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Danyal Bayaz
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Frage von Samuel K. •

Frage an Danyal Bayaz von Samuel K. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Bayaz,

mein Name ist Samuel Kessler und ich bin ein Oberstufenschüler aus Baden-Württemberg. Gemeinsam mit zwei weiteren Mitschülern nehme ich am diesjährigen Wirtschaftspreis "econo=me" vom Handelsblatt teil und wir erstellen ein dementsprechendes Magazin. Das diesjährige Thema trägt den Namen "Alles hängt zusammen - aber wie?" und ich kümmere mich um den Bereich der staatlichen Hilfsprogramme für Haushalte und Unternehmen.

Da der unternehmerische Bereich für mich also eine Rolle spielt, würde ich mich also freuen, wenn sie die folgenden Fragen beantworten könnten.

1. Halten Sie die aktuellen Überbrückungshilfen der Bundesregierung für ein ausgereiftes und gutes Konzept? Was würden Sie anders machen?

2. Es ist bekannt, dass die Auszahlung der „Novemberhilfen“ zögerlich von statten ging und bis heute noch nicht alle Hilfen ausgezahlt wurden. Inwiefern ist diese Verspätung der fehlenden Gelder, die bis zum November zurückgehen, ihrer Meinung nach eine Bedrohung oder Einschränkung für Unternehmen (Besonders für kleinere Unternehmen)?

3. Wie unterscheidet sich die Schließung im ersten Lockdown (März) von der jetzigen Schließung? Wie bewerten Sie jene Unterschiede?

4. Inwiefern wurden kleinere Unternehmen in die Debatte über die Schließung mit einbezogen?

5. Viele Handelsgeschäfte beklagen sich über eine fehlende Perspektive in Zeiten der Schließung - Inwiefern trifft diese These Ihrer Meinung nach auf die derzeitige Situation zu? Falls sie diese These bestätigen: Was ist ihrer Meinung nach dabei besonders bedrohlich für den Handel und warum ist eine feste Perspektive Ihrer Meinung unbedingt notwendig?

Über eine Rückmeldung würden wir uns freuen!

Mit freundlichen Grüßen
Samuel Kessler

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kessler,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

1. Halten Sie die aktuellen Überbrückungshilfen der Bundesregierung für ein ausgereiftes und gutes Konzept? Was würden Sie anders machen?

Nach einem Jahr Corona-Krise und Monaten im Lockdown herrschen bei vielen betroffenen Unternehmen große Verzweiflung und massive Existenzängste. Mittlerweile sind viele Reserven und teilweise sogar die Altersvorsorge aufgebraucht. Obwohl im Bundeshaushalt hohe Summen zur Unternehmensrettung bereitgestellt wurden, hat das vorhandene Geld viele Unternehmen nicht erreicht. Besonders dramatisch ist die Situation dabei aktuell für Unternehmen des Einzelhandels, Friseur*innen und andere, die seit Mitte Dezember im Lockdown sind. Es ist unverantwortlich, dass diese Unternehmen, die seit Wochen null Einnahmen haben, erst seit Mittwoch 10.2. Anträge stellen können und die Abschlagszahlungen erst seit 12.2. ausgezahlt werden.

Zudem hat das Hilfen-Chaos der letzten Monate, dass Peter Altmaier und Olaf Scholz zu verantworten haben, zu einer dermaßen großen Verunsicherung und Unübersichtlichkeit geführt, dass selbst Steuerberater*innen vielfach nicht mehr wissen, welche Hilfen sie den Unternehmen zu welchen Konditionen beantragen sollen und können. Infolge dessen sind Hilfsprogramme bei vielen Betroffenen bislang entweder gar nicht, in zu geringem Umfang oder zu spät angekommen.

Es braucht daher eine klare und verbindliche Kommunikation, wie die Hilfen funktionieren und eine stärkere Einbindung des Parlaments, da wir von vielen Sachverhalten erst aus den Medien erfuhren. Unter anderem fordern wir, wer 100 Prozent Umsatzausfall hat, muss auch 100% der Fixkosten erstattet bekommen. Zudem treten wir einen echten Unternehmerlohn für Soloselbstständige ein, wie ihn etwa die grüne-geführte Landesregierung Baden-Württembergs zu Beginn der Pandemie bereits einführte. Dabei muss grundsätzlich ein existenzsichernder Anteil für die Lebenshaltungskosten abrechenbar sein, genauso wie die Anerkennung von Krankenkassenkosten. Das sollte auch rückwirkend, für die Hilfen gelten, die noch beantragt werden können. Wichtig ist weiterhin eine höhere Personalquote bei den erstattungsfähigen Fixkosten. Damit die Unternehmen die Dauer bis zur Auszahlung der Hilfen besser überbrücken können, soll die Abschlagszahlung auf 75 Prozent (derzeit 50 Prozent) der beantragten Summe erhöht werden und schnell verfügbar gemacht werden. Zudem fordern wir Unternehmen bei der Tilgung von Krediten von Gewerberäumen zu unterstützten und das Kurzarbeitergeld auf 90% des Nettolohns für niedrige Einkommen zu erhöhen. Um das wichtige Instrument des Verlustrücktrags insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen wirklich effektiv zu machen, sollte dieser Zeitraum ausgeweitet werden: Für Verluste des Jahres 2020 sollte ein Rücktrag auf bis zu vier Jahre, also maximal bis 2016 gelten (für Verlustrückträge bis 5 Mio. Euro). Denn die von Scholz angekündigte reine Erhöhung des Verlustrücktrages auf 10 Millionen Euro nutzt kleineren Unternehmen kaum. Dies gilt es zu ändern

2. Es ist bekannt, dass die Auszahlung der „Novemberhilfen“ zögerlich von statten ging und bis heute noch nicht alle Hilfen ausgezahlt wurden. Inwiefern ist diese Verspätung der fehlenden Gelder, die bis zum November zurückgehen, ihrer Meinung nach eine Bedrohung oder Einschränkung für Unternehmen (Besonders für kleinere Unternehmen)?

Die Novemberhilfe wird erst seit 14. Januar 2021 ausgezahlt. Unternehmen geraten damit unverschuldet in Existenzsorgen. Die Verlängerung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Insolvenzrecht wurde nur auf Grüne Initiative im Bundesrat hin bis 30.04.2021 verlängert. Insgesamt hätten wir uns von der Bundesregierung gesamtheitlichere und vorausschauende Regeln gewünscht, statt immer neue und nur kurzfristig gedachte Hilfsprogramme, die zudem Ungleichbehandlungen schaffen und durch die teils hohen Zugangshürden Unternehmen durchs Raster fallen lassen – wie es bei der Novemberhilfe der Fall ist. Darüber hinaus halten wir die wechselnden Konditionen der Programme und teils komplizierten Antragsbedingungen, die erst nach deutlicher Kritik aus der Wirtschaft, von Verbänden und Abgeordneten nachgebessert wurden, lediglich für bedingt tragfähig.

3. Wie unterscheidet sich die Schließung im ersten Lockdown (März) von der jetzigen Schließung? Wie bewerten Sie jene Unterschiede?

Es wäre einiges in der zweiten Welle anders möglich gewesen. Bereits im Frühling hatten wir von der Bundesregierung ein durchgängiges Hilfen-Programm für die gesamte Dauer der Corona-Pandemie gefordert. Mit niedrigen Zugangshürden, einer umfassenden Übernahme von nicht vermeidbaren Betriebskosten und einer Existenzsicherung in Form eines Unternehmerlohns. Stattdessen haben die zuständigen Minister Altmaier und Scholz fatalerweise immer wieder auf zeitlich befristete Programme mit wechselnden Konditionen und komplizierten Antragsbedingungen gesetzt: Soforthilfe, Überbrückungshilfe I, Überbrückungshilfe II, Novemberhilfe, Dezemberhilfe und jetzt Überbrückungshilfe III – und auch diese mit mehrfach überarbeiten Konditionen und einer intransparenten Kommunikation – bei der Vielzahl der Hilfsprogramme blickt kaum noch jemand durch. Die Sommermonate mit deutlich niedrigeren Infektionszahlen hatten uns eine Atempause verschafft- Zeit, um langfristige und durchdachte Konzepte zu entwickeln. Die Bundesregierung hat es leider versäumt, diese kostbare Zeit zu nutzen, um die Unternehmen in der zweiten Welle besser zu stabilisieren. Zudem hatte sie viele der betroffenen Branchen lange nicht auf dem Schirm. Die speziellen Rettungsprogramme für die Kultur kamen spät, der Runde Tisch zur Innenstadtrettung im Herbst noch später. Statt viel Geld in Form einer ineffektiven Mehrwertsteuersenkung zu versenken, hätte auch hier früh und zielgerichtet gegengesteuert werden müssen.

4. Inwiefern wurden kleinere Unternehmen in die Debatte über die Schließung mit einbezogen?

Vermute Unternehmensverbände konnten Positionspapiere einsenden, an sich erarbeiten die zuständigen Ministerien (Wirtschaft und Finanzen), v.a. angesichts der sehr kurzfristigen Programme vermutlich kein Einbezug, was auch teils die Lücken der Programme und den Bedarf für Nachbesserungen erklärt. An uns haben sich einige Unternehmen aus der Region gewandt, mit der Bitte ihre Anliegen und Kritik in den zuständigen Fachausschüssen oder über Anfragen an die Ministerien einzubringen.

5. Viele Handelsgeschäfte beklagen sich über eine fehlende Perspektive in Zeiten der Schließung - Inwiefern trifft diese These Ihrer Meinung nach auf die derzeitige Situation zu? Falls sie diese These bestätigen: Was ist ihrer Meinung nach dabei besonders bedrohlich für den Handel und warum ist eine feste Perspektive Ihrer Meinung unbedingt notwendig?

Unternehmen brauchen Planungssicherheit und sind nach vielen Monaten der Pandemie darauf angewiesen. Mindestens mit Blick darauf, anhand welcher Kriterien Politik ihre Entscheidungen für die Verschärfung oder Lockerung von Corona-Maßnahmen misst. Seit Wochen gibt es keine klare Kommunikation der Bundesregierung zu den Zielen und Maßgrößen, die aber jedoch die Grundlage der Entscheidungen und weiteren Maßnahmen sind. Ein Stufenplan, der bundesweit einheitliche Regelungen für das Infektionsgeschehen angepasst auf regionale Entwicklungen gibt, könnte hier endlich Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vertrauen schaffen.

Um eine erhebliche Insolvenzwelle im Handel, in der Gastronomie, der Kultur und bei vielen weiteren betroffenen Unternehmen zu verhindern, braucht es eine Offensive für Wirtschaftshilfen, die wirklich helfen. Es ist gut, dass die Bundesregierung sich mit der Überbrückungshilfe III nun für ein Programm entschieden hat, das immerhin bis Juni eine Perspektive gibt und deutlich erleichterte Zugangsbedingungen bietet. Dringend notwendig wäre, dass die Hilfen nun endlich auch beantragt werden können. Aber auch jetzt reichen die Hilfen nicht aus. Noch immer können Unternehmen nur 90 Prozent der Fixkosten erstattet bekommen, selbst wenn sie aufgrund der Corona-Maßnahmen vollständig schließen müssen und somit einen Umsatzrückgang von 100 Prozent zu verzeichnen haben. Bei der Dauer der Krise können auch 10 Prozent der Fixkosten eine enorme Bürde darstellen. Besonders für Soloselbstständige und Kleinstunternehmer*innen ist die fehlende Anerkennung von Lebenshaltungskosten in Form eines Unternehmerlohns frustrierend und geschäftsgefährdend.

Mit freundlichen Grüßen

Danyal Bayaz