Portrait von Brigitte Zypries
Brigitte Zypries
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Brigitte Zypries zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Marlen S. •

Frage an Brigitte Zypries von Marlen S. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Bundesministerin a.D.,

ich habe eben Ihre Antwort zur weiblichen Beschneidung gelesen. Dies steht im Zusammenhang zur gestrigen Entschließung mit dem die Beschneidung von Jungen legalisiert werden soll.
Ist Ihnen die EU-Studie zur weiblichen Genitalverstümmelung bekannt? http://frauenrechte.de/online/images/downloads/fgm/EU-StudieFGM.pdf
Darin über die milde Sunna: "Es handelt sich hierbei um eine sehr seltene Form der FGM, bei der die Vorhaut der Klitoriseingestochen, eingeritzt oder entfernt wird. Diese Form ist als Einzige mit der Beschneidung der männlichen Vorhaut vergleichbar."
Die FGM kann also so durchgeführt werden, dass sie der männlichen Beschneidung entspricht.

Sie stellen die männliche Beschneidung im Gegensatz zum weiblichen Pendant als folgenlos dar. Dem ist nicht so. Bertroffene berichten von dem Gefühl des Ausgeliefertseins und dem Verlust ihrer körperlichen Integrität. Sex und Masturbation ist oft nur mit Gleitmitteln möglich.
Und es kommt bei jeder 5. Beschneidung zu Komplikationen, wie Narbenbildung oder sogar teilw. Penisamputationen:

http://www.fr-online.de/wissenschaft/beschneidungen-blutiger-eingriff-am-penis,1472788,16643734.html

http://www.fr-online.de/politik/beschneidung–das-wohl-des-kindes-ist-nicht-verhandelbar-,1472596,16659000.html

Das alles nimmt man in Kauf für obwohl es im Koran nicht erwähnt wird? Auch unbeschnittene jüdische Jungen erleben in der Realität keine Nachteile.
Viele Eltern werden unter Druck gesetzt ihre Kinder zu beschneiden, selbst wenn sie es nicht wollen. Ein Verbot von Beschneidungen ist ein Schutzrecht für die Schwachen, für diejenigen Eltern und deren Kinder, die sich gegen den Druck von Familien, Verwandten und religiösen Vertretern nicht wehren können.
Der Staat muss die Schwachen schützen. Wie können Sie zugunsten des risikobehafteten Eingriffs abwägen, wenn die Religion Beschneidung nicht gebietet und Betroffene Nachteile bis hin zu Einschränkungen ihrer Sexualität hinnehmen müssen?

Portrait von Brigitte Zypries
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Schneider,

die Beschränkung auf die Entfernung der Klitorisvorhaut ist praktisch nirgendwo üblich, wo FGM durchgeführt wird. Die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris ist in nichts vergleichbar mit der Beschneidung bei Männern.

Die verschiedenen Praktiken der Beschneidung weiblicher Genitalien stellen allesamt viel weitreichendere Eingriffe dar als die Vorhautbeschneidung bei Jungen, das sieht auch die WHO so. Darüber hinaus ist der Zweck dieser Praktiken, anders als bei der Entfernung der männlichen Vorhaut, Verstümmelung und Diskriminierung, und ich bleibe dabei: nichts rechtfertigt irgendeine ihrer vielfältigen, grausamen Erscheinungsformen, auch künftig nicht. Weibliche Genitalverstümmelung ist und bleibt in Deutschland - wie in allen anderen Staaten der Europäischen Union - strafbar und verboten.

Die Beschneidung von Jungen ist im muslimischen und im jüdischen Leben eines der wichtigsten religiösen Feste. Für den jüdischen Glauben ist die Beschneidung von Jungen um den achten Tag ihres Lebens sogar schlechthin konstituierend für den Bund mit Gott. Denn nach der Bibel wird dieser Bund durch die Beschneidung erst begründet. Etwa 30% der Männer weltweit sind beschnitten - es handelt sich also nicht um einen seltenen Einzelfall.

Strafrechtlich betrachtet stellt die Beschneidung – egal ob medizinisch oder religiös motiviert – allerdings eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB dar. Erfolgt die Beschneidung eines Minderjährigen aus medizinischen Gründen (z.B. bei Verengung der Vorhaut), ist sie über die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt. Die Einwilligung ist wirksam, da sie bei medizinischer Indikation im Interesse des Kindes erfolgt. Erfolgt der Eingriff aus rein religiösen Gründen, ist die Wirksamkeit der Einwilligung fraglich. Hier treffen dann zwei grundrechtlich geschützte Rechtsgüter aufeinander: das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 GG) und auf Ausübung ihrer Religion (Art. 4 GG).

Die gesetzliche Regelung, die die Bundesregierung nach der Sommerpause wird vorlegen müssen, muss diese Verfassungsgrundsätze abwägen und in eine Balance bringen. Ich meine, wir müssen im Ergebnis dazu kommen, dass jüdische und muslimische Glaubensausübung in Deutschland auch in Zukunft möglich ist, der Eingriff aber für das Kind so gering wie möglich gehalten wird.

Im Sinne des Rechtsfriedens ist es nötig, über eine gesetzliche Regelung religionsbedingter Beschneidungen bei Jungen bis zu einem bestimmten Alter nachzudenken, um auf die starke Unsicherheit bei Anhängern des jüdischen und muslimischen Glaubens sowie bei den Ärzten zu reagieren. Dieses komplizierte Thema ist auch innerhalb der SPD umstritten. Deshalb werden wir uns nach der parlamentarischen Sommerpause Zeit nehmen, um ausführlich zu diskutieren. Dabei müssen alle Argumente betrachtet werden, wobei uns Expertenanhörungen helfen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries