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Dietmar Bartsch
DIE LINKE
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Frage von Walter B. •

Frage an Dietmar Bartsch von Walter B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Linke Partei,

bei eurem Einsatz für Menschenrechte und bürgerliche Freiheit, vermisse ich Kritik an China wegen ihrer Menschenrechts Politik.
Es ist sehr schade dass Investoren wegen ihres Profits China den Hof machen. Noch schlimmer finde ich dass die Politiker der Welt, die ja eigentlich für die Menschen da sein sollten und für die Wirtschaft erst in zweiter Linie nicht den Mut aufbringen entschlossen gegen China vorzugehen. Die Wirtschaft soll für den Menschen da sein um sein Überleben sicher zu stellen. Dass der Mensch nun für die Wirtschaft da ist, damit Investoren noch reicher werden, passt nicht in die Philosophie der Menschlichkeit. Ausgerechnet ein kommunistisches Land ist hier der Vorreiter dieser Widersprüchlichkeit.
Bevor der Tibetkonflikt los ging war ich ein echter Fan der Linken und habe sogar überlegt als aktives Mitglied beizutreten. Doch dann kamen die Menschenrechtsverletzungen der Chinesen richtig zum Erkennung und Ihre Partei zusammen mit der SPD hat eine Verurteilung Chinas wegen dieser Menschenrechtsverletzungen abgelehnt. Wie passt das mit der Ideologie der Linken zusammen? Meine Stimme und die meiner Familie und Verwanten, wird keine links gerichtete Partei mehr bekommen.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Bittner,

die LINKE tritt für die Gewährleistung der Menschenrechte in der Einheit von ökonomischen, sozialen und politischen Rechten überall in der Welt ein. Eklatante Verletzungen von Menschenrechten prangern wir an und üben Solidarität mit den Opfern. Wir sind jedoch dagegen, dass Regierungen oder Organisationen aus dem Westen anderen Lehren erteilen und nur an andere Forderungen stellen. Menschenrechte sind in einem Lande in dem Maße durchsetzbar, wie eine Mehrheit des Volkes sie fordert und aktiv für sie eintritt. Der Blick auf diese Rechte ist in den verschiedenen Ländern und Kulturen unterschiedlich. Die eigene Geschichte, Sitten, Gebräuche und demokratische Traditionen spielen eine Rolle. Wir schlagen nicht die Realität verschiedener Länder über unseren Leisten.

Die LINKE hält es für richtig, dass die Bundesrepublik wie auch die meisten Staaten der Welt Tibet als Bestandteil der VR China anerkennt. Chinas lange Geschichte hat zahlreiche komplizierte Grenz- und Territorialfragen hinterlassen. In den letzten zwanzig Jahren hat China die meisten dieser Probleme in Verträgen mit den Nachbarstaaten, z. B. mit Vietnam, Russland, Kirgisien, Kasachstan oder der Mongolei, zur beiderseitigen Zufriedenheit gelöst. Mit Indien ist nach Jahrzehnten gegenseitiger Territorialforderungen – im Hochland von Tibet – ein ähnlicher Prozess im Gange. An die Stelle von permanenten Spannungen, die bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen führten (UdSSR, Indien, Vietnam) sind Frieden und Zusammenarbeit getreten. China hat mit dieser Politik viel zur Stabilität in diesem krisengeschüttelten Raum beigetragen.

In China leben über 60 Nationalitäten mit verschiedener Sprache, Kultur und Religion zusammen. Das Land hat eigene Erfahrungen mit Fremdherrschaft – fast 100 Jahre Mongolendynastie, fast 300 Jahre Mandschurendynastie, knapp 15 Jahre japanische Besatzung auf dem Festland und 50 Jahre auf der Insel Taiwan. Deutschland, England, Russland und Portugal waren Kolonialmächte in China. Dass für China heute, da es stark ist, Unabhängigkeit, Souveränität und der Schutz des eigenen Territoriums eine große Rolle spielen, verstehen wir. Dieser Gedanke ist im chinesischen Volk tief verwurzelt.

Das Verhältnis der Han-Chinesen (heute über 90 % der Bevölkerung) zu den verschiedenen Nationalitäten war über die Jahrtausende stets kompliziert, von wechselseitiger Eroberung und Beherrschung gekennzeichnet. Es hat aber auch Zeiten friedlichen Zusammenlebens gegeben. Vor allem die chinesischen Kaiser haben die kleineren Nationalitäten brutal unterdrückt. Hier ist seit der Gründung der Volksrepublik ein entscheidender Umschwung zu verzeichnen. Die Politik der Regionalautonomie hat den kleineren Völkerschaften große Fortschritte in der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung der Menschen gebracht. Ihre Lebensweise ist mit der Zeit vor 1949 nicht mehr zu vergleichen. Das ist u. a. das Ergebnis der politischen und sozialen Umwälzung der Verhältnisse in ganz China seit 1949, die von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurden. Diese erfasste das ganze Land, auch die Gebiete aller nationalen Minderheiten, darunter Tibet. In ihrem Verlauf wurden die feudalen Verhältnisse gestürzt, wurden Millionen Menschen aus extremer Armut, Analphabetentum und sklavenähnlichen Lebensbedingungen befreit.

Scharf verurteilen wir die Ausschreitungen gegen Religion und Kultur im China der „Kulturrevolution“ der 60er und 70er Jahre, die wiederum das ganze Land betrafen, aber in den Regionen der nationalen Minderheiten besonders großen Schaden anrichteten und zahlreiche Opfer forderten. Sie sind der Ursprung vieler Probleme in diesen Regionen. Sie werden heute in China offiziell verurteilt und korrigiert.

Wie die Resolution des Bundestages von 2003 würdigt die LINKE die großen Anstrengungen der chinesischen Regierung zur Entwicklung der Regionen der nationalen Minderheiten in den letzten Jahren. Wir halten den Kurs für richtig, die Probleme durch rasche Entwicklung, durch eine Annäherung der Lebensverhältnisse an die der fortgeschrittenen Regionen Chinas zu lösen. Denn soziale und wirtschaftliche Unterschiede sind stets auch Ursachen für politische Reibungen. Umgekehrt baut Fortschritt diese Reibungen ab. Das geschieht heute nach unserer Beobachtung u. a. in Tibet.

Da der Dalai Lama als geistliches Oberhaupt der tibetischen Buddhisten hohes Ansehen genießt, ist ein direkter Dialog mit ihm wünschenswert und sicher hilfreich für die Lösung der Probleme. Dies hat Gregor Gysi bei einem Besuch in China, darunter in Tibet, im Jahre 2000 der chinesischen Regierung nahegelegt. Inzwischen sind solche Gespräche in Gang gekommen. Unsere Beobachtung ähnlicher Anläufe in der Vergangenheit ist, dass beide Seiten hier noch viele Vorbehalte auszuräumen haben. Der Dalai Lama ist weder ein Regierungschef, noch ein Staatsoberhaupt. Deshalb sind wir dagegen, ihn auf dieser Ebene zu empfangen.

Die Menschen in China schätzen die Fortschritte im Lebensniveau und die zunehmenden persönlichen Freiräume, die ihnen die Entwicklung der letzten Jahre gebracht hat. Probleme gibt es in China viele, das wissen die Chinesen selbst. Aber es trägt nicht zu ihrer Lösung bei, wenn internationale und deutsche Medien, wie in den letzten Monaten geschehen, nur mit dem Finger auf die Probleme zeigen und die Erfolge, die positiven Seiten des Lebens in China ausblenden. Auch den Tibetern in China hat die Kampagne um Olympia in keiner Weise geholfen. Deshalb beteiligen wir uns an solchen Aktionen nicht. Wir sind dafür, dass die Chinesen ihre Probleme selber lösen. Unsere Erfahrungen vermitteln wir gern, aber wir wollen nicht die Oberlehrer anderer Völker sein.

Entschuldigen Sie, dass meine Antwort so lang geraten ist. Aber die Dinge sind kompliziert und werden oft viel zu einfach dargestellt. Falls Sie Interesse haben, finden Sie weitere Informationen zu diesem Thema auch unter dem Link: http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20080505

Mit freundlichen Grüßen

Dietmar Bartsch

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