Dirk Wiese, Kandidat der SPD für den 20. Deutschen Bundestag
Dirk Wiese
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Frage von Reinhold S. •

Wie stehen Sie zum Artikel 38 unseres Grundgesetzes?

Sehr geehrter Herr Wiese,

Im „Berlin Playbook Podcast“ des Nachrichtenmagazins „Politico“ haben Sie am 13.07.2025 u.a. folgende Aussage getroffen:

"„Natürlich gibt es immer wieder Gewissensentscheidungen im Deutschen Bundestag. Aber ehrlicherweise, es gibt auch Koalitionsverträge”.

Entsprechend dieser Aussage muss man annehmen, dass bei Ihnen entweder Koalitionsverträge im Rang über dem Grundgesetz stehen, dass sie diesen Artikel 38 GG überhaupt nicht kennen, oder was am verwerflichsten wäre, Sie dem Grundgesetz nur noch eine untergeordnete Rolle zuweisen würden.

Dirk Wiese, Kandidat der SPD für den 20. Deutschen Bundestag
Antwort von
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Sehr geehrter Herr S.,

danke für Ihre Nachricht. Erlauben Sie mir, zur Klärung einige grundlegende Überlegungen zur Rolle von Artikel 38 des Grundgesetzes sowie zum Verhältnis zwischen Gewissensentscheidungen und Fraktionsdisziplin auszuführen.

Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes legt fest:

"Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."

Dieser Grundsatz ist elementar für unsere parlamentarische Demokratie. Er garantiert die persönliche Unabhängigkeit jedes einzelnen Abgeordneten - unabhängig von Partei, Fraktion oder Koalition.

In der Praxis parlamentarischer Arbeit gibt es jedoch zwei Ebenen, die differenziert betrachtet werden müssen:

Gewissensentscheidungen

Diese betreffen in der Regel ethisch besonders sensible oder gesellschaftlich grundlegende Fragen - etwa die Sterbehilfe, Organspende, Impfpflicht oder Fragen der Reproduktionsmedizin. In solchen Fällen verzichten Fraktionen bewusst auf Vorgaben oder Empfehlungen, um jeder und jedem Abgeordneten eine rein persönliche, freie Entscheidung zu ermöglichen. Dies ist ein gelebter Ausdruck der in Artikel 38 GG garantierten Gewissensfreiheit.

Fraktionsdisziplin und Koalitionsverträge

In der alltäglichen Gesetzgebungsarbeit - etwa bei Haushaltsfragen, Verwaltungsthemen oder der Umsetzung politischer Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag - ist eine gewisse Geschlossenheit innerhalb der Fraktionen notwendig, um stabile Mehrheiten und damit Regierungsfähigkeit sicherzustellen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Koalitionsvertrag "über" dem Grundgesetz steht. Vielmehr handelt es sich um eine politische Selbstverpflichtung der Koalitionsparteien, ihre im Wahlkampf angekündigten Ziele auch gemeinsam umzusetzen.

Meine Aussage im Podcast sollte nicht als Abwertung von Artikel 38 verstanden werden, sondern als Beschreibung dieser praktischen Realität: Gewissensfreiheit und politisch-strategische Zusammenarbeit in Fraktionen stehen nicht im Widerspruch, sondern ergänzen sich - vorausgesetzt, die Grundrechte und das Grundgesetz bleiben der verbindliche Rahmen unseres Handelns. Das ist für mich als Abgeordneter der SPD selbstverständlich.

Ich hoffe, ich konnte damit meine Aussage einordnen und Ihr Anliegen angemessen beantworten. 

Beste Grüße

Dirk Wiese

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