person des privaten Rechts. Privatrechtlich heißt nicht Privatisierung. Deutschland organisiert zum Beispiel einen Großteil seiner internationalen Entwicklungshilfe über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die ebenfalls eine GmbH ist. Ist deshalb die Entwicklungshilfe privatisiert? Das ist natürlich Unsinn.

Darüber hinaus haben die Sozialdemokraten Veränderungen durchgesetzt, die vor allem im Interesse der Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegen, die heute in den Straßenbauverwaltungen der Länder arbeiten und die zum Bund wechseln sollen. Die neue Gesellschaft wird tarifgebunden sein, und die Überleitung soll im Rahmen eines Überleitungstarifvertrags erfolgen. Die Gewerkschaften sind hier voll an der Seite der SPD-Bundestagsfraktion. Verdi: „Die Interessen der Beschäftigten werden gesichert“.

Zu guter Letzt war den SPD-Abgeordneten wichtig, dass die Reform nicht zu weniger demokratischer Kontrolle und Einflussnahme führt, sondern dass die Informations- und Steuerungsrechte des Bundestages gewahrt bleiben und ausgebaut werden. So bedürfen zum Beispiel der Gesellschaftervertrag und wesentliche Änderungen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Abgeordnete des Bundestages werden im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten sein.
Das Erstaunliche ist: Die Opposition hat gegen unsere Vorschläge zum Verbot der Autobahnprivatisierung gestimmt.

Ich hoffe, ich konnte mit meinen Ausführungen einiges geraderücken und Ihre Befürchtungen relativieren.
Selbstverständlich stehe ich Ihnen gerne auch für ein persönliches Gespräch vor Ort zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Junge

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