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Dietmar Bartsch
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Frage von Harry S. •

Frage an Dietmar Bartsch von Harry S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Bartsch,

können Sie mir sagen, wie viele Tage vor der ersten Abstimmung Ihnen die schriftliche Form des konsolidierten Lissabon Vertrags vorlag? Schätzen sie die Zeit, die gegeben wurde, für sie und ihre Kollegen im Bundestag für ausreichend ein, sich mit diesem enorm wichtigen Vertrag auseinanderzusetzen?
Mir geht es um die Frage, ob die Abgeordneten genug Zeit hatten, den Vertrag komplett durchzuarbeiten. Ich bedanke mich für ihren Einsatz und ihre Arbeit.

Mit freundlichen Grüßen
Harry Schmierer

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Schmierer,

Herzlichen Dank für Ihre Zuschrift.

Um konkret zu sein: Keinen Tag. Eine geeignete Überschrift für die Vorgänge im Parlament wäre daher "Denn sie wissen nicht was sie tun".

Der Vertrag von Lissabon ist ja ein Änderungsvertrag zu den bestehenden europäischen Verträgen (dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU, ehemals EG-Vertrag sowie dem EU-Vertrag). Um den Vertrag von Lissabon zu verstehen, muss ein Abgeordneter also drei Verträge nebeneinander legen und abgleichen. Das ist sogar für Juristen eine "Mission Impossible".

Die anderen Fraktionen haben unseren Antrag abgelehnt, vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag eine konsolidierte Fassung des Vertrags von Lissabon zu veröffentlichen und diese den Abgeordneten wie den privaten Haushalten über die Bundeszentrale für politische Bildung zugänglich zu machen.

Die formale Begründung lautete, ein Vertrag der noch nicht beschlossen sei, dürfe auch noch nicht in konsolidierter Fassung vorliegen. Gleichwohl haben sich ein paar engagierte Professoren daran gemacht, den Vertrag vor der besagten Abstimmung in eine einheitliche Fassung zu bringen und ihn ins Internet gestellt. Als unser Antrag über eine konsolidierte Fassung dann aber endlich im zuständigen Ausschuss beraten wurde, bedauerten die anderen Fraktionen zwar die Situation, meinten aber nun sei es ohnehin zu spät daran etwas zu ändern.

In Frankreich etwa ging eine verständlich erläuterte Kurzfassung der ursprüngliche EU-Verfassung an alle Haushalte. Wer in Paris das Taxi benutzte, wurde vom Taxifahrer über die EU-Verfassung aufgeklärt. Die Beteiligung an dem Referendum (die Franzosen stimmten dann bekanntlich mehrheitlich mit Nein) lag wesentlich höher als etwa bei den Europawahlen. Der Chef der Euro-Gruppe und luxemburgische Premier, Jean-Claude Juncker, nannte dies eine Sternstunde der europäischen Demokratie.

Die Gründe für unsere Ablehnung des Vertrags von Lissabon (gleichwohl befürworten wir grundsätzlich eine europäische Verfassung) finden Sie u.a. hier http://www.linksfraktion.de/publikationen_clara_artikel.php?artikel=20328116

Die Fraktion DIE LINKE. sowie alle ihre Abgeordneten haben sodann das Bundesverfassungsgericht angerufen und einen wichtigen Teilerfolg errungen. Das Gericht ohrfeigte den Bundestag und verlangte mehr Demokratie zu wagen. Die von den anderen vier Fraktionen verabschiedeten Begleitgesetze bleiben aber hinter dem Geist des Urteils zurück, so wurde trotz Amtshilfe des Gerichts auf Voilksabtimmungen über wesentliche Vertragsänderungen verzichtet. Weitere Gründe für die Ablehnung der Begleitgesetze durch die Fraktion DIE LINKE. erfahren Sie hier http://www.linksfraktion.de/pressemitteilung.php?artikel=1217458860

Was für Deutschland gilt, gilt auch für Europa. Je stärker DIE LINKE. desto sozialer und erfolgreicher das Land.

Freundliche Grüße

Dr.Dietmar Bartsch, MdB

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