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Ewald Schurer
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Frage von Friedrich Wilhelm H. •

Frage an Ewald Schurer von Friedrich Wilhelm H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Lieber Genosse Schurer,
mit Unverständnis habe ich das Abstimmungsverhalten der Mehrheit der SPD-Fraktion zur Verlängerung des Afghanistan-Mandats verfolgt.
Mit dem Trick "keine Kampftruppen" und der Verquickung "Aufstockung der Bundeswehr, Verlängerung des Mandats und Verdoppelung des Entwicklungshilfeetats" hat sich die SPD über den Tisch ziehen lassen. Die Meinung einer Mehrheit in der Partei und der Bevölkerung spielt offenbar für die Fraktion keine Rolle. Wozu wird die Parteibasis mit dem Parteitagsbeschluß zu Afghanistan befaßt, wenn die Fraktion sich sowieso anders verhält?
Die SPD ist bekanntlich in der Opposition. Warum muß sie sich wie eine Koalitionspartei in der Regierung verhalten?
Die Fraktion sollte zumindest erklären, wie sie ihr Abstimmungsverhalten begründet. So kann der Frust in der SPD (der auch der meinige ist) nicht überwunden werden.
Ich hoffe auf Dein Verständnis und eine zufriedenstellende Antwort.
Freundschaft.

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Antwort von
SPD

Lieber Friedrich,

ganz herzlichen Dank für deine E-Mail zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr vom 01. März 2010. Für deine Geduld bedanke ich mich. Aufgrund der Haushaltsberatungen komme ich erst jetzt dazu, dir ausführlich zu antworten.

Ich kann deine Sorgen und Bedenken um die militärische Beteiligung Deutschlands in Afghanistan sehr gut nachvollziehen. Die Sicherheitslage hat sich zuletzt verschlechtert und die Bundeswehr ist zunehmend in kriegerische Aktivitäten verwickelt. Gerade deshalb ist mir eine Zustimmung zur Verlängerung des Mandates dieses Mal noch schwerer gefallen. Dennoch habe ich diese Entscheidung nach allen Abwägungen so getroffen und bin gerne bereit, dir meine Einschätzung zum Afghanistan-Einsatz ausführlich zu erläutern.

Die Organisation der früheren Taliban, die über zwanzig Jahre lang ein Schreckensregime geführt haben, ist zwar weitgehend zerstört, doch gibt es immer wieder Anschläge auf zivile Einrichtungen, wie Schulen, Kraftwerke, Polizeieinrichtungen, mit denen die Gegner des Aufbaus versuchen, die Bevölkerung zu zermürben und erste Erfolge wieder zunichte zu machen.

Die Bundeswehr leistet vor Ort einen unverzichtbaren Dienst zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses.
Die Bundeswehr sichert vor allen Dingen den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen und die eigene humanitäre Hilfe. Leider ist dieser zivile (Wieder-)aufbau ohne eine militärische Schutzkomponente zurzeit noch nicht möglich.

Für die SPD-Bundestagsfraktion war eine Zustimmung zur Verlängerung des Afghanistan-Mandates an klare Bedingungen geknüpft, die du teilweise in deiner E-Mail ja bereits benennst:

• Der Schutz der Zivilbevölkerung, der auch in der noch verbleibenden Zeit im Mittelpunkt unseres Engagements stehen muss,

• Eine deutliche Verstärkung der Aktivitäten im Bereich der Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte und eine klare Festlegung auf endgültige Zielgrößen beim Aufbau von Polizei und Armee,

• Die Erstellung eines konkreten Zeitplans für die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte in der Nordregion, der Beginn des Rückzugs der Bundeswehr parallel zur der von US-Präsident Obama in seiner "Westpoint"- Rede am 1. Dezember 2009 angekündigten Reduzierung der US-Truppen im Sommer 2011,

• Entwicklung und zeitliche Einordnung messbarer und qualitativer Fortschrittskriterien bei der Sicherheitssituation, der Armutsentwicklung, der Versorgung der Bevölkerung und bei weiteren Verbesserungen der afghanischen Regierungsführung;

• Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanische Armee und Polizei bis spätestens 2015, um die Voraussetzung für die endgültige Beendigung des Einsatzes der Bundeswehr in einem zeitlichen Korridor zwischen 2013 und 2015 zu schaffen,

• die Einbeziehung aller Kräfte des Landes in einen Waffenstillstands-, Friedens- und Versöhnungsprozess,

• deutlicher Aufwuchs der Hilfe beim zivilen Aufbau ohne zeitliche Befristung.

Die Bundesregierung hat den Anforderungen der SPD an das neue Mandat fast vollständig entsprochen. Vor diesem Hintergrund habe ich der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zustimmen können. Die Zustimmung zur Neu-Mandatierung erfolgt für zwölf Monate. Sie ist verbunden mit dem klaren Auftrag für einen Strategiewechsel, der eine verantwortbare Abzugsperspektive öffnet.

Darüber hinaus habe ich mir in den Wochen vor der Entscheidung noch einmal genau angesehen, was die militärische Abschirmung der zivilen und humanen Aufbaumaßnahmen bis zum heutigen Tage im Stande zu leisten war.

Heute gehen wieder rd. 6,2 Mio. Kinder in Afghanistan zur Schule, davon rd. 2,4 Mio. Mädchen. Unter der Vorherrschaft der Taliban waren es nur 1 Mio. Jungen. Eine medizinische Grundversorgung steht heute 80% der afghanischen Bevölkerung zur Verfügung, statt 8% unter der Herrschaft der Taliban. Insgesamt konnten seit 2001 rd. 13.000 km Straßen gebaut werden. Es gibt große Fortschritte im Bereich der Wasser- und Energieversorgung. All dies muss fortgeführt werden.

Ich weiß, dass all diese Fortschritte im gesellschaftlichen Leben nicht das aufwerten können und sollen, was leider auch vermehrt stattfindet. Der Anstieg der zivilen Opfer in Afghanistan ist erschreckend. Leider auch durch deutsche Befehle. Deshalb muss es jetzt darum gehen, die afghanische Polizei und Armee dahingehend zu befähigen, den Wiederaufbau und die Ordnung im eigenen Land schnell zu gewährleisten. Das neue Mandat ermöglicht dies durch die Ausweitung der Ausbildungsstrukturen.

Du sprichst in deiner E-Mail an, dass die Parteibasis anders denkt und die Fraktion falsch entschieden hat. In der Tat gab es neben der sehr erfolgreichen und mit großer Ressonanz versehenen Afghanistan-Konferenz in Januar in Berlin eine vom Parteivorstand durchgeführte breite Befragung der Parteigliederungen zur deutschen Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan. Die Auswertung dieser Befragung hat Folgendes ergeben:

• 56% der befragten Genossinnen und Genossen stimmten für den Abzugskorridor 2013 - 2015, 30% für sofortigen bis baldigen Abzug, 14% äußerten sich indifferent.

• 35% sind gegen eine Aufstockung des Bundeswehrkontingents, 4% für eine signifikante Aufstockung, 46% schließen sich dem Positionspapier an, 15% sind indifferent.

Bei den Einzelaspekten gibt es eine Häufung bei der Forderung nach mehr Engagement beim zivilen Aufbau insbesondere für Bildung, mehr Ausbildung für afghanische Sicherheitskräfte und bei der Drogenbekämpfung.

Ich kann Dir versichern, dass während der kommenden zwölf Monate die SPD-Bundestagsfraktion sorgfältig darauf achten wird, ob die Bundesregierung ihre gemachten Zusagen einhält. In diesem Zusammenhang möchte ich dir auch versichern, dass die SPD-Bundestagsfraktion die Rolle der Opposition angenommen hat und diese sehr ernst nimmt.

Dies gilt insbesondere für den Umgang mit der "flexiblen Reserve", aber auch mit Blick auf die notwendige Übergabe beruhigter Regionen in afghanische Verantwortung und weitere Vorbereitungen für die jetzt auch von der Bundesregierung für 2011 in Aussicht gestellte Truppenreduzierung in Afghanistan.

Die Entscheidung der Mandatsverlängerung zuzustimmen war für mich eine absolute Gewissensentscheidung, die ich nach langen Überlegungen und zahlreichen Gesprächen so getroffen habe. Nach Abwägung aller oben aufgeführten Aspekte bin ich zum Entschluss gekommen, dass ein sofortiger Abzug der deutschen Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt dramatische Folgen für die Afghanen hätte und bisher erreichte Fortschritte zunichte gemacht würden. Ich weiß sehr wohl, dass dies die vielen zivilen Opfer in keiner Weise rechtfertigen kann und darf.

Mit freundschaftlichen Grüßen

Ewald Schurer, MdB